Strom- und Gaspreise:Warum die EU-Länder wegen der steigenden Energiepreise streiten

Flamme eines eingeschalteten Gasherd s

Die EU-Energieminister debattieren am Dienstag über die hohen Strom- und Gaspreise.

(Foto: Ralph Peters/imago)

Die Mitgliedstaaten sehen unterschiedliche Ursachen für die Krise auf dem Strom- und Gasmarkt - und werben dementsprechend für unterschiedliche Lösungen.

Von Björn Finke, Brüssel

Jetzt führen die Minister die Debatte ihrer Vorgesetzten fort. Vergangene Woche haben die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel mehr als vier Stunden lang über die rasant steigenden Strom- und Gaspreise diskutiert. An diesem Dienstag tauschen sich nun die für Energie zuständigen Minister und Staatssekretäre bei einem Treffen in Luxemburg über das heikle Thema aus. Ein Konsens, was die Hauptursachen für die hohen Kosten sind, oder gar Beschlüsse von Gegenmaßnahmen sind nicht zu erwarten, denn dafür gibt es zu viele und zu tiefe Gräben.

Deutschland gehört zum Lager jener Staaten, deren Regierungen zu Besonnenheit mahnen und Reformen des Strom- und Gasmarkts ablehnen. Pünktlich zum Ministertreffen haben die Bundesregierung und acht weitere Länder - Österreich, die Niederlande, Luxemburg, Irland, Finnland, Dänemark, Estland und Litauen - ein zweiseitiges Positionspapier veröffentlicht, in dem sie erklären, dass das Design der Energiemärkte oder die EU-Klimaschutzpolitik nicht verantwortlich seien für die teuren Preise. Die beste Antwort seien befristete und gezielte Hilfen der nationalen Regierungen für besonders betroffene Verbraucher und Unternehmen. Auf mittlere Sicht würde der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien helfen, weniger abhängig von Gasimporten zu werden. Zudem "können wir keinerlei Maßnahmen unterstützen, die in Konflikt mit dem gemeinsamen Gas- und Elektrizitätsmarkt stehen, zum Beispiel eine Ad-hoc-Reform des Großmarktes für Strom", heißt es am Ende des Dokuments.

Doch genau solche Reformen fordert eine andere Gruppe von Regierungen: Spanien, Frankreich, Griechenland, Tschechien und Rumänien sprechen sich in einem Positionspapier für gemeinsame Gasbestellungen und Regeländerungen beim Strommarkt aus. Ihnen missfällt, dass der Strompreis im Moment de facto dem teuren Gaspreis folgt; sie wollen beide entkoppeln. Aber die EU-Kommission argumentiert ganz im Sinne des Lagers um Deutschland, dass sich die Regeln bewährt hätten.

Bisher bestimmt das teuerste Kraftwerk den Preis auf den europäischen Strommärkten. Dies führt zu niedrigen Preisen, wenn die Nachfrage mit Wind-, Wasser-, Solar- und Kernkraftwerken gedeckt werden kann, die sehr geringe laufende Kosten haben. Doch im Moment ist es auch nötig, teures Gas in Kraftwerken zu verbrennen: Damit steigen die Strom- mit den Gaspreisen. Das findet insbesondere Frankreichs Regierung unfair, weil das Land Strom vergleichsweise billig produziert - dank der vielen Atommeiler. Da aber bislang nicht die nationalen Durchschnittskosten für den Strompreis ausschlaggebend sind, orientierten sich Frankreichs Preise an teuren Gaskraftwerken "in Deutschland und sonstwo", klagte der Pariser Finanzminister Bruno Le Maire kürzlich in einer Rede.

Ist Atomstrom grün?

Der zweite Graben betrifft das Klimaschutzpaket der EU: Die Regierungen von Polen und Ungarn nutzen den Ärger über die hohen Preise als Munition gegen das ehrgeizige Programm, das ebenfalls fossile Energie verteuern würde. Besonders umstritten ist der Plan, den Emissionshandel auf Wohnen und Verkehr auszuweiten. Bislang müssen Kraftwerke und viele Industriebetriebe Verschmutzungsrechte vorweisen, wenn sie Klimagase in die Atmosphäre blasen. Diese Kohlendioxid-Zertifikate sind handelbar. Laut eines Vorschlags der Kommission sollen künftig auch Händler Verschmutzungsrechte erwerben müssen, wenn sie Benzin sowie Öl und Gas zum Heizen verkaufen. Diese Belastung würde letztlich die Verbraucher treffen. Viele Regierungen halten das für politisches Gift; am meisten Stunk machen nun eben Ungarn und Polen. Regierungen wie die deutsche warnen allerdings davor, Abstriche beim Klimaschutz vorzunehmen, nur weil gerade die Strom- und Gaspreise hoch sind.

Beim dritten Graben geht es um die Kernkraft. Die Kommission entscheidet bald, ob Investitionen in Atommeiler als klimafreundlich gelten sollen. Das könnte Kredite für solche Projekte verbilligen. Frankreich nimmt die Gaskrise zum Anlass, für Kernkraft im Energiemix zu werben - und für die Einordnung als grünes Investment. Zusammen mit Finnland und acht osteuropäischen Staaten veröffentlichte Paris einen entsprechenden Aufruf. Auf der anderen Seite des Grabens stehen bei diesem Streit unter anderem Deutschland, Österreich und Luxemburg.

Allerdings verbuchte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Erfolg auf dem Gipfel vorige Woche. Denn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte hinterher bei der Pressekonferenz ausdrücklich, dass Kernkraft Teil des "Energiemixes der Zukunft" sei: Die EU brauche mehr erneuerbare Energien, aber parallel dazu auch "eine stabile Quelle - Kernkraft - und für den Übergang Erdgas". Es gibt also am Dienstag wirklich einiges zu bereden für die Energieminister.

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