Süddeutsche Zeitung

Altersarmut:"Durchschnittsverdienern droht der soziale Abstieg"

  • Arbeitseinkommen und Renten entwickeln sich immer weiter auseinander.
  • Seit dem Jahr 2000 ist die Kaufkraft der Rentner deutlich gesunken. Noch schlechter sieht es für die aus, die erst in Rente gehen werden.
  • Das Risiko der Armut im Alter steigt damit an.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die 20,6 Millionen Rentner in Deutschland können sich freuen. Von diesem Mittwoch an bekommen sie mehr Geld überwiesen. Ruheständler im Westen erhalten 2,1 Prozent mehr, im Osten der Republik sind es 2,5 Prozent. 2016 sind nach den bisherigen Prognosen sogar Rentenerhöhungen von gut vier Prozent wahrscheinlich. Zumindest in diesem und im nächsten Jahr dürften Rentner nach Abzug der derzeit sehr niedrigen Inflation somit mehr Geld zum Ausgeben haben.

Langfristig sieht die Bilanz jedoch düster aus: Die Kaufkraft der Rentner ist in den vergangenen 15 Jahren deutlich gesunken. Das zeigen Berechnungen des Statistikprofessors Gerd Bosbach, die der Süddeutschen Zeitung  vorliegen.

Danach erhöhten sich die noch zu versteuernden Renten von 2000 bis 2014 in den alten Bundesländern um 15,9 Prozent und in den neuen um 22,9 Prozent. Das wird aber durch die Preissteigerungen von 24,4 Prozent im gleichen Zeitraum mehr als aufgefressen (Grafik). Gleichzeitig ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 15,7 Prozent gestiegen. Bosbach, der Statistik, Mathematik und Empirik an der Fachhochschule Koblenz (Rhein-Ahr-Campus) lehrt, sagt deshalb: "Die Bestandsrentner werden von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt."

Auch die Rentenreformen führen zu niedrigerem Niveau

Bei denjenigen, die neu in den Ruhestand gehen, sieht es noch schlechter aus: Ein langjährig Versicherter mit mindestens 35 Versicherungsjahren erhielt 2000 eine durchschnittliche Altersrente von 1021 Euro. 2014 belief sich das Altersgeld für solche Neurentner nur noch auf 916 Euro. Bosbach rechnet vor: Da in dieser Zeit die Preise um 24,4 Prozent angezogen haben, müsste die heutige erste Durchschnittsrente um etwa 354 Euro oder 38,6 Prozent auf 1270 Euro angehoben werden, um die Kaufkraft einer entsprechenden Rente zur Jahrtausendwende zu erreichen.

Um wie viel Prozent die Renten steigen, hängt unter anderem von der Erhöhung der Bruttolöhne, vom Beitragssatz für die gesetzliche Rentenversicherung und vom Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern. Diverse Rentenreformen haben den Berechnungsmodus beeinflusst und dazu beigetragen, dass das Rentenniveau immer weiter sinkt. 2014 belief es sich noch auf 48 Prozent eines durchschnittlichen Arbeitnehmergehalts in Höhe von 2900 Euro nach Abzug von Sozialabgaben, aber vor Abzug von Steuern. Das sind brutto 1287 Euro. Das Rentenniveau wird allerdings weiter fallen und bis 2030 zumindest nicht unter 43 Prozent geraten. Der Abstand zwischen Arbeitseinkommen und Rente dürfte also in den kommenden Jahren eher größer werden.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Annelie Buntenbach, warnt deshalb vor wachsender Altersarmut: Bei einem Rentenniveau von 43 Prozent "droht auch für Durchschnittsverdiener der soziale Abstieg". Bekomme etwa ein Metallarbeiter bei einem Niveau von 50 Prozent und 2600 Euro Lohn 1100 Euro Rente, seien es bei 43 Prozent nur noch 960 Euro. Der Sozialverband VdK fordert, das Rentenniveau bei 50 Prozent einzufrieren. Die IG Metall verlangt, Renten nach 35 Versicherungsjahren aufzustocken, damit Geringverdiener nicht in der staatlichen Grundsicherung landen und ihnen der Gang zum Sozialamt erspart bleibt.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2015
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