Streit um Target-2-Salden:Ein Professor, der Äpfel, Birnen und Bananen addiert

Es klingt wie ein Skandal: Der Chef des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn glaubt, in der Bilanz der Bundesbank ein Risiko von mehr als 500 Milliarden Euro für den deutschen Steuerzahler gefunden zu haben. Aber seine Rechnung ist unlauter.

Claus Hulverscheidt

Der Münchner Fußballlehrer Jupp Heynckes ist in den vergangenen Tagen gleich mehrmals mit fröhlichem Gesichtsausdruck gesehen worden, nachdem er in den Wochen zuvor oft mit ernster Miene aufgetreten war. Man darf annehmen, dass die unterschiedliche Mimik mit den Spielergebnissen zusammenhängt, die der FC Bayern auf den Sportplätzen des Landes produziert hat. Jedenfalls käme niemand auf die Idee, dass Heynckes' Mienenspiel das eigentliche Ereignis ist, und nicht Spiegel des Siegs gegen Basel wie der Niederlage zuvor in Leverkusen. Nicht einmal Hans-Werner Sinn.

Streit um Target-2-Salden: Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Institut.

Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Institut.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Das ist erwähnenswert, weil der Chef des Ifo-Instituts an anderer Stelle nicht immer Ursache und Wirkung auseinanderhält. So glaubt Sinn, in der Bilanz der Bundesbank ein Risiko für die deutschen Steuerzahler von mehr als 500 Milliarden Euro entdeckt zu haben, das sich im Laufe der Euro-Schuldenkrise aufgetürmt hat. Die Bundesregierung, so sein Vorwurf, verschweige den Bürgern das. Wäre es so, wäre es ein Skandal. Es ist aber nicht so.

Es geht in dem Streit um die sogenannten Target-2-Salden zwischen den Notenbanken der Euro-Länder, die seit 2008 stark gestiegen sind. Target 2 ist ein Verrechnungssystem, um Geld der Europäischen Zentralbank (EZB) in den 17 Mitgliedstaaten der Währungsunion zu verteilen. Das Geld landet bei den Geschäftsbanken, die es dann untereinander verleihen oder als Kredit vor allem an Firmen weitergeben. Als Sicherheiten hinterlegen die Banken dafür Wertpapiere bei der EZB. Nun gelten seit Ausbruch der Schuldenkrise einzelne Staaten wie Irland nur noch als bedingt kreditwürdig. Für deren Banken heißt das, dass sie etwa von deutschen Instituten kaum noch Darlehen bekommen. Sie müssen sich also über die EZB, konkret über die irische Notenbank, refinanzieren. Deutsche Banken hingegen brauchen kaum EZB-Mittel, weil ausländische Sparer ihr Kapital hierzulande anlegen. Vereinfacht gesagt, wird so Zentralbankgeld aus Deutschland nach Irland umgeleitet.

In der Target-Bilanz wird das durch eine entsprechende Forderung der Bundesbank und eine Verbindlichkeit der Bank von Irland gegenüber der EZB vermerkt. Da aber beide Notenbanken Teil des gleichen Systems sind, steht unter dem Strich eine Null. Sinn will das nicht wahrhaben und zieht mit markigen Sprüchen gegen die Target-"Kredite" zu Felde. Diese seien entstanden, so heißt es in seiner jüngsten Philippika, weil sich die südlichen Euro-Länder "die elektronische Notenpresse geliehen und Geld wie Heu gedruckt haben". Rechnet man alle Risiken der Euro-Rettungspakete zusammen (Griechenland-Kredite, EFSF-Garantien, IWF-Einlagen, Anleihekäufe der EZB, Target-Forderungen), kommt man demnach auf mehr als 800 Milliarden Euro - allein für Deutschland.

Target-Salden sind keine Kredite

Mit solch einer wilden Addition von Äpfeln, Birnen und Bananen wird man natürlich in Talkshows eingeladen; unlauter ist sie dennoch. Das gilt vor allem für die Einstufung einer statistischen Rechengröße wie der Target-Salden als "Kredite". Die Salden sind Ausdruck der Krise, nicht ihre Ursache, so wie Heynckes' Mimik der Spiegel äußerer Ereignisse ist. Man stelle sich vor, es gäbe die nationalen Notenbanken nicht mehr, sondern nur noch die EZB. Die Lage bliebe die gleiche, die Target-Salden aber wären weg. In dem Maß, in dem die Euro-Krise abebbt, werden sich auch die Salden zurückbilden - ohne die von Sinn geforderte "Tilgung", ganz von alleine.

Selbst wenn ein Land aus der Euro-Zone austräte und bestehende Verbindlichkeiten einfach ignorieren würde, müsste die Bundesbank lediglich gemäß ihres EZB-Kapitalanteils haften - unabhängig von der Höhe der eigenen Target-Forderungen. Nur bei einem vollständigen Auseinanderbrechen der Währungsunion geriete das System wirklich aus den Fugen. Dann aber wären die Target-Salden Europas kleinstes Problem.

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