Wenn der Strom ausfällt, muss erst mal der Techniker losfahren. Er klappert jede Netzstation ab, um den Fehler zu finden. Bis zu mehreren Dutzend dieser quadratischen Kästen mit den gelben Warndreiecken sind das in einem Versorgungsgebiet. Das kann ganz schön lange dauern, auch wenn es Suchalgorithmen gibt, die die Fehlersuche strukturierter machen.
Im Schnitt dauert es eine Dreiviertelstunde, bis der Strom wieder fließt, jeder Stromkunde erlebt das alle zwei bis drei Jahre mal. Aber bitte: Kann man das nicht schneller lösen? Tatsächlich ist das Stromnetz nicht digitalisiert, die Betreiber wissen also weder, wie viel Strom an welcher Stelle durchs Netz fließt, noch, wo ein Problem auftaucht.
Deutschland ist dabei, seinen Verkehr und seine Wärme zu dekarbonisieren, also zu elektrifizieren, und braucht dafür immer mehr Strom. Der kommt heute nicht mehr aus ein paar Dutzend Großkraftwerken, sondern aus acht Millionen Kleinstanlagen wie Windrädern oder Solarpanels. Das Stromnetz, das mal für ganz andere Spannungsebenen und eine geringere Last gebaut wurde, stellt das vor große Herausforderungen. Etwa, wenn die Sonne mal besonders intensiv scheint oder außergewöhnlich starker Wind weht.
Ist das Netz gestört, betrifft das immer mehr Bereiche im Alltag
Wenn dann der Wind auch noch einen Strommast umweht, ein Traktor einen Mast umsäbelt, ein Bagger ein unterirdisches Kabel durchtrennt oder einfach das Material versagt, steht plötzlich alles still: Das Elektroauto lädt nicht mehr, die Wärmepumpe bleibt stehen. Störungen im Netz bringen immer größere Einschnitte im täglichen Leben mit sich. Deshalb braucht es ein stärkeres, zuverlässigeres Stromnetz. Netze BW, der Stromnetzbetreiber im Südwesten, will deswegen seinen Netzen beibringen, wie sie sich selbst heilen können.
Im baden-württembergischen Allgäu fließt der Strom durch Freileitungen und Wälder, und weil die alten Masten der Witterung ausgesetzt sind, kommt es dort besonders oft zu Störungen – gut 222 Mal im Jahr. Ein ideales Testgebiet also für die selbstheilenden Netze. Netze BW stattet dort seine Stationen mit einer Sensorik aus, die Bescheid gibt, wenn was klemmt.
In einem Mittelspannungsstromnetz sind die Netzstationen in sogenannten offenen Ringen angeordnet. Wenn es irgendwo einen Fehler gibt, soll das Netz einfach auf einen anderen Stromkreis umschalten: Die Sensorik erkennt den Fehler, das System sucht automatisch eine Umschaltoption und schickt den Schaltbefehl an die intelligenten Netzstationen, die dann den neuen Stromfluss in Gang setzen. All das soll in wenigen Sekunden passieren, so schnell, dass niemand was von der Störung mitbekommt. Am Ende muss trotzdem noch ein Techniker kommen und etwa das defekte Kabel reparieren. Doch der Strom ist dann idealerweise für die meisten Kunden schon wieder da, und er weiß schon, wo er hinmuss.
Weil allein Netze BW rund 25 000 solcher Netzstationen hat, „kann man nicht mal eben alle nachrüsten“, sagt Martin Konermann, technischer Geschäftsführer des Netzbetreibers. „Da muss man clever vorgehen.“ Im Allgäu fangen seine Leute an, erst mal nur Stationen an wichtigen Punkten im Netz zu digitalisieren, nach und nach dann mehr. Damit der Strom zukünftig nur Sekunden und nicht 45 Minuten lang ausfällt.