In Deutschland müssen knapp acht Millionen Menschen mit einem Niedriglohn von weniger als 9,15 Euro brutto pro Stunde auskommen. Ihre Zahl ist zwischen 1995 und 2010 um mehr als 2,3 Millionen gestiegen. Das geht aus einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen hervor. Demnach sind etwa 23 Prozent - fast ein Viertel der Beschäftigten - im Niedriglohnsektor tätig. Die Debatte über die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns wird damit neu entfacht.
Laut der Studie bekamen die Niedrigverdiener im Durchschnitt im Jahr 2010 6,68 Euro im Westen und 6,52 Euro im Osten. Von ihnen erhielten mehr als 4,1 Millionen weniger als sieben Euro, gut 2,5 Millionen weniger als sechs Euro und knapp 1,4 Millionen sogar nicht einmal fünf Euro die Stunde. Knapp jeder Zweite der niedrig bezahlten Menschen arbeitet dabei voll und nicht Teilzeit. So gibt es nach den Berechnungen des Instituts allein fast 800.000 Vollzeit-Beschäftigte, die weniger als sechs Euro kassieren können. Sie kamen damit auf einen Monatslohn, der unter 1000 Euro brutto lag.
Die Wissenschaftler, die für ihre Untersuchung Daten des sozioökonomischen Panels, einer repräsentativen Befragung von mehr als 12.000 Privathaushalten auswerteten, berücksichtigten erstmals auch Schüler, Studenten und Rentner mit einem Niedriglohn, obwohl es sich bei diesen häufig um Nebenjobber handelt. Dies erhöht die Gesamtzahl der Niedrigverdiener in der Statistik unterm Strich um knapp 500.000.
Die Studie zeigt ferner, dass Beschäftigte mit einem Minijob auf 400-Euro-Basis das höchste Risiko haben, für weniger als den allgemein anerkannten Schwellenwert von 9,15 Euro zu arbeiten. "Weitere Gruppen mit hohen Anteilen von Niedriglohnbeschäftigten sind unter 25-Jährige, befristet Beschäftigte, Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung sowie Ausländer", heißt es in der Untersuchung. Die große Mehrheit der knapp acht Millionen Betroffenen habe aber einen Beruf erlernt.
Stark gestiegen ist die Zahl der niedrig Bezahlten vor allem in Westdeutschland. Der Studie zufolge wuchs sie in 15 Jahren in den alten Bundesländern um 68 Prozent, im Osten dagegen nur um drei Prozent. Seit 2007, als der Anteil der Niedriglöhner an allen Beschäftigten bis auf 24,2 Prozent kletterte, ist die Quote stabil. Dies zeigt, dass das Wachstum des Niedriglohnsektors nicht zuletzt auf die Arbeitsmarktreformen der früheren rot-grünen Bundesregierung nach der Jahrtausendwende zurückzuführen ist.
Die Forscher rechnen auch vor, dass jeder fünfte Beschäftigte von einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro profitieren würde. Die Union hatte sich auf ihrem Parteitag im November erstmals für eine verbindliche Lohnuntergrenze ausgesprochen. "Solch eine Untergrenze müsste aber für alle Branchen und Beschäftigtengruppen gelten und nicht nur für die wenigen Bereiche, in denen es keinerlei tarifliche Regelungen gibt", sagte die Vize-Chefin des Instituts, Claudia Weinkopf. Dies sieht das Konzept der Union bislang nicht vor.
SPD und Grüne fordern dagegen einen allgemein verbindlichen Mindestlohn. Die SPD betont, dass es Bereiche gibt, "in denen die Tarifbindung unzureichend ist, Tarifverträge nicht greifen oder im Niedriglohnbereich liegen". Die Wirtschaftsverbände lehnen einen Mindestlohn ab. Sie befürchten, dass er massenhaft Jobs vernichtet.