Streitgespräch:Ist der Euro noch zu retten?

Nobelpreisträger Stiglitz glaubt, dass der Euro auseinanderbricht, wenn er nicht reformiert wird. Princeton-Ökonom Brunnermeier denkt, dass die Währung als Sündenbock für tiefer liegende Probleme dient.

Interview von Andrea Rexer

Joe Stiglitz ist in gewissem Sinne sein Großvater - nämlich sein Doktorgroßvater - erzählt Markus Brunnermeier. Denn der deutsche Ökonom, der seit vielen Jahren an der US-Eliteuniversität Princeton lehrt, hat bei einer Wissenschaftlerin promoviert, die wiederum bei Stiglitz ihren Doktor gemacht hat. Man könnte also meinen, die beiden kämen aus einer Denkschule. Doch in den beiden Büchern, die sie gerade zu Europa veröffentlicht haben, kommen sie dennoch zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Im Interview erklären sie ihre unterschiedlichen Einschätzungen zur Zukunft Europas, der Welt nach der US-Wahl und was die Politik gegen wachsende Ungleichheit unternehmen sollte.

SZ: Sie haben beide ein Buch über Europa geschrieben. Sie kennen und Sie schätzen sich. Während aber Herr Brunnermeier, glaubt, dass der Euro überlebt, glaubt Herr Stiglitz, dass der Euro auseinanderbricht. Wie kann das sein?

Stiglitz: Wir sind uns einig darin, dass der Euro große Probleme hat und dringend reformiert werden muss. Doch während Markus optimistisch ist, dass die Politik im letzten Moment handeln und eine Lösung finden wird, glaube ich das nicht. Der Höhepunkt einer Krise ist nicht der beste Moment, um Grundsätzliches zu klären. Schon in den 90er-Jahren hat es die Politik nicht geschafft, bessere Regeln zu schaffen, weil die Länder zu unterschiedliche Interessen hatten. Und das ist im Laufe der Krisenjahre nicht besser geworden, im Gegenteil: die Länder sind ökonomisch noch weiter auseinandergedriftet. Deswegen sind die ideologischen Gräben in der Wirtschaftspolitik, die Markus in seinem Buch beschreibt, jetzt noch tiefer als je zuvor.

Herr Brunnermeier, stimmen Sie Herrn Stiglitz zu, dass der Euro neue Regeln, neue Institutionen braucht?

Brunnermeier: Es würde schon helfen, wenn wir Europäer die bestehenden Regeln mit Leben füllen. Europa muss erst mal eine ganze Reihe von Missverständnissen ausräumen. Sich gegenseitig vorzuwerfen, dass die einen weniger arbeiten als die anderen, bringt niemanden weiter. Wir brauchen eine ehrliche öffentliche Debatte über die Wirtschaftspolitik.

Stiglitz: Das wäre sinnvoll. Das Problem ist, dass die Finanzmärkte keine Geduld für solch langwierige Diskussionen haben. Und wir wissen spätestens seit der US-Wahl auch, dass die Bürger ungeduldig sind. Sie wollen Entscheidungen sehen, die ihnen persönlich Vorteile bringen. Ein solcher Diskussionsprozess müsste also rasch Ergebnisse erzielen. Ich befürchte aber, dass die Geduld der Märkte und der Bürger dazu nicht reicht.

Brunnermeier: Aber anders als in den USA ist sich die Mehrheit der europäischen Bürger darin einig, dass sie einen Sozialstaat wollen, der Ungleichheiten ausgleicht. Die Streitigkeiten drehen sich nur darum, wie man das erreichen kann. Es gibt in Europa viel mehr Einigkeit, als viele denken. Das sieht man auch an der Bankenunion. Hier wurden große Fortschritte erzielt, die man vorher für unmöglich hielt.

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Die größte Herausforderung der nächsten Jahre für die Weltwirtschaft sieht Joseph Stiglitz darin, "durch den Dschungel von Trumps Entscheidungen zu finden." Markus Brunnermeier (li.) hofft, dass der neue US-Präsident Europa den Impuls gibt, enger zusammenzuarbeiten.

(Foto: Bloomberg/Getty Images)

Stiglitz: Nun, das wäre schön. Mich beunruhigen Aussagen wie jene des EZB-Präsidenten Mario Draghi und anderen, die einen zu großzügigen Sozialstaat als Problem für die EU-Peripheriestaaten ausmachen. Und die Reformen, die einigen Ländern aufgezwungen wurden, haben deren Sozialstaat ausgehöhlt. Und genau das hat zur steigenden Ungleichheit in diesen Ländern beigetragen.

Aber was tun, wenn das Geld nicht reicht, um den Sozialstaat zu finanzieren? Machen Sie sich es nicht etwas leicht mit Ihrer Forderung, das sollen alles einfach die Deutschen zahlen?

Stiglitz: Sie müssten diese Frage gar nicht stellen, wenn nur die Wirtschaft in diesen Ländern laufen würde. Dann könnten sie ihren Sozialstaat selbst finanzieren. Das ist der Knackpunkt. Der Euro ist schuld am schwachen Wachstum. Die schwachen Länder sind gezwungen, sich den stärkeren Ländern anzupassen. Sie tragen die Kosten für die notwendigen Anpassungen.

Brunnermeier: Das sehe ich anders. Ich glaube, dass sich einige Länder vom Leistungsprinzip verabschiedet haben, das unserer Wirtschaft zugrunde liegt. Es gibt Ineffizienzen, die behoben werden müssen. In manchen Ländern haben die Regierungen schlicht viel zu viel ausgegeben - und ich rede nicht von Spanien und Irland.

Stiglitz: Aber genau die Tatsache, dass diese beiden Länder kein Problem mit den Staatsausgaben hatten, aber trotzdem in die Krise geschlittert sind, zeigt doch, dass Strukturreformen nicht die Lösung sein können. Die Struktur der Eurozone selbst ist es, die Ungleichgewichte zwischen den Ländern verursacht. Es wurde nie festgelegt, was passiert, wenn ein Land etwas tut, das negative Konsequenzen für ein anderes Land hat. Wenn ein Land ständig Überschüsse produziert, haben andere automatisch immer Defizite.

Brunnermeier: Viele nationale Politiker haben die Tendenz alles Schlechte Europa oder dem Euro zuzuschreiben, und das Gute ist der Verdienst der nationalen Politik. Oft jedoch liegen die Probleme zu Hause. Man muss auch höllisch aufpassen, dass man keine dauerhafte Transferunion schafft. Denn was dann passiert, zeigt das Beispiel Italien. Der Norden finanziert den Süden. Dadurch ist im Süden die Wirtschaftsinfrastruktur ausgestorben. Dauerhafte Subventionen zementieren Ungleichheit.

Markus Brunnermeier

Es ist kein Zufall, dass der deutsche Ökonom sein aktuelles Buch gemeinsam mit einem Franzosen und einem Briten geschrieben hat: Die drei Wissenschaftler wollen in "The Euro and the Battle of Ideas" zeigen, inwieweit unterschiedliche Ideologien zur Krise in Europa beigetragen haben. Markus Brunnermeier (47) leitet das Bensdorf Center for Finance an der US-Eliteuniversität Princeton. Geholt hat den Experten für Finanzstabilität niemand geringerer als der ehemalige Chef der US-Notenbank Ben Bernanke.

Stiglitz: In den USA gibt es ständig hohe Zahlungen zwischen den Staaten. Wir sehen das schlicht und einfach als den Preis, den wir für die gemeinsame Währung zahlen. Klar kann es in einer Währungsunion falsche Anreize geben. Aber die kann man mit klugen Regeln korrigieren.

Wie müssten diese Regeln für den Euro aussehen?

Stiglitz: Zunächst müsste die Bankenunion funktionieren - und zwar nicht nur die Aufsicht, sondern auch die Bankenabwicklung und eine gemeinsame Einlagensicherung. Ein weiterer zentraler Grund, warum in den USA die gemeinsame Währung funktioniert, ist, dass es über die Staaten hinweg eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung und andere Sozialausgaben gibt, die in einer Krise den Abschwung dämpfen. Das muss man nicht mit Transfers lösen, sondern könnte Untergrenzen für Sozialleistungen festlegen, die in den Ländern unterschiedlich ausfallen können. Auch Eurobonds, gemeinsame Staatsanleihen könnte man so gestalten, dass die Fehlanreize minimieren werden. Dazu hat Markus sehr gute Lösungsansätze vorgelegt.

Manche Ökonomen fordern, dass Länder flexibel aus dem Euro ein- und austreten können.

Brunnermeier: Ich halte es für gefährlich, wenn Staaten nach Lust und Laune ein- und austreten können. Denn dann werden sie zum Spielball der Spekulanten. Was ich mir vorstellen kann, ist, dass es Schuldenrestrukturierungen gibt, die im Ernstfall Druck aus dem System nehmen können.

Stiglitz: Ich finde, die Eurozone sollte sich eine Pause gönnen - als Ganzes. Die Länder haben viel erreicht, aber nicht genug. Deswegen schlage ich vor, es sollte für eine Zeitlang einen deutschen Euro und einen griechischen Euro geben, der innerhalb bestimmter Grenzen gehandelt werden kann. Wenn die Länder es geschafft haben, über mehrere Jahre stabile Wechselkurse zu halten, dann können sie zurück zu einer gemeinsamen Währung kehren. Diese Zwischenzeit kann dazu genutzt werden, die notwendigen Kooperationsmechanismen zu etablieren.

Brunnermeier: Ich bin skeptisch. Ich glaube auch in diesem Fall, dass Spekulanten die unterschiedlichen Euros attackieren würden. Ich glaube auch nicht, dass eine lange Pause gut ist. Man kann sich Europa wie ein Fahrrad vorstellen. Wenn es zu langsam fährt, fällt es um.

Stiglitz: Meine Sorge ist, dass das Euro-Fahrrad umfällt, weil die Einzelteile nicht zusammenhalten. Die sollte man in Ruhe reparieren.

Würden Sie den Euro zugunsten der Europäischen Union opfern?

Stiglitz: Die EU ist viel wichtiger als der Euro. Die Währung sollte eigentlich nur die politische Union unterstützen. Sie sollte für mehr Wohlstand sorgen, genau wie es bei der Globalisierung versprochen wurde. Jetzt muss man den Menschen erklären, warum sie dafür Opfer bringen sollen. Es ist klar, dass die Wähler aufgebracht sind.

Brunnermeier: Wenn der Euro geopfert wird, ist es wahrscheinlich, dass die EU auch zu Bruch geht. Zudem gibt es viele der sogenannten Europrobleme auch anderswo. Der Euro dient als Sündenbock für alles Mögliche.

Joseph Stiglitz

Ein wortgewaltiger Kritiker des Euros war der Nobelpreisträger schon immer. In seinem aktuellen Werk "Europa spart sich kaputt" zeichnet Stiglitz akribisch nach, welche Maßnahmen die Krise seiner Meinung nach verschlimmert haben. Als Berater des spanischen und des griechischen Premierministers hat der 73-Jährige direkte Einblicke gewonnen. Stiglitz lehrt an der Columbia University in New York. Von 1997 bis 2000 war er Chefökonom der Weltbank, 2001 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis.

Stiglitz: Natürlich ist der Euro nicht an allem schuld, aber er macht viele Probleme schlimmer.

Brunnermeier: Warum lösen wir dann nicht zuerst die zugrunde liegenden Probleme?

Stiglitz: Weil wir es nicht können. Die Ungleichheit wird steigen, weil so viele verschiedene Faktoren dazu beitragen.

Auch in den US-Wahlen hat Ungleichheit eine große Rolle gespielt. Wie lässt sich Ungleichheit bekämpfen?

Brunnermeier: Zumindest ist eine Diskussion darüber in Gang gekommen, nach dem Brexit und der US-Wahl. Allerdings sind jene Antworten, die nationalistische Töne anschlagen, gefährlich. Die Ungleichheit wird vor allem durch den enormen Reichtumszuwachs des obersten einen Prozents getrieben. Und darauf sehe ich weder in Großbritannien noch in den USA eine Antwort. Es ist unwahrscheinlich, dass Trump den Milliardären Abgaben aufzwingt. Ich glaube, dass in die Debatte auch vieles andere hineinspielt. Etwa, dass die Mittelschicht in den ländlichen Regionen der USA sich nicht mehr von den Eliten in New York oder im Silicon Valley sagen lassen will, wie sie zu leben hat.

Stiglitz: Ich glaube, dass in den USA in der gegenwärtigen politischen Konstellation die Ungleichheit rapide ansteigen wird. Aber immerhin haben die Demokraten selbst mit einer schwachen Kandidatin enorm viele Stimmen gewonnen. Das stimmt mich für die nächsten Wahlen optimistisch, weil die Menschen die Politik der Demokraten unterstützen.

Welche Konsequenzen wird Trump für Europa haben?

Stiglitz: Sein Protektionismus wird China stärker treffen als Europa. Vielleicht kommt am Ende alles nicht ganz so schlimm. Er hat ja ein Kabinett aus lauter Milliardären eingesetzt, die allesamt von freiem Handel profitieren.

Brunnermeier: Es könnte für Europa ein Impuls sein, enger zusammenzuarbeiten. Vor allem, was die Sicherheitspolitik angeht. Die USA zieht sich international zurück, weswegen Europa international mehr Verantwortung übernehmen muss.

Was ist die größte Herausforderung der kommenden Jahre?

Stiglitz: Durch den Dschungel von Trumps Entscheidungen zu finden. Wir stehen am Beginn einer enormen Unsicherheit für die Wirtschaft. Trump fühlt sich an nichts gebunden, was er einmal gesagt hat.

Brunnermeier: Die größte Herausforderung wird sein, die internationalen Verträge aufrecht zu erhalten.

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