Süddeutsche Zeitung

Studie:Minijobber in Not

Geringverdiener trifft die Corona-Krise hart. Viele erhalten kein Kurzarbeitergeld oder verlieren ihre Jobs. Dies zeigt eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Die Autoren fordern eine Reform der Minjob-Regelung.

Von Sibylle Haas

Geringverdiener sind von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mehr als andere betroffen. Beschäftigte, bei denen der Minijob den Haupterwerb darstellt, trifft die Krise besonders hart. Sie erhalten kein Kurzarbeitergeld, weil sie nicht in der Arbeitslosenversicherung versichert sind. "Die Corona-Krise verstärkt die Probleme des Niedriglohnsektors - vor allem für Minijobberinnen und Minijobber. Ohne das Sicherheitsnetz des Kurzarbeitergeldes erleiden sie als Erste Einkommenseinbußen oder verlieren ihre Arbeit", sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Im Auftrag der Stiftung hat das DIW Econ, eine Tochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, den Niedriglohnsektor in Deutschland untersucht.

Die Autoren der Studie, Markus Grabka und Konstantin Goebler, fordern eine Reform der Minijob-Regelung, die den Übergang in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse fördert. Minijobber sollten Sozialversicherungsbeiträge abführen, um in Krisenzeiten besser abgesichert zu sein, schreiben die Autoren.

Gerade Beschäftigte, die zu Beginn der Corona-Krise beklatscht und als "systemrelevant" gelobt wurden, machen einen Großteil der Geringverdiener aus. "2018 waren mehr als die Hälfte der Niedriglohnbeschäftigten im Groß- und Einzelhandel, in der Transport- und Nahrungsmittelindustrie sowie in den Bereichen Bildung, Gesundheits- und Sozialwesen tätig", schreiben die Autoren. Laut Studie erhielten 2018 etwa 7,7 Millionen und damit mehr als ein Fünftel der Beschäftigten in Deutschland einen Stundenlohn von weniger als 11,40 Euro, sie arbeiteten damit im sogenannten Niedriglohnsektor. 2,4 Millionen Menschen erhalten laut Studie sogar weniger, als ihnen rechtlich zusteht. Der durchschnittliche Stundenverdienst im Niedriglohnsektor liegt laut Studie bei 8,40 Euro. Das ist weniger als der gesetzliche Mindestlohn von 9,35 Euro. Grabka und Goebler fordern deshalb mehr Kontrollen zur Einhaltung des Mindestlohns.

Die Studie zeigt auch, dass es viele Geringverdiener nicht schaffen, in besser bezahlte Jobs aufzusteigen. Lediglich 27 Prozent gelang der Sprung über die Niedriglohnschwelle von 11,40 Euro. Besonders für Frauen und Ältere sind Minijobs eine Sackgasse. Während 2018 rund 28 Prozent der erwerbstätigen Frauen zu Niedriglöhnen arbeiteten, taten dies lediglich 16 Prozent der Männer. Insgesamt sind Frauen mit 61 Prozent aller Geringverdiener überrepräsentiert. Seit den 1990er-Jahren sei der Niedriglohnsektor in Deutschland um gut 60 Prozent gewachsen. Das Ziel, Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte in den Arbeitsmarkt zu bringen, sei zwar weitgehend erreicht worden. Doch es würden zunehmend auch qualifizierte Tätigkeiten unterhalb der Niedriglohnschwelle von 11,40 Euro bezahlt.

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SZ vom 03.07.2020
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