Studie der Bertelsmann-Stiftung:Deutschland braucht mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland

  • Die Zahl der Deutschen im erwerbsfähigen Alter wird einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge bis zum Jahr 2050 um etwa 36 Prozent sinken.
  • Dieser Rückgang birgt Gefahren für die wirtschaftliche Stabilität. Er kann weder durch eine höhere Erwerbsquote von Frauen noch durch eine längere Lebensarbeitszeit ausgeglichen werden.
  • Rechnerisch sei das Problem nur durch Zuwanderung zu lösen, schreiben die Forscher. Pro Jahr würden zwischen 276 000 und 491 000 Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten benötigt.

Von Laura Hertreiter, Berlin

Die Arbeitskraft im Land schwindet

Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten stärker auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sein. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge wegen des demografischen Wandels bis 2050 von heute rund 45 Millionen auf weniger als 29 Millionen sinken. Die Lücke, die durch diesen Rückgang von etwa 36 Prozent entsteht, sei ohne Zuwanderung nicht zu schließen, heißt es in der am Freitag vorgestellten Studie.

Die Forscher haben verschiedene Szenarien durchgerechnet, mit denen die Politik auf die Entwicklung reagieren könnte - nahezu alle mit demselben Ergebnis: Weder stark steigende Erwerbsquoten von Frauen noch ein höheres Renteneintrittsalter ab 67 oder sogar 70 Jahren oder eine Ausweitung der Jahresarbeitszeit können den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials aufhalten. Auch die Digitalisierung und technologischer Fortschritt können demnach nichts daran ändern, dass im Jahr 2050 eine große Zahl an Arbeitskräften fehlen wird.

Selbst wenn genauso viele Frauen berufstätig sind wie Männer und sich alle Arbeitnehmer erst mit 70 Jahren in den Ruhestand verabschieden, steige die Zahl potenzieller Arbeitskräfte im Land lediglich um 4,4 Millionen. Damit wäre gerade mal ein gutes Viertel des Bedarfs gedeckt.

Zuwanderung ist die Lösung

Rechnerisch sei das Problem also nur durch Zuwanderung zu lösen, heißt es in der Studie. Man müsse sich vor allem um qualifizierte Menschen aus Nicht-EU-Staaten bemühen, weil die derzeit hohe Zuwanderung aus Ländern der Europäischen Union schon bald deutlich nachlassen werde, sobald sich die dortige Wirtschaft erholt. Die Ergebnisse der Migrationsforscher dürften für die Politik von großem Interesse sein, die derzeit über die Frage streitet, ob die Bundesrepublik ein Einwanderungsgesetz braucht.

Die Experten berechnen in verschiedenen Szenarien, dass Deutschland bis 2050 pro Jahr zwischen 276 000 und 491 000 Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten benötigt. Von dort kamen 2013 allerdings gerade einmal 140 000 Einwanderer ins Land. Und damit nur rund ein Drittel der Zuwanderer. Zudem wanderten die meisten der Drittstaatler aus familiären und humanitären Gründen für ein Studium oder eine Ausbildung nach Deutschland ein. Mit der Blue Card der EU oder über andere Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit kamen laut Studie nicht einmal 25 000 qualifizierte Fachkräfte ins Land.

Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität

Wenn die Arbeitskraft im Land sinkt, wie es Migrationsforscher für Deutschlands alternde und schrumpfende Gesellschaft prognostizieren, gerät auch die wirtschaftliche Stabilität ins Wanken. Unternehmen müssen sich verkleinern, höhere Löhne zahlen oder Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Sozialversicherungsbeiträge und Steuern steigen, weil sich die finanzielle Last auf weniger Schultern verteilt. Es spreche vieles dafür, dass "ein relativ konstantes Erwerbspersonenpotenzial eine Grundvoraussetzung für den Wohlstand in unserem Land ist", schreiben die Experten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Coburg, die von der Bertelsmann-Stiftung mit der Studie beauftragt waren.

Die Deutschen selbst unterschätzen die prognostizierte Entwicklung offenbar bei Weitem. Anfang März hatte die Bertelsmann-Stiftung die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, laut der 28 Prozent der Befragten glauben, dass ihr Heimatland in den kommenden Jahrzehnten ohne Einwanderer gar nicht oder um maximal eine Million Menschen schrumpfen wird.

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