Süddeutsche Zeitung

Stromnetz-Ausbauplan der Bundesregierung:Biete Strom, suche Netz

Ein windiger Plan: Wo Atomkraft fehlt, soll vor allem Windkraft einspringen. Doch der Wind weht im Norden, Strom fehlt im Süden. Deutschland ist bisher schlecht vernetzt. Die Bundesregierung präsentiert nun, wie sich das ändern soll.

Vor anderthalb Jahren legte Deutschland acht Atomkraftwerke still - seitdem läuft die Energiewende, eines der größten Projekte der Bundesregierung. Wie gut der Umbau der Energieversorgung vorwärts kommt, erklärt der neue Monitoringbericht von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt (PDF). Klar ist: Die Energiewende bleibt eine Herausforderung. "Aufgrund des langsamen Netzausbaus sind zur Sicherstellung der Versorgung in Süddeutschland zusätzliche Maßnahmen erforderlich", heißt es im Bericht. "Die Situation in Süddeutschland wird voraussichtlich angespannt bleiben." Mit einer durchschnittlichen Unterbrechungsdauer von 15,3 Minuten im Jahr 2011 stehe Deutschland aber weiterhin mit an der Spitze der Staaten mit der größten Zuverlässigkeit.

Die für die Energiewende verantwortlichen Mitglieder der Bundesregierung, Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), stellten den Monitoringbericht vor - dementsprechend positiv fällt ihr eigenes Fazit aus. "Wir sind ein gutes Stück vorangekommen", sagte Rösler. Altmaier bezeichnete die Energiewende als wichtigste Herausforderung seit dem Wiederaufbau und der deutschen Einheit.

Um den Monitoringbericht kritisch zu begutachten, hat die Regierung eine vierköpfige Expertenkommission bestellt. Sie sehen Probleme bei der Versorgungssicherheit. "Es ist kein gutes Zeichen, wenn im Süden der Republik viele Menschen Blackouts fürchten", sagte Georg Erdmann, Professor an der Technischen Universität Berlin, der Augsburger Allgemeinen. "In einigen Kategorien steht die Ampel schon auf Grün, in anderen ist sie aber noch tiefrot."

Worum geht es bei der Energiewende?

Die Energiewende vollzieht sich nicht von alleine. Atomkraftwerke aus-, zur Überbrückung Kohle- und Gaskraftwerke anschalten, Wind- und Sonnenenergie ausbauen - damit das funktioniert, müssen quer durch Deutschland Tausende Kilometer Hoch- und Höchstspannungsleitungen gebaut werden. Denn die Stromerzeugung verändert sich radikal: An der Nordsee sollen in den kommenden zehn Jahren Windparks mit einer Leistung von sechs Atomkraftwerken ans Netz gehen - im Süden der Republik werden bis dahin sechs Meiler stillgelegt. Aus dem Norden und dem Osten muss der Ökostrom also irgendwie in Süd- und Westrichtung transportiert werden.

Warum verändert der Ökostrom die Anforderungen an das Stromnetz so stark?

Mit Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken entsteht Strom vor allem dort, wo er gebraucht wird. Beim Ökostrom sind die Menschen auf die Natur angewiesen. Windräder laufen nicht, wenn nicht zumindest eine leichte Brise weht. Deshalb wird nun viel Strom an Orten erzeugt, wo er gar nicht gebraucht wird, wie zum Beispiel auf Offshore-Anlagen im Meer. Strom muss also aus dem örtlichen Verteilernetz in das überregionale Übertragungsnetz gespeist und abtransportiert werden.

Fehlen notwendige Leitungen, kommt es zu paradoxen Folgen: In diesem Jahr standen allein im Zuständigkeitsbereich des Netzbetreibers 50 Hertz, der die neuen Bundesländer, Berlin und Hamburg umfasst, die Windräder an 68 Tagen still. Dabei fehlte es nicht an Wind - die Netze konnten den Strom einfach nicht aufnehmen. Atom- und Kohlekraftwerke erzeugen außerdem viel Strom auf einmal - Wind- und Sonnenenergie werden hingegen über viel kleinere Anlagen generiert, außerdem schwankt die Stromerzeugung im Tagesverlauf.

Um welche Trassen geht es?

Das Bundeskabinett hat an diesem Mittwoch den Stromnetz-Ausbauplan beschlossen. Grob gerechnet 2800 Kilometer neue Stromleitungen müssten demnach in den kommenden Jahren errichtet werden, der Großteil davon in Gleichstromtechnik. Auf weiteren 2800 Kilometern werden bestehende Leitungen aufgerüstet - immer mit dem gleichen Ziel: Der Strom muss aus dem Norden weg.

Konkret sieht das etwa so aus: Eine der größten Trassen soll von Emden aus rund 660 Kilometer südwärts nach Philippsburg verlaufen, wo der EnBW-Konzern noch bis 2019 ein Atomkraftwerk betreiben will. "Wenn Philippsburg vom Netz geht, muss diese Leitung laufen", heißt es beim Bauherrn Amprion, einem der vier Netzbetreiber in Deutschland, die für den Ausbau der Netze verantwortlich sind. Eine weitere Trasse mit einer Länge von 600 Kilometern soll zwischen Wilster bei Itzehoe hinunter nach Grafenrheinfeld entstehen. Dort muss Eon schon 2015 ein weiteres AKW dichtmachen. So gelangt Windstrom von der See dorthin, wo früher atomare Brennstäbe Wasser erhitzten - und zwar per "Hochspannungsgleichstromübertragung", mit Stromautobahnen bislang unbekannten Ausmaßes.

Wer hat den Plan aufgestellt?

Die Netzbetreiber haben zunächst ein Zukunftsszenario entworfen, welche Maßnahmen bis 2022 nötig sind, um ganz Deutschland auch ohne Atomkraftwerke mit Strom zu versorgen. Darin schlugen die vier Übertragungsnetzbetreiber, 50 Hertz, Amprion, TransnetBW und Tennet, 74 Projekte zum Netzausbau vor, darunter vier große Stromautobahnen. Im Anschluss konnten Interessengruppen wie lokale Bauernverbände und die Energiekonzerne Stellungnahmen abgeben (PDF). Letztendlich hat die Bundesnetzagentur von den vorgeschlagenen 74 Maßnahmen 51 bestätigt.

Drei große Stromtrassen sollen nun gebaut werden, Gesamtlänge etwa 2800 Kilometer. Ende November gab die Netzagentur die geprüfte Version des Netzentwicklungsplans an Wirtschaftsminister Rösler weiter. Nun ist der Plan Grundlage für das an diesem Mittwoch im Bundeskabinett beschlossene Bundesbedarfsplangesetz. Neben den drei großen Stromautobahnen enthält das Gesetz 32 weitere Maßnahmen, zum Beispiel die Optimierung bestehender Trassen durch leistungsstärkere Kabel.

Wie viel kostet der Netzausbau?

In ihrem Netzentwicklungsplan veranschlagten die Übertragungsnetzbetreiber die Kosten für den Netzausbau mit 20 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren, also zwei Milliarden pro Jahr. Die Bundesregierung sagt bisher lediglich, dass die "gegenwärtig laufenden Prüfungen" zeigen werden, inwieweit es bei dieser Summe bleibe. Im Sommer verkündete die Bundesnetzagentur aber, dass die Kosten für den Netzausbau günstiger ausfallen werden als ursprünglich gedacht. Denn viele bislang eingeplante Kosten wären auch ohne Energiewende angefallen, zum Beispiel Reparaturkosten von Stromtrassen.

Warum dauert der Netzausbau so lange?

Wer sich die Karte anschaut, welche Trassen bereits gebaut wurden und wo noch Lücken sind, dem fällt auf: Manchmal stoppt die Leitung an der Grenze eines Bundeslandes. Der Föderalismus schlägt zu. Der Chef der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, sagte im SZ-Interview vor kurzem:

"Wir müssen die Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Bau von Stromtrassen beschleunigen. Stromtrassen, die Ländergrenzen überschreiten, sollten künftig zentral auf Bundesebene geplant und genehmigt werden. Es gibt Projekte, die fünf Länder durchqueren. Das heißt bisher: fünf Prozesse, fünf Behörden, fünf Genehmigungen. So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen für solche Projekte eine zentrale Genehmigungsbehörde, die natürlich sehr eng mit den Ländern zusammenarbeiten muss."

Wirtschaftsminister Rösler möchte außerdem Auflagen für Umwelt- und Naturschutz aushebeln, die auf EU-Ebene geregelt sind. "Dabei geht es vor allem um das Fauna-Flora-Habitat sowie die Vogelschutz-Richtlinie", sagte er der FAZ. "Jedem Beteiligten muss klar sein, dass wir auf die Herausforderungen der Energiewende auch unbequeme Antworten geben müssen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1554445
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/bbr/bero/ratz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.