Süddeutsche Zeitung

Stromverbrauch:Sparsam nur im Labor

Viele Fernseher in den USA brauchen im Alltag wohl viel mehr Energie als versprochen. Und auch in Europa könnte auf dieselbe Weise getrickst werden. Der Schaden für Verbraucher und Umwelt dürfte immens sein.

Von Stephan Radomsky

Zehn Minuten lang zuckt und flimmert es über den Bildschirm, schnelle Schnitte, das Bild wechselt von hell zu dunkel. Die Handlung? Nebensache. Wenn das standardisierte Testvideo der International Electrotechnical Commission läuft, zählt nur eines: der Stromverbrauch. Und der ist beim Abspielen dieses Videos offenbar besonders niedrig. Das legt zumindest eine Untersuchung der US-Umweltschutzorganisation NRDC nahe, die die Süddeutsche Zeitung vorab einsehen konnte.

Sobald die erste Minute des Testvideos läuft, so die Umweltschützer, verhalte sich der Fernseher plötzlich anders: "Wir haben ein unerklärlich starkes und dauerhaftes Abfallen im Energieverbrauch bei Geräten verschiedener Hersteller beobachtet." Umgekehrt hieße das: Die getesteten Geräte verbrauchen im heimischen Wohnzimmer deutlich mehr Strom als im Labor gemessen - und im Geschäft versprochen. Im Auftrag der NRDC wurden insgesamt sieben Modelle untersucht. Sie kommen von den Herstellern Samsung und LG sowie von der nur in den USA vertriebenen Marke Vizio. Samsung und LG sind weltweit und auf dem europäischen Markt die beiden mit Abstand größten Hersteller.

Das erinnert an die Abgas-Affäre: Die Geräte erkennen offenbar, ob der Test gerade läuft

Die Vorwürfe der Umweltschützer erinnern an die Abgasmanipulationen bei VW. Der Verdacht: Die Fernseher erkennen die Prüfsituation im Labor und schalten in einen besonders sparsamen Modus. Das hieße, es könnte sich um eine eingebaute Betrugssoftware handeln, um ein sogenanntes Defeat Device. Das würde aber gegen geltende Vorgaben verstoßen und müsse ausgeschlossen werden, heißt es dazu aus der EU-Kommission. Bereits im vergangenen Jahr habe man daher wegen ähnlicher Vorwürfe die nationalen Behörden alarmiert, um mögliche Defeat Devices in Fernsehgeräten aufzuspüren.

TV-Marktführer Samsung betont dagegen, dass sich das Energielabel lediglich auf die Werkseinstellungen der Geräte beziehe. Das sei auch unproblematisch: "Die Mehrheit der Kunden bleibt während der Lebenszeit des Fernsehers bei den Werkseinstellungen", schreibt der Konzern. Den Vorwurf der Umweltschützer, das Unternehmen täusche die Kunden, weist Samsung zurück. "Unsere Fernseher sind vereinbar mit den Richtlinien und Vorgaben der US-Behörden." Ob dies auch für Europa gelte, wollte das Unternehmen zunächst aber nicht beantworten. Auch LG bestreitet die Vorwürfe. Man halte sich an die entsprechenden Vorgaben und suche auch nicht nach Schlupflöchern im Testverfahren. Auch LG spricht dabei aber nur die neuen Vorwürfe aus den USA an. Die Prüfung der Umweltschützer bezog sich auf die Testmethoden des US-Energieministeriums für neue TV-Geräte.

Tatsächlich belegt die NRDC-Studie den Einsatz von Defeat Devices nicht zweifelsfrei. Trotzdem vermuten die US-Umweltschützer, dass die TV-Geräte den Testfilm aktiv erkennen. Ähnliche Vorwürfe hatte im vergangenen Jahr bereits die staatliche schwedische Energieagentur in einem Schreiben an die EU-Kommission erhoben. Prüfer der Agentur hätten Fernseher entdeckt, die offenkundig den offiziellen Testfilm erkannt hätten. Das sei "ein Weg, um die Marktüberwachungsbehörden zu umgehen und sollte von der EU-Kommission aufgegriffen werden". Auf Anfrage heißt es dazu aus Brüssel, der derzeit diskutierte Entwurf für eine neue Verordnung zum Energie-Label greife auch das Thema Defeat Devices auf.

Nach Ansicht des europäischen Naturschutz-Dachverbands EEB liegt der Verdacht nahe, dass in Europa dasselbe wie in den USA möglich sei. Zwar wurden bei dem NRDC-Test ausschließlich in Amerika erhältliche Fernseher untersucht. Samsung und LG verkauften aber auch hierzulande Geräte aus denselben Produktlinien. Außerdem ähnelten sich die Messverfahren, so werde in europäischen Labors beispielsweise derselbe Zehn-Minuten-Testfilm der IEC gezeigt.

Technisch aufwendig sei das Erkennen des Testfilms nicht, schreiben die US-Umweltschützer. Das Video beinhalte für den Alltag ungewöhnlich viele und schnelle Bildschnitte.

Auf diese reagierten die Geräte über mögliche Defeat Devices hinaus oft auch standardmäßig, indem sie die Hintergrundbeleuchtung des Bildschirms während der Schnitte dämpfen oder abschalten. Diese Automatik bringe im Testverfahren mit den vielen Bildschnitten überdurchschnittlich hohe Einsparungen, so sinke der Verbrauch eines LG-Modells damit im normalen Betrieb um 13 Prozent, beim Laborfilm hingegen um 58 Prozent.

In einem zweiten Schritt hatte das NRDC zudem insgesamt 21 TV-Modelle verschiedener Hersteller im Laden testen lassen. Viele davon schalteten demnach aber beispielsweise die Dimmer-Automatik einfach ab, sobald die Werkseinstellungen verändert wurden - ohne den Nutzer darüber zu informieren, dass der Verbrauch des Geräts teils drastisch steigt. Sobald also etwa das meist recht dunkel eingestellte Bild heller oder kontrastreicher gemacht wird, wäre es vorbei mit der Sparsamkeit. LG teilte dazu mit, derzeit arbeite man an Software-Updates für aktuelle TV-Modelle, damit diese die Nutzer auf den möglichen Mehrverbrauch durch das Ändern der Einstellungen hinweisen.

Die Nachteile aus diesem Eigenleben ihrer TV-Geräte trügen die Verbraucher und die Natur, kritisieren die Umweltschützer: Ändere nur ein Drittel der amerikanischen Besitzer von Fernsehern der drei getesten Marken die Einstellungen, könnte das über zehn Jahre Strom-Mehrkosten von umgerechnet 1,1 Milliarden Euro verursachen, rechnet das NRDC vor. In Europa dürften die entsprechenden Zusatzkosten sogar noch höher liegen. Hier leben mehr Menschen als in den Vereinigten Staaten - und Strom ist teurer.

Aus diesem Grund hatten die europäischen Naturschützer vom EEB zuletzt auch ein eigenes Testprogramm für Hausgeräte angekündigt: Insgesamt 400 000 Euro will der Verband ausgeben, um die Verbrauchswerte von Fernsehern, Kühlschränken und anderen Geräten unter alltagsnahen Bedingungen ermitteln zu lassen. Die Ergebnisse sollen noch in diesem Jahr veröffentlicht werden.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2016
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