Energiekrise:Wind- und Solarenergie retten die EU - vorerst

Energiekrise: Blick auf einen Solarpark, im Hintergrund sind Windräder zu sehen.

Blick auf einen Solarpark, im Hintergrund sind Windräder zu sehen.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Der milde Winter und die hohen Preise haben beim Stromsparen geholfen - und der Ausbau von Wind- und Solarenergie hat die EU vor einer schlimmeren Energiekrise bewahrt. Das zeigt eine Analyse.

Von Thomas Hummel

Ein erheblicher Zuwachs an Wind- und vor allem Solarenergie sowie ein starker Rückgang des Stromverbrauchs in den vergangenen Monaten hat die Europäische Union im Jahr 2022 vor einer schlimmeren Energiekrise bewahrt. Zu diesem Schluss kommt die britische Umwelt- und Energie-Denkfabrik Ember in ihrer Analyse "European Electricity Review" zum Strommarkt der EU. Demnach haben Windkraft und Photovoltaik erstmals mehr als ein Fünftel (22 Prozent) zum Verbrauch beigetragen. Währenddessen ist die aus Klimagründen gefürchtete Neubelebung der Kohle weitgehend ausgeblieben.

"Die Energiekrise hat die Umstellung der Stromversorgung in Europa zweifellos beschleunigt", erklärt Dave Jones, Leiter des Daten-Teams bei Ember. Europa sei auf dem Weg zu einer sauberen, elektrifizierten Wirtschaft - und das werde 2023 auch weiter an Fahrt aufnehmen. Jones glaubt: "Der Wandel kommt schnell, und jeder muss darauf vorbereitet sein." Frans Timmermans, zuständig für Klimaschutz in der EU-Kommission, spricht von einer bemerkenswerten Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien. "Vor allem bei Offshore-Windkraftanlagen und Solaranlagen auf Dächern sind die Zahlen beeindruckend." Das Ziel der Europäischen Union, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 45 Prozent zu erhöhen, sei zwar ehrgeizig, sagt Timmermans, aber durchaus realisierbar.

Moskaus Angriffskrieg in der Ukraine und die startende Abkopplung der europäischen Länder vom Rohstofflieferanten Russland führte zu Unsicherheiten und enorm steigenden Preisen. Obwohl im Laufe des Jahres immer weniger Erdgas aus Russland nach Westen floss, blieb der Gas-Anteil an der europäischen Stromerzeugung in etwa stabil (plus 0,8 Prozent). Teure Flüssigerdgas-Importe vor allem aus den USA und Katar per Schiff sprangen ein.

Stark zurück ging hingegen die Produktion aus Atom- und Wasserkraft. Letzteres aufgrund der schlimmen Dürre in weiten Teilen Europas. Bei der Kernkraft nahm Deutschland Ende 2021 drei Kraftwerke außer Betrieb. Frankreich musste aufgrund von Schäden, Wassermangel und Streiks phasenweise fast die Hälfte seiner 56 Reaktoren herunterfahren. Dadurch entstand laut Ember eine Lücke von 185 Terawattstunden (TWh), was etwa sieben Prozent des europäischen Strombedarfs 2022 entspricht. Mehr Energie aus Wind und Solar kompensierte demnach fünf Sechstel dieser Lücke. Nur ein Sechstel musste durch fossile Brennstoffe ersetzt werden, das meiste davon mit Kohlekraft.

Der milde Winter half beim Stromsparen

Vor allem Deutschland, aber auch andere Länder, schlossen insgesamt 26 bereits stillgelegte Kohlekraftwerke wieder ans Netz. Aus Angst vor Energieknappheit kauften die Europäer, was sie kriegen konnten. Nach dem Kohle-Embargo gegen Russland im August vor allem in Südafrika, Australien, Indonesien und Kolumbien. Die Kohle-Einfuhren stiegen im Vergleich zu 2021 um mehr als 50 Prozent. Doch zwei Drittel dieser Mehreinfuhren von insgesamt 22 Millionen Tonnen Kohle liegen nach Ember-Analyse noch in Lagern, weil sie nicht gebraucht wurden. Die 26 zusätzlichen Kohleblöcke waren nur zu durchschnittlich 18 Prozent ausgelastet.

Das lag vor allem an einem starken Einbruch der Stromnachfrage von September an. Lag der Verbrauch bis dahin im Bereich der Vorjahre, sank er im letzten Quartal um fast acht Prozent ab. Selbst zu Beginn der Corona-Pandemie ging es nicht viel weiter nach unten. Der milde Winter in Europa half beim Stromsparen, viele Unternehmen und Bürger spürten zudem immer stärker die hohen Preise und sparten. Dadurch sank auch die Verstromung durch Kohle in den letzten vier Monaten 2022 unter die Marken des Vorjahres.

Der Wandel hin zu erneuerbaren Energien, prognostiziert Ember, werde sich in diesem Jahr fortsetzen und verstärken. Darauf deuteten Hinweise aus der Energiebranche hin. Europäische Wind- und Solarkonzerne rechneten mit einem Zuwachs der Stromerzeugung um 20 Prozent. Um ebenfalls 20 Prozent gehe demnach die Strommenge durch fossile Energien zurück. Vor allem das teure Gas werde aus dem Markt gedrängt. "Die europäischen Länder sind nicht nur nach wie vor entschlossen, aus der Kohle auszusteigen, sondern streben nun auch den Ausstieg aus Gas an", analysiert Daten-Chef Jones.

Windräder sind aufwändiger zu installieren als Photovoltaik-Module

Vor allem der Boom in der Photovoltaik dürfte anhalten. Politische Fördermaßnahmen sowie der Abbau bürokratischer Hürden führen in mehreren europäischen Ländern dazu, dass der Anteil der Sonnenenergie am Strommix Jahr um Jahr zulegt. In den Niederlanden zum Beispiel von einem Prozent im Jahr 2015 auf inzwischen 14 Prozent - Tendenz weiterhin steigend. Ähnlich sieht es in Griechenland aus.

Der Aufschwung bei der Windkraft lässt hingegen noch auf sich warten. Ein mehrere Millionen Euro teures Windrad in die Landschaft oder ins Meer zu setzen, dauert länger als die Montage von Photovoltaik-Modulen. An politischen Weichenstellungen fehlt es allerdings nicht. Am Montag einigte sich die Bundesregierung darauf, die Notfallverordnung der EU zur schnelleren Genehmigung vor allem von Windrädern und Stromleitungen schnell umzusetzen. In den kommenden eineinhalb Jahren können demnach auf geeigneten Flächen umwelt- und artenschutzrechtliche Prüfungen entfallen, der Ersatz älterer Windräder durch leistungsstärkere neue soll erleichtert werden. "Die Bundesregierung hat heute einen Windausbau-Beschleuniger auf den Weg gebracht, wie wir ihn noch nicht hatten", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Das ist auch nötig, wenn die Bundesregierung ihre Ziele erreichen will. Im Jahr 2022 kamen Windanlagen mit etwa 2,4 Gigawatt dazu. Nun muss das Ausbautempo erheblich zulegen. Eigentlich sollten schon in diesem Jahr fünf Gigawatt neu installiert werden, die Branche zweifelt allerdings, dass das umsetzbar ist. 2024 sollen es schon acht Gigawatt sein und von 2025 an zehn Gigawatt jährlich. Ein gigantisches Vorhaben, aber wohl notwendig, will Deutschland im Jahr 2030 80 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien erhalten. 2022 waren es 46 Prozent.

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