Süddeutsche Zeitung

Streit um den Wachstumspakt:Signale der Annäherung

So lange in Frankreich Wahlkampf herrschte, schienen Präsident Hollande und Bundeskanzlerin Merkel aufeinander zuzurasen wie Züge - ein Zusammenstoß schien unvermeidlich. Doch nun bricht offenbar eine Zeit der Verständigung an: Hollande scheint zu erkennen, dass er Merkel braucht.

Cerstin Gammelin und Stefan Ulrich

Jetzt liegt er also endlich auf den Tischen in den europäischen Regierungszentralen, der von François Hollande lang angekündigte "Pacte pour la croissance en Europe", der Wachstumspakt für Europa. Aus der Lektüre der elf Seiten, auf denen Frankreichs Staatspräsident seine Ideen vom Wachstumsschub für Europa skizziert, wird schnell klar: Neben all den Unstimmigkeiten über Euro-Bonds oder eine Bankenlizenz für den Euro-Rettungsfonds ESM gibt es sie sehr wohl, die deutsch-französischen Gemeinsamkeiten. Und: Ein Wachstumswunder wird auch Hollande kaum schaffen.

So lange in Frankreich Wahlkampf herrschte, bewegten sich Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel aufeinander zu wie die beiden viel zitierten Züge. Das konnte so wirken, als werde es beim EU-Gipfeltreffen Ende Juni zum Zusammenstoß kommen. Doch nun ist der monatelange Wahlkampf in Frankreich vorbei. Hollande muss sich nicht mehr um jeden Preis vor seinen Wählern gegenüber Merkel profilieren.

"Konstruktives und fruchtbares" Telefongespräch

Die Zeit der Verständigung bricht an. Deutsche Emissäre erzählen, sie spürten bei ihren Gesprächen mit Regierungsvertretern in Paris bereits einige Kompromissbereitschaft. Zwar gebe es weiterhin fundamentale Unterschiede, beide Regierungen wüssten jedoch, dass sie aufeinander angewiesen seien. Jetzt, da die Parlamentswahlen vorüber sind, könnten die Verhandlungen leichter werden. Hollande weiß, dass er den Franzosen im Wahlkampf viel versprochen hat und sie nun auf die harte Realität einstimmen muss.

Dieser Prozess ist bereits im Gange. So sprechen führende Sozialisten, darunter Premierminister Jean-Marc Ayrault, derzeit auffallend oft von den "Anstrengungen", die auf Frankreich jetzt zukämen. In der Wahlnacht am Sonntag sagte der Regierungschef: "Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind immens. Nichts wird einfach sein." Der Élysée-Palast teilte zudem mit, Merkel und Hollande hätten am Wochenende ein "konstruktives und fruchtbares" Telefongespräch geführt. Wenn dies stimmt, dann dürfte die Stimmung Ende kommender Woche in Brüssel viel besser werden, als bisher anzunehmen war.

Auch Hollandes Wachstumsplan dürfte dazu beitragen, dass sich die Stimmung aufhellt. Hollande will, dass der EU-Gipfel ein Paket verabschiedet, das mit 120 Milliarden Euro ausgestattet wird, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Die konkreten Maßnahmen, darunter der Abbau der Jugendarbeitslosigkeit, die Förderung von Forschung und Innovation sowie der Ausbau von Leitungen für Energie, Kommunikation und erneuerbare Energien müssten bis Ende des Jahres entwickelt werden - einschließlich einer Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte.

Die 120 Milliarden Euro setzen sich aus drei Beträgen zusammen. Etwa 4,5 Milliarden Euro entfallen auf Projekte, die durch die Ausgabe gemeinschaftlicher Anleihen (Projektbonds) finanziert werden, garantiert durch den Haushalt der EU. Weitere 60 Milliarden Euro soll die Europäische Investitionsbank als Kredite bereitstellen - vorausgesetzt, die Anteilseigner erhöhen deren Eigenkapital um zehn Milliarden Euro. Die restlichen 55 Milliarden Euro stammen aus nicht abgerufenen Geldern der EU-Strukturfonds. Hollande will diese potenziell verfügbaren Mittel bis Ende des Jahres neu vergeben, und zwar zielgerichtet für Wachstums- und Beschäftigungsprojekte. All dies sind Positionen, die auch die Bundesregierung unterstützt.

Schwieriger wird es bei den "innovativen Finanzierungsinstrumenten", die der Franzose einführen will. Anders als Merkel, die von Projektbonds nicht überzeugt ist, fordert Hollande deren "Ausweitung". Mit einem eingesetzten Kapital von zehn Milliarden Euro könnten für 150 Milliarden Euro Projekte finanziert werden, schreibt er. Über Kreuz liegen Berlin und Paris bei der Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte. Zwar wollen beide die Steuer einführen, notfalls auch in einem kleineren Kreis. Aber während Hollande die Einnahmen teilweise für europäische Projekte verwenden oder sogar zweckgebunden in den EU-Haushalt fließen lassen will, ist Merkel strikt dagegen.

Umstritten sind auch künftige Aufgaben der Europäischen Zentralbank und des Euro-Rettungsschirmes ESM. Der ESM müsse "einen direkten oder indirekten Zugang" zur Europäischen Zentralbank bekommen, um die Euro-Zone finanziell ausreichend stabilisieren zu können, fordert Hollande. Zudem müsse der ESM "direkt mobilisierbar" sein, um Banken rekapitalisieren zu können. Beides lehnt Deutschland ab.

Bei den Euro-Bonds, den gemeinschaftlichen Anleihen der Euro-Länder, ist Hollande schon ein wenig auf Merkels Linie eingeschwenkt. Sie sind in seinem Papier ganz am Ende erwähnt, in einem "Zehn-Jahres-Plan" für die Euro-Zone. Am Freitag wird sich zeigen, wie die Ideen in anderen Hauptstädten aufgenommen werden. Dann treffen Merkel und Hollande die Premiers aus Spanien, Mariano Rajoy, und Italien, Mario Monti, in Rom; sie wollen den EU-Gipfel gemeinsam vorbereiten.

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SZ vom 19.06.2012/hgn
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