Süddeutsche Zeitung

Streit um EU-Haushalt 2013:Letzte Denkpause

Wann ist eine Rechnung eine Rechnung? Was ist ein Rabatt? Weil zu viele Streitpunkte offen blieben, haben Regierungen und EU-Parlament ihre Haushaltsgespräche vertagt. Zeit bleibt nur noch bis Dienstag.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Vertagt auf Dienstag. So lautete das Ergebnis der Verhandlungen um den EU-Haushalt 2013 am späten Freitagabend. Bis kommenden Dienstag haben sich die Verhandlungspartner - die 27 europäischen Länder und die Europaparlamentarier - eine letzte Auszeit genommen, um noch mal ihre Positionen zu überdenken. Europäische Kommission und Parlament fordern etwa 137 Milliarden Euro für 2013. Die Länder wollen höchstens 132 Milliarden Euro zahlen.

Einigen sich beide Seiten auch am Dienstag nicht, muss die Kommission einen neuen Haushaltsplan vorlegen, und die Verhandlungen begännen von vorn. Hinzu kommt, dass das Gefeilsche um das Geld für 2013 nur ein Vorgeschmack ist auf den großen Basar, der als EU-Gipfel am 22. November beginnt und über mehrere Tage gehen könnte. "Wenn es keine Einigung gibt, wird das die Verhandlungen über das Budget von 2014 bis 2020 vergiften", warnte die zyprische Ratspräsidentschaft.

Dass die Verhandlungen vertagt werden mussten, lag daran, dass sich die Unterhändler über eigentlich simpel klingende Fragen nicht einigen konnten. Wann ist eine Rechnung eine Rechnung? Was ist ein Rabatt? Wer darf wem einen Rabatt gewähren, und wann sollte er wieder abgeschafft werden? Die Fragen klingen nach Basar, und tatsächlich gleichen die Haushaltsverhandlungen einem solchen. An diesem Freitag waren die Rechnungen das große Problem.

Griechenland, Spanien und Portugal haben in den vergangenen Monaten viele Rechnungen nach Brüssel geschickt. Sie haben angefangen, ihre Wirtschaft zu fördern, um aus der Krise zu kommen, also: kleine Unternehmen zu unterstützen, Leitungen zu bauen oder auch Berufsausbildung zu fördern. Dafür rufen sie nun Fördermittel ab. Doch es ist kein Geld da, jedenfalls nicht genug.

Rechnungsstau

Weil die Länder besondere viele Projekte angefangen haben, und weil jetzt auch viele Rechnungen aus früher begonnenen Vorhaben zu bezahlen sind, stauen sich in Brüssel derzeit die unbezahlten Rechnungen. Ungefähr neun Milliarden Euro fehlten allein 2012, sagt die Kommission. Sie forderte deshalb am Freitag zusätzlich zwei Nachtragshaushalte für 2012: Die neun Milliarden Euro für ausstehende Rechnungen und 670 Millionen Euro für die Erdbebenhilfen für Italien.

Was zunächst als recht und billig erscheint (schließlich ist das Geld grundsätzlich zugesagt, es wurde bisher nur nicht abgerufen), erzürnt die nationalen Regierungen. Niemand wolle einen Euro mehr überweisen, bestätigten EU-Diplomaten in Brüssel. Vielmehr würden die Zahlen der Kommission infrage gestellt: Was das überhaupt für Rechnungen seien, werde gefragt, und ob sie korrekt ausgestellt seien.

Währenddessen begann schon die große Rabattschlacht. Die Unterhändler derjenigen Länder, die mehr Geld in den Haushalt zahlen, als sie später zurückbekommen, steckten ihre Verhandlungspositionen ab. Dabei geht es weniger um Rechnungen als um Rabatte. Traditionell bekommen einige Länder, die besonders viel Geld einzahlen müssten, diverse Nachlässe eingeräumt. Der berühmteste Rabatt ist der Briten-Rabatt, 1984 gesetzlich verankert im Eigenmittelbeschluss von Fontainebleau. Danach bekommt London zwei Drittel der Differenz zwischen Einzahlungen und Rückflüssen erstattet, zeitlich unbegrenzt. Das waren 2011 rund 3,6 Milliarden Euro. Einige Länder - Deutschland, Österreich, die Niederlande und Schweden - waren pfiffig genug, sich an den Briten-Rabatt anzuhängen. Sie setzten Rabatte auf den Briten-Rabatt durch, Deutschland sparte sich allein 2011 so 600 bis 700 Millionen Euro.

"Am Ende bleibt alles wie bisher"

Und es gibt noch einen zweiten, weitaus einträglicheren, wenn auch zeitlich bis 2013 befristeten Rabatt für Berlin: einen Nachlass auf die Mehrwertsteuer, der 2011 etwa eine Milliarde Euro brachte. Zudem setzten die Niederlande, Belgien und Schweden befristete Rabatte durch.

Italien und Frankreich kündigten nun an, den Briten-Rabatt kippen zu wollen. Was den Briten in Brüssel ein stilles Lächeln entlockte nebst der Bemerkung, dass der Rabatt nur mit den Stimmen aller 27 Länder und des britischen Parlaments zu kippen sei. Und weil sicher ist, dass London seine Stimme verweigert, und weil auch die Profiteure des Briten-Rabatts weiter profitieren wollen, ist so gut wie klar, dass die Briten ihren Rabatt behalten. Was wiederum für die anderen Rabatt-Empfänger ein gutes Argument sein dürfte, ihre zeitlich begrenzten Nachlässe verlängern zu lassen.

Und Paris, so ein Diplomat, werde dann erklären, dass man, weil man ja keine Rabatte erhalte, auf allen Agrarsubventionen bestehen müsse. "Am Ende bleibt alles wie bisher", sagte ein britischer EU-Diplomat in Brüssel.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2012/jasch
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