Gut vier Monate ist es her, dass Donald Trump begonnen hat, den Welthandel auf den Kopf zu stellen: Wer Stahl in die USA verschifft, muss seit Juni 25 Prozent Grenzgebühr zahlen, die EU und andere Staaten konterten rasch und erhöhten ihrerseits Zölle auf US-Güter. Damit entfachte Trump aber nicht nur einen Handelskonflikt, er wies auch auf das große Problem der Industrie hin: In den vergangenen Jahren sind - vor allem in China - viel mehr neue Stahlwerke entstanden, als der Weltmarkt braucht. Seitdem schwanken die Preise, sparen die Hersteller Kosten ein, fürchten Stahlarbeiter um ihre Zukunft.
Die Schwierigkeiten der Stahlindustrie rufen nun auch in Deutschland die Politik auf den Plan. An diesem Montag laden die Bundesländer, in denen die Branche mit ihren etwa 85 000 Beschäftigten ansässig ist, erstmals zu einem nationalen Stahlgipfel in Saarbrücken. Hiesige Hersteller stünden vor "immensen Herausforderungen", heißt es im Abschlusspapier einer neuen Allianz, zu der sich die Länder verbünden wollen, das der SZ vorliegt. Neben dem Saarland wollen Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Brandenburg das Dokument unterzeichnen, dazu die Stadtstaaten Hamburg und Bremen. Gemeinsam fordern sie, dass Bund und EU die Stahlindustrie vor strengeren Umweltauflagen und steigenden Stromkosten schützen sollten.
Höhere Zölle
Von Januar bis Juli haben hiesige Hersteller sieben Prozent weniger Stahl in die USA verkauft als im Vorjahreszeitraum, wie die Wirtschaftsvereinigung Stahl mitteilt. Und weil der US-Markt nun abgeschottet sei, werden zudem aus anderen Staaten zehn Prozent mehr Stahl nach Europa verschifft. "Die EU-Importe erreichen dabei historische Höchststände", heißt es von dem Verband. Mittlerweile hat die EU-Kommission vorläufige Zollkontingente eingeführt, bis Jahresende muss sie entscheiden, ob sie die heimische Stahlindustrie auch dauerhaft schützen will.
Stahlindustrie:Wie Trumps Freunde in den Zollstreit eingreifen
Amerikanische Firmen versuchen zu verhindern, dass ihre amerikanischen Konkurrenten von den Stahlzöllen ausgenommen werden. Einige stehen Donald Trump sehr nahe.
Im Kampf gegen die weltweiten Überkapazitäten kritisieren die Stahl-Bundesländer "unilaterale Maßnahmen einzelner Staaten". Dass Trump die Zölle erhöht habe, weil Stahlimporte die nationale Sicherheit der USA gefährdeten, sei "fragwürdig", heißt es in dem Papier: "Handelskonflikte kennen nur Verlierer." Die neue Allianz fordert deshalb, dass die EU heimische Hersteller schützen solle, wenn sich andere Staaten "durch marktverzerrende Subventionen und das damit verbundene Dumping Vorteile verschaffen wollen".
Teurere Verschmutzungsrechte
Immer teurer kommt die Stahlindustrie das viele CO₂ zu stehen, das die Hochöfen ausstoßen, wenn dort Eisenerz und Kokskohle zu Roheisen verarbeitet werden. Denn für jede Tonne des Treibhausgases müssen die Hersteller in Europa Emissionsrechte kaufen. Weil die EU aber immer weniger dieser Zertifikate ausgibt, hat sich deren Preis alleine in den vergangenen zwölf Monaten mehr als verdoppelt. Das verteuert auch Strom aus fossilen Quellen. Beides führe zu "massiven Mehrkosten", teilt die Wirtschaftsvereinigung Stahl mit. Und wenn die EU der Branche künftig noch weniger CO₂-Rechte zuteile, gefährde das auch besonders effiziente Stahlwerke.
Die Stahl-Bundesländer wollen der Industrie deshalb nun Zeit verschaffen: Die Hersteller bräuchten "angemessene zeitliche, technische und finanzielle Handlungsspielräume", damit sie neue Technologien entwickeln könnten, bei denen weniger CO₂ anfalle. Die neue Allianz fordert deshalb, dass der EU-Emissionshandel der Stahlindustrie kostenlos mehr CO₂-Zertifikate zuteilen sollte. Auch solle die Branche "vollumfänglich" dafür kompensiert werden, dass die Strompreise wegen der teureren Verschmutzungsrechte steigen.
Zudem warnen die Bundesländer, dass der Bund der Stahlindustrie keine zusätzlichen Vorgaben machen dürfe, wenn er im nächsten Jahr ein nationales Klimaschutzgesetz beschließt. "Dem Klima ist der Entstehungsort von CO₂ völlig gleichgültig", heißt es in dem Abschlusspapier. Gerade deshalb müssten vergleichsweise klimafreundliche Werke hierzulande "gestärkt werden".
Teure Innovationen
Angesichts der kostspieligen Verschmutzungsrechte forschen die Hersteller längst an umweltschonenden neuen Techniken. Thyssenkrupp etwa tüftelt daran, Treibstoff und Kunstdünger aus den sogenannten Hüttengasen herzustellen, statt sie in die Luft zu pusten. Konkurrenten wie Salzgitter oder Tata arbeiten daran, Erdgas oder Wasserstoff im Hochofen einzusetzen, um Kohle zu sparen.
Die Branche sei für derlei Innovationen aber auf Unterstützung "aus Berlin und Brüssel angewiesen", mahnt die neue Stahl-Allianz: "Die künftigen Belastungen aus dem EU-Emissionsrechtehandel und der notwendige Investitionsaufwand überfordern die Finanzkraft der deutschen Stahlindustrie", heißt es in dem Papier. Es seien große Anstrengungen nötig, damit hiesige Hersteller wettbewerbsfähig blieben, sagt die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger. "Mit der Allianz der Stahl-Länder wollen wir genau deshalb ein Zeichen setzen", so die SPD-Politikerin, die derzeit auch die Wirtschaftsministerkonferenz leitet. "Es geht jetzt darum, die Kräfte zu bündeln, um auf der politischen Ebene die Interessen der heimischen Stahlindustrie noch nachhaltiger vertreten zu können."
Weltweiter Wettbewerb
Die Branche sei nicht nur CO₂-Emittentin, betont Rehlinger: Stahl sei "unverzichtbar", etwa für den Bau von Windrädern oder Elektroautos, trage mithin zu Energiewende und Klimaschutz bei. Doch gerade weil der Werkstoff so wichtig für Brücken, Maschinen und auch Rüstungsgüter ist, will kaum ein Industrieland auf die Produktion vor Ort verzichten.
Mittlerweile würde die Kapazität aller Stahlwerke der Welt ausreichen, um jährlich mehr als 2,4 Milliarden Tonnen herzustellen. Tatsächlich produzierte die Branche im vergangenen Jahr aber nur knapp 1,7 Milliarden Tonnen, berichtet der Weltstahlverband, und deckte den globalen Bedarf damit locker.
Immerhin prognostiziert der Verband, dass die Nachfrage im kommenden Jahr weiter steigen wird. Allerdings sagen Analysten voraus, dass die jährliche Nachfrage des weltgrößten Stahlverbrauchers China allmählich ihren Gipfel erreichen könnte. "Die Risiken liegen unserer Ansicht nach vor allem in einer schwächeren Nachfrage der Schwellenländer", schreiben die Analysten der Commerzbank, "und den nachfragedämpfenden Importzöllen vieler Länder." Der transatlantische Handelskonflikt wirft also dunkle Schatten voraus.