Süddeutsche Zeitung

Stromnetz:Altmaier bereist die Orte des Widerstands

Lesezeit: 4 min

Von Michael Bauchmüller, Köln

Als es gar nicht mehr ging, musste die Baustelle erst einmal Pause machen. "Da haben wir etwas Kluges gemacht", sagt Andreas Cerbe, Netzvorstand des Kölner Versorgers Rhein-Energie. "Wir haben die Bagger gestoppt und neu geplant." Ein acht Kilometer langes Kabel wollte das Kölner Stadtwerk verlegen. Unter der Erde, aber nah an Wohnhäusern. Doch mit dem Widerstand hatte auch Cerbe nicht gerechnet. "Ein halbes Jahr hatten wir jeden Morgen um halb acht Krisenstab." Doch als die Trasse neu geplant war, legte sich der Widerstand. Sie ist jetzt neun Kilometer lang und nicht acht, macht einen Bogen um einige Viertel. Aber dafür transportiert sie auch Strom.

Es sind Geschichten wie diese, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dieser Tage zu hören bekommt. Altmaier hat sich auf "Netzreise" begeben, zu Orten, an denen Stromnetze gebaut werden sollen, aber auf Widerstände stoßen. Zur "Chefsache" wolle er den Ausbau der Stromnetze machen, sagt der Minister. "Es ist eine Aufgabe, der sich die Bundespolitik bisher so nicht gestellt hat."

Landwirte empfangen den Minister mit einem Plakat: "Unser Land gibt's nicht für lau"

Tatsächlich sind die Fortschritte bislang mau. Schon 2009 beschloss der Bund ein Energieleitungsausbaugesetz, es brachte Trassen von 1800 Kilometer Länge auf den Weg. Doch neun Jahre später sind erst 800 Kilometer gebaut, weitere 350 Kilometer genehmigt. Zwischen April und Juni wurden ganze 21 Kilometer fertig. 2013 kam ein weiteres Gesetz hinzu, es regelt vor allem den Ausbau der großen Stromleitungen von Nord nach Süd. Insgesamt 5900 Kilometer Leitungen sieht es vor, 2900 Kilometer davon als komplett neue Trassen, den Rest als Verstärkung bestehender Netze. Gebaut sind davon 150 Kilometer, im zweiten Quartal des Jahres ganze vier. "Die Stunde der Wahrheit ist gekommen", sagt Altmaier. "Wir haben nicht mehr viel Zeit."

Mit einem "Aktionsplan Stromnetz" will er dem Fortschritt nun Beine machen. Denn zunehmend erweisen sich die Stromnetze auch als Engpass für den Ausbau erneuerbarer Energien. Das wiederum macht nicht nur teure Eingriffe in das Stromnetz nötig. Auch der einheitliche Strommarkt in Deutschland steht infrage, wenn Elektrizität im Norden stets im Überfluss vorhanden, aber im Süden oft Mangelware ist. Bisher konnte Berlin diesen einheitlichen Markt verteidigen, doch die EU macht Druck.

Um die Engpässe zu beheben, will Altmaier nun das bestehende Netz besser auslasten. Technische Möglichkeiten gibt es, etwa durch spezielle Leitungen, die auch bei hohen Temperaturen noch viel Strom transportieren können. Oder durch klügeres Management: Bei niedrigen Außentemperaturen lässt sich mehr Strom durchleiten als bei hohen. Auch ließe sich der Stromfluss gezielter steuern als bisher.

Parallel dazu will er den Ausbau vorantreiben. Dazu sollen Bund, Länder und Netzbetreiber sich künftig häufiger darüber abstimmen, wo Projekte stehen oder haken. Dieses "Controlling" soll vor allem Behörden auf Trab bringen, die sich bisher wenig um die neuen Leitungen mühen. Auch eine Beschleunigung von Planungsverfahren will Altmaier prüfen - und unnötige Zusatzplanungen verhindern. Wo etwa eine neue große Stromtrasse entsteht, sollen künftig auch Leerrohre möglich sein. Die Kapazität ließe sich so leicht noch steigern.

Probleme aber bleiben, und sie sind reichlich. Die Erdkabel sind zwar nun nicht mehr so sichtbar wie Freileitungen, aber Bürger sorgen sich wegen der elektromagnetischen Strahlung. Autobahnen müssen gequert werden, ebenso Moore und Mittelgebirge. Große Konverterstationen werden nötig, um Wechselstrom in Gleichstrom zu wandeln - der sich dann über große Strecken mit wenig Verlust transportieren lässt. Er wolle, sagt Altmaier, nun dahin gehen, "wo die Dinge im Argen liegen". Und am Ende solle das alles in einen "großen gesellschaftspolitischen Konsens" münden.

Ob es gelingt? Grüne und Umweltschützer wittern schon ein Manöver, um den Ausbau der erneuerbaren Energien abzuwürgen. Altmaier missbrauche das Versagen beim Netzausbau als Argument für das Ausbremsen beim Ökostromausbau, sagt Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. "Das ist perfide." Und Hubert Weiger, Chef des Umweltverbands BUND, hält viele der geplanten neuen Leitungen für unnötig. "Intelligentere und dezentralere Alternativen werden derzeit nicht ausreichend geprüft", sagt Weiger. "Das muss sich schnell ändern."

Bei einem Umspannwerk im rheinischen Sechtem, vor den Toren Bonns, erwarten den Minister am Mittwoch Bauern. Leitungen sollen hier neu gebaut werden, die Landwirte verlangen eine Kompensation, und zwar Jahr für Jahr. "Unser Land gibt's nicht für lau", steht auf den Transparenten, oder: "Wir kommen wieder". Man habe ja nichts gegen die neuen Leitungen, sagt ein Landwirt. Aber es müsse fair zugehen, auch auf den Äckern. Darüber, sagt Altmaier, müsse man reden. Mehr verspricht er nicht.

Noch komplizierter ist die Lage ein paar Kilometer weiter, in Hürth. Eine bestehende Leitung soll dort ausgebaut werden, mitten durch Ortsteile. 6600 Menschen, sagt Bürgermeister Dirk Breuer (CDU), seien dadurch unmittelbar betroffen, erste Klagen vor dem Verwaltungsgericht waren schon erfolgreich. Die Hürther hätten gerne ein Erdkabel. Aber die Leitung, eine Megatrasse von Nord nach Süd, wird das kaum beschleunigen. Altmaiers Vorschlag: reden.

Diejenigen jedoch, die bisher die Bürgerdialoge in den betroffenen Regionen organisieren, schöpfen nun Hoffnung. Schließlich wolle die Bundesregierung den Ausbau erneuerbarer Energien noch beschleunigen, sagt Peter Ahmels, der für die Deutsche Umwelthilfe an den Dialogveranstaltungen mitgewirkt hat. "Das wird noch einige weitere Kilometer neue Netze nach sich ziehen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Bürger mehr Vertrauen fassen." Altmaiers Plan gehe "in die richtige Richtung".

Auch zu den Plänen der Kölner RheinEnergie hatten die Anwohner erst Vertrauen fassen müssen. Er habe, erzählt Netz-Vorstand Cerbe, in einigen Wohnzimmern gesessen, um die Pläne selbst zu erläutern. Manchmal sei ihm der pure Hass entgegengeschlagen. "Insofern", sagt Cerbe zu Altmaier, "wünsche ich Ihnen alles Gute für das, was Sie da vorhaben."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4093411
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.08.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.