Streit um Aufschub bei Sparprogrammen:Ein Satz, der Griechenland helfen könnte

Die Verträge sind zu erfüllen - aber wie? Der griechische Regierungschef Samaras will bei Angela Merkel um Aufschub für seine Sparprogramme bitten. Das kann sich die Kanzlerin innenpolitisch nicht leisten. Aber ein einzelner Satz im Vertrag mit Griechenland könnte der Ausweg sein.

Jannis Brühl

Antonis Samaras hat kein Geld, deshalb braucht er mehr Zeit. In Berlin will der griechische Ministerpräsident an diesem Freitag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel darüber reden, ob die Geldgeber, allen voran Deutschland, seinem Land Aufschub bei den Reformprogrammen gewähren. Offiziell bleibt die deutsche Regierung hart. Doch es gibt eine Möglichkeit, den Streit für alle Seiten diplomatisch und gesichtswahrend zu beenden.

Regierungspolitiker reden nicht über eine mögliche Gnadenfrist. Wenige Tage vor Samaras' Besuch bei Merkel bleiben sie stur bei ihrem Mantra: Pacta sunt servanda - die Verträge sind zu erfüllen. Es geht um eine Vereinbarung Griechenlands mit den Geldgebern - "Memorandum of Economic and Financial Policies" im offiziellen Bürokraten-Sprech - in dem sich das überschuldete Land unter anderem verpflichtet hat, radikal Staatsausgaben zur kürzen und Einnahmen zu erhöhen. Bislang schreiben die harten Sparvorgaben vor, das Defizit von mehr als neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis Ende 2014 in einen Überschuss von 4,5 Prozent zu verwandeln.

Nun gibt es aber in ebenjenem Memorandum einen Passus, auf den Samaras hofft. Dort steht: "Wir [die griechische Regierung] würden mit EU, EZB und IMF beraten, falls die Rezession deutlich tiefer ausfällt als vorausgesagt, um zu bewerten, ob die Anpassung der Finanzen über 2014 hinaus verlängert werden soll."

Die dramatische wirtschaftliche Lage in Griechenland könnte ihm also einen Aufschub bei der Umsetzung der Sparmaßnahmen erlauben. Ob seine Regierung genug gespart und reformiert hat, stünde dann erst einmal nicht mehr so sehr im Vordergrund. Merkel hätte ein schlagkräftiges Argument für ein drittes Sparpaket, das sie einem zunehmend ablehnenden Bundestag und vielen Bürger verkaufen muss, die der Meinung sind, dass Deutschland Griechenland genug geholfen habe.

Samaras will eine Frist bis 2016. Um überhaupt eine Chance bei den Geldgebern aus dem Norden zu haben, muss er aber die Zusage einhalten, eine Lücke von 11,5 Milliarden Euro gegen den Widerstand im eigenen Land durchzusetzen. Einem Bericht vom Wochenende zufolge soll die Finanzierungslücke in Athen aktuell sogar bis zu 14 Milliarden Euro betragen - 2,5 Milliarden mehr als zuvor berechnet. Kritker bemängeln, dass eben jener Kampf gegen das Defizit die Wirtschaft im Land endgültig abgewürgt habe.

Merkel braucht gute Argumente für neue Hilfe

Im Falle einer schlimmen Rezession könnte Griechenland mehr Zeit bekommen und sich gleichzeitig an die Vereinbarungen halten. Die Bundeskanzlerin könnte das nutzen, um die Fraktionen zu einem dritten Hilfspaket zu drängen, so Griechenland entgegenkommen und das Schreckgespenst eines Euro-Austritts weiter hinauszögern.

In der Bundesregierung dementiert man die Möglichkit einer Fristverlängerung nicht, verweist allerdings darauf, dass der Passus im Memorandum Gespräche nur "unverbindlich" vorsehe. Gegenüber Süddeutsche.de heißt es aus Kreisen im Finanzministerium: "Die Wirtschaftsentwicklung in Griechenland ist in der Tat ungünstiger als im März erwartet. Aber konjunkturbedingte Mindereinnahmen werden in diesem Jahr durch Einsparungen bei Zinsausgaben ausgeglichen." Damit sind Rabatte auf Zinszahlungen Greichenlands gemeint, die das Land entlasten sollen. Weiter heißt es: "Eine Programmverlängerung geht damit also nicht zwangsläufig einher. Die konjunkturbedingte Entwicklung ist ein Teilaspekt. Zentral ist die Umsetzung der Maßnahmen (insbesondere Strukturreformen) seitens Griechenland."

Griechenland steckt bereits das fünfte Jahr in Folge in der Rezession. Die Regierung wirbt um zwei Jahre Aufschub, um die Defizitziele zu erreichen. Sie verweist auf ihre eigenen Berechnungen, laut denen die Wirtschaft mit einem Aufschub schon im Jahr 2014 wieder wachsen könnte.

Die EU-Kommission schätzte im Mai, dass die griechische Wirtschaft in diesem Jahr um 4,7 Prozent schrumpfen werde. Die Zahlen der griechischen Statistikbehörde für das zweite Quartal fallen allerdings weitaus schlimmer aus: Sie beziffert das Minus auf 6,2 Prozent. Regierungschef Samaras hatte jüngst angekündigt, die Wirtschaft könnte 2012 um mehr als sieben Prozent schrumpfen. Seit 2008 ist das Bruttoinlandsprodukt um mehr als 17 Prozent zurückgegangen.

Doch würde ein Aufschub des Defizitabbaus auch mehr Kosten verursachen. Ein neues internationales Hilfspaket mit deutscher Beteiligung würde eventuell nötig - das Merkel gegen erhebliche Widerstände in den eigenen Reihen. Selbst Merkels Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte sich am Wochenende skeptisch zu neuen Hilfsprogrammen geäußert. Die Hilfe für kriselnde Euro-Länder dürfe kein "Fass ohne Boden" werden.

Immerhin könnte Merkel in diesem Fall auf den Passus im Memorandum verweisen: Ein Aufschub sei angesichts der schlimmen Rezession im Rahmen der Verträge. Das könnte es ihr erleichtern, ein weiteres Sparpaket in der Koalition durchzuboxen. Doch die Krise Griechenlands könnte sich auch zu Ungunsten der Kanzlerin auswirken: Abgeordnete könnten die andauernde Rezession als Beweis nehmen, dass das Land selbst mit Milliardenhilfen nicht wieder auf die Beine komme und weitere Hilfe entsprechend sinnlos sei. Samaras wird am Freitag dennoch alles daran setzen, Merkel von dieser diplomatisch geschickten Lösung zu überzeugen.

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