Streit um Milchpreise:Es fehlt ein Rezept für die Milch

  • Ein fairer Preis für die Milch - darauf können sich im aktuellen Streit noch alle einigen. Wie er zu erreichen ist, darüber gehen die Meinungen von Politikern und sogar der Bauernverbände auseinander.
  • Viele Milchbauern kämpfen um ihre Existenz, weil der Preis für Milch drastisch gefallen ist.
  • Ihrem Unmut machen Tausende Landwirte bei Protesten in Brüssel Luft. Das erhöht den Druck auf die EU-Agrarminister, Hilfen zu beschließen.

Von Thomas Hahn, Rendsburg

Christian Schmidt spürt den Druck, der vom Land her kommt, das kann er nicht leugnen. Der Bundesagrarminister von der CSU hängt eigentlich der Vorstellung an, dass der Markt der Landwirtschaft sich selbst reguliert. Er findet es gut, dass die EU im April die Milchquote abschaffte, mit der sie ab 1984 30 Jahre lang versucht hatte, die Milchpreise stabil zu halten. Aber der Markt hat eben seine Launen. Das Russland-Embargo kostet Abnehmer, die Nachfrage in China ist eingebrochen, und die Bauern haben zu eifrig investiert in ihre neue Freiheit, so viel Milch zu produzieren, wie sie wollen. Jetzt ist zu viel Milch da.

Die Preise sind verfallen. Die Bauern fordern lautstark Hilfe von der Politik. Und Christian Schmidt blickt ohne Illusion auf die Sondersitzung des EU-Agrarrats an diesem Montag in Brüssel. "Wenn wir Montagnacht nichts haben, das wir auf den Tisch legen können", sagt er, "wird die Enttäuschung groß sein."

Aber was hilft den Landwirten in der Milchpreiskrise? Das ist die Frage, und Schmidt hat dabei noch keine sehr entschlossene Figur gemacht. Die Direktzahlungen aus dem EU-Fördertopf würde er gerne vorzeitig ausschütten, damit die Bauern wieder flüssig sind - auch wenn das für die Länderverwaltungen schwer umzusetzen wäre. Aber sonst?

Am Freitag schaute Schmidt beim schleswig-holsteinischen Landesbauerntag in Rendsburg vorbei und hinterließ ein paar Gedanken zur Krisenbewältigung, die selbst Werner Schwarz, der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), "nicht konkret genug" fand. "Keiner ist da, der wirklich ein Rezept hat", sagte Schmidt in seiner Ansprache, seine Botschaft lautete: Es wird nicht leicht, im Agrarrat eine gemeinsame Lösung zu finden. Später stand Schleswig-Holsteins Agrarminister Robert Habeck von den Grünen ratlos in der Veranstaltungshalle und sagte: "Ich habe nicht begriffen, wie die Verhandlungsstrategie für Montag sein soll. Wahrscheinlich bin ich zu doof dafür."

Habeck selbst hat eine klare Position in der aktuellen Debatte. Er teilt sie mit den anderen sechs grünen Landes-Agrarministern. Gemeinsam haben Ulrike Höfken (Rheinland-Pfalz), Priska Hinz (Hessen), Alexander Bonde (Baden-Württemberg), Joachim Lohse (Bremen), Christian Meyer (Niedersachen), Johannes Remmel (Nordrhein-Westfalen) und er ihrem Bundeskollegen einen Brief mit auf den Weg nach Brüssel gegeben. "Leider hat die Entwicklung der letzten Monate unsere seit längerem vorgetragene Position bestätigt, dass das verbliebene Kriseninstrumentarium auf EU-Ebene nach Wegfall der Milchquote nicht ausreicht", heißt es darin, und: "Setzen Sie sich dafür ein, die erheblichen Mittel aus der Superabgabe, 2014/2015 für die Milchwirtschaft und für EU-Maßnahmen der freiwilligen Mengenreduktion im Milchangebot zu verwenden."

Sollen sich Landwirte am Weltmarkt orientieren?

Mit Superabgabe ist die Geldbuße gemeint, welche Bauern zahlen mussten, die vor der Abschaffung der Quote zu viel Milch produzierten. In Deutschland kamen durch diese Zahlungen 300 Millionen Euro zusammen. Schmidt hatte in Rendsburg gesagt, dass man die "im Kreislauf der Landwirtschaft halten" müsse. Die grünen Agrarminister werden da konkreter mit ihrem Vorschlag, das Geld an jene zu verteilen, die sich nicht am fatalen Wettproduzieren beteiligen. Ihr Ziel: "Eine Beruhigung der Märkte durch extensive Produktion und mehr ökologische Leistung", sagt Habeck.

Die Position passt zur grünen Grundeinstellung, eine Landwirtschaft zu wollen, die Lebensmittelqualität wichtiger nimmt als Massenproduktion. Sie steht gegen die Haltung konservativer Agrarpolitiker wie Schmidt oder EU-Agrarkommissar Phil Hogan, nach der man vor allem Exportchancen verbessern müsse. Im Streit um die richtigen Schlüsse aus dem Milchpreis-Verfall geht es damit auch um die agrarpolitische Grundsatzfrage: Sollen sich EU-Landwirte am Weltmarkt orientieren oder am grünen Bekenntnis zu bodenständiger Bäuerlichkeit?

Was die Bauern wollen

Nicht einmal die Bauernschaft selbst ist sich einig in diesem Streit: Der Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) klagt über die Folgen des ungesteuerten Marktes. Für Montag hat er zu einer Demonstration "für eine Mengenkürzung auf dem Milchmarkt" aufgerufen. Der Deutsche Bauernverband dagegen steht zum befreiten Markt. DBV-Vizepräsident Schwarz hält "nicht viel" vom grünen Vorschlag: Der greife zu langsam und sei nicht praktikabel. Schwarz ist dafür, den Interventionspreis "angemessen anzuheben", jenen Mindestpreis also, für den der Staat Betrieben etwa Milchpulver abkaufen kann, damit es nicht gleich auf den Markt kommt. Schwarz wünscht sich Verhandlungen zur Aufhebung des Russland-Embargos. Vor allem plädiert er dafür, über Kartellamt und politischen Einfluss den Wettlauf der Discounter um immer billigere Preise einzufangen.

Christian Schmidt hat in Rendsburg gesagt, dass er genau das vorhabe: "Ich werde auf die Discounter im Rahmen meiner Möglichkeiten einwirken." Über die möglichen Ergebnisse des EU-Agrarrats am Montag sagt das allerdings wenig. Die Aussichten auf eine Lösung der Milchpreiskrise stehen eher schlecht. Viele Bauern wären schon froh, wenn die Herren in Brüssel sich auf irgendwas einigen könnten, das ihnen ein bisschen Entlastung bringt.

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