Süddeutsche Zeitung

Stresstest:Woran die Banken kranken

Die 51 größten Geldinstitute in Europa müssen sich einer Prüfung unterziehen: Bei einigen von ihnen wird das Kapital nicht ausreichen.

Von Harald Freiberger, Ulrike Sauer und Meike Schreiber, München/Rom/Frankfurt

Europas Bankensystem steht auch acht Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise noch auf keinem sicheren Fundament. Die Europäische Zentralbank (EZB) veröffentlichte am Freitagabend die Ergebnisse des Stresstests für die 51 größten Institute. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe standen sie noch nicht fest. Allerdings hatten Testläufe vorher schon deutliche Kapitalmängel bei einer Reihe von Instituten offenbart. Adam Farkas, Chef der Bankenaufsicht Eba, sagte, man habe beim Aufräumen der Bankbilanzen in Europa erst den halben Weg hinter sich.

Was wurde erwartet?

Der Stresstest zeigt, wie sich die Kapitaldecke von Banken entwickeln würde - unter einer normalen und einer harten Annahme für die nächsten drei Jahre. Analysten simulierten den Test schon und kamen zu dem Ergebnis, dass die italienischen Großbanken Unicredit und Monte dei Paschi di Siena am schlechtesten dastünden, außerdem die Deutsche Bank. Am besten kommen demnach die schwedischen Institute Swedbank und SEB weg.

Warum macht man den Stresstest?

Bereits seit 2009 durchleuchten Europas Aufseher alle zwei bis drei Jahre die großen und mittelgroßen Banken. Zwar haben die Banken ihre Bilanzen auch selber regelmäßig getestet, aber nach der Finanzkrise wollten die Aufseher durch eigene Tests sicherstellen, dass die Banken wieder so gesund werden, dass sie nicht noch einmal staatlich gerettet werden müssen. Nicht zuletzt geht es auch darum, die Banken transparenter machen, damit ihnen die Investoren wieder ihr Kapital anvertrauen. Für eine nachhaltige Erholung der europäischen Wirtschaft sind schließlich dringend starke Banken gefragt. Nach Darstellung der EBA, jener Behörde, die den Test durchführt, soll der aktuelle Bilanz-Check nun Daten liefern, die dann mit jeder einzelnen Bank durchgesprochen werden. Aus den Zahlen lässt sich einiges über die Verfassung des Instituts ablesen. Gerade professionelle Anleger werden sich die Daten deshalb genau ansehen. Über Monate wurde der Stresstest weniger stark beachtet als in den vergangenen Jahren. Doch die Diskussion um die Stabilität italienischer Banken und die Folgen des Brexits haben ihn in den Fokus gerückt.

Wie sehen die Stress-Szenarien aus?

Der Test legt zwei Szenarien zugrunde. Eines geht davon aus, dass sich die Wirtschaft bis Ende 2018 so entwickelt wie von der EU erwartet. Das Augenmerk liegt aber vor allem auf dem harten Stress-Szenario, das eine deutlich schlechtere Entwicklung annimmt. Die Wirtschaft in Europa würde demnach 2016 und 2017 um 1,2 und 1,3 Prozent schrumpfen und 2018 nur um 0,7 Prozent wachsen. Das wäre ähnlich schlimm wie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise nach 2008. Die hypothetischen Folgen: Börsenkurse stürzen ab, der Euro verliert stark an Wert, Immobilienpreise brechen ein, die US-Zinsen steigen. Der Test prüft, wie sich das Kapital einer Bank in diesem Fall entwickeln würde. Was ist anders als beim letzten Test? Die Methodik entwickelt sich von Mal zu Mal weiter. Bei den ersten Übungen herrschte noch ziemliches Chaos, so wurden regelmäßig Banken durchgewunken, die kurz darauf staatlich gerettet mussten. Inzwischen hat sich die Sache besser eingespielt. Beim aktuellen Stresstest zum Beispiel gibt es anders als in den Jahren zuvor keine Durchfaller. Man hat gemerkt, dass es nicht unbedingt hilfreich ist, eine Bank an den Pranger zu stellen, wenn es ihr sowieso schon schlecht geht. Zudem beunruhigt es die Finanzmärkte. Außerdem werden im aktuellen Test erstmals so genannte "Verhaltensrisiken" getestet, die zu hohen Strafen führen können.

Gibt es Kritiker des Stresstests?

Wie auch schon die Jahre zuvor gab es auch diesmal harte Kritik. Bemängelt wird zum Beispiel, dass die Tests bislang nicht viel gebracht hätten, weil viele Investoren Europas Banken weiterhin misstrauten. Die Befürworter bestreiten das nicht, führen es aber darauf zurück, dass man aus den vergangenen Tests keine ausreichenden Konsequenzen gezogen hat und etwa die italienischen Problem-Banken ihre Krise verschleppt hätten. Zudem wird kritisiert, dass die Aufseher beim aktuellen Test die Negativzinsen außen vor gelassen haben, also jene Strafzinsen, die Banken bezahlen müssen, wenn sie Überschüsse bei der Zentralbank hinterlegen. Das hätte die EZB nur weggelassen, weil sie die Gefahren ihrer eigenen Geldpolitik nicht offenbaren wollte, sagen Kritiker. Sie sehen einen "unlösbaren Interessenkonflikt" von Geldpolitik und Bankenaufsicht. Die Aufseher halten dagegen, die Auswirkungen seien vergleichbar mit einem Negativszenario. Letzteres hätte keine viel relevanteren Erkenntnisse gebracht. Schließlich wird wieder kritisiert, dass die Tests immer Krisenszenarien der Vergangenheit prüfen. So werden erstmals Rechtsrisiken abgefragt, obwohl der Höhepunkt der Milliardenstrafen überschritten scheint.

Warum steht Italien im Fokus?

Den größten Stress bescherte die Bilanzprüfung in den vergangenen Wochen Italien. Das viertgrößte Bankensystem der Euro-Zone kämpft gegen die Folgen einer langen Rezession. In den Büchern der Geldinstitute standen im April auch nach kräftigen Abschreibungen immer noch 83 Milliarden Euro notleidender Kredite, bei denen Zins und Tilgung nicht mehr zurückgezahlt werden. Das klamme Land pumpte in der Finanzkrise keine Steuergelder in seine Banken, anders als die USA, Deutschland, Großbritannien oder Spanien. Das rächt sich nun, denn seit 2014 sind in Europa Staatshilfen verboten. Als im vergangenen November vier kleine mittelitalienische Regionalbanken, die weniger als ein Prozent der Branche repräsentieren, abgewickelt werden mussten, bat Regierungschef Matteo Renzi nicht die Steuerzahler, sondern die Anleger zur Kasse. Viele Sparer verloren ihr Geld. Internationale Investoren flohen aus italienischen Bankaktien.

Wo lauert in Italien die Gefahr?

Von den fünf italienischen Testteilnehmern muss vor allem eine Bank mit einem schlechten Zeugnis rechnen: die toskanische Traditionsbank Monte dei Paschi di Siena, das drittgrößte Institut des Landes. Bei den beiden Mailänder Großbanken Unicredit und Banca Intesa sowie den norditalienischen Volksbanken Ubi und Banco Popolare sieht man der Prüfung gelassener entgegen. Anders bei der Krisenbank Monte dei Paschi. Die Hybris ihrer ehemaligen Chefs und systematische Finanzbetrügereien brachten sie 2011 an den Rand des Zusammenbruchs. Die Bank wurde saniert, doch immer noch hat sie 47 Milliarden Euro Problemkredite in der Bilanz. Nun bemüht man sich in Siena, einen Ausweg zu finden, der von den europäischen Aufsehern akzeptiert wird.

Wie soll das Institut gerettet werden?

Die Nerven in der ehemaligen Wohlstandshochburg Siena in der Toskana waren am Freitag zum Zerreißen gespannt. Der Verwaltungsrat von Monte dei Paschi wartete auf eine zertifizierte E-Mail von der Bankenaufsicht der EZB. Anfang der Woche hatte man in Frankfurt einen Rettungsplan vorgelegt. Noch vor der Veröffentlichung der Stresstests am späten Abend hofften die Bankmanager in Siena, eine Zustimmung der Aufseher zu erhalten. Der Plan sieht einen Abbau von 27 Milliarden Euro notleidender Kredite vor. Netto knapp zehn Milliarden Euro fauler Forderungen würden dann aus der Bilanz verschwinden. Die problematischsten Kredite soll der Bank der private Abwicklungsfonds Atlas abnehmen, der Rest am Markt verkauft werden. Eine Kapitalerhöhung um fünf Milliarden Euro soll das Institut zudem wieder auf festen Boden stellen. Bei dem Versuch steht Monte dei Paschi die US-Bank JP Morgan zur Seite. Die Bildung eines Garantiekonsortiums aus acht internationalen Instituten stand nach Informationen von Reuters kurz vor dem Abschluss. Angeheizt wird der Siena-Thriller durch die Bedeutung, die sein Ausgang für die gesamte Branche in Italien hätte. Wird die Gefahr einer Abwicklung des Monte dei Paschi gebannt, sinkt auch die Angst, dass andere Banken Ähnliches erleben könnten.

Was passiert nach dem Stresstest?

Es gibt keine unmittelbaren Folgen. Die Aufseher werden die Ergebnisse des Tests aber für künftige Gespräche mit den Banken verwenden. Ende des Jahres wird die Systematik umgestellt. Es gibt dann keine festen Kapital-Mindestquoten mehr, die für alle Banken gelten. Die Aufseher legen für jedes Institut einen individuellen Kapitalpuffer fest. Seine Höhe ist abhängig davon, wie riskant das Geschäftsmodell und die Anlagen der Bank sind. Ist die Kapitaldecke zu dünn, kann die Aufsicht der Bank ab Ende des Jahres die Zahlung von Boni und Dividenden verbieten. Sofort reagieren müssen Banken nur, wenn sich ihre Kapitaldecke nun beim Stresstest schon im normalen Szenario als zu dünn herausstellen würde.

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Quelle:
SZ vom 30.07.2016
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