Streit über Wirtschaftspolitik:Schlechte Europäer

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Es gibt einen neuen Typus des schlechten Europäers: den Cent-Fuchser, den vor allem die USA nun ächten. Doch deren Grobschlächtigkeiten sind nur schwer nachzuvollziehen - die Deutschen sollten besser für ihre Sparpolitik werben.

Stefan Kornelius

Die Legende vom schlechten Europäer gibt es in verschiedenen Variationen: Die alte Version kennt die Nationalisten und Anti-Integrationisten, die schon immer gegen den Ausverkauf von Souveränität gebockt haben. Dieser Typus wurde besonders in den Zeiten gesichtet, als der Lissabon-Vertrag noch nicht ratifiziert war. Joschka Fischer konnte gegen diese Verräter an der europäischen Idee wunderbar wüten. Nun gibt es den neuen Typus des schlechten Europäers: den Cent-Fuchser, den Sparer, den Bremser. Der sitzt - wieder nach Lesart des immer noch wütenden Joschka Fischer und vieler Gleichgesinnter - im Turm der Europäischen Zentralbank und vor allem in den Referenten-Zimmern im Bundeskanzleramt und im Berliner Finanzministerium. Dort konspirieren die Stabilitäts-Fetischisten um die Wette und zerstören Europa.

Angela Merkel (links) und Barack Obama: Offiziell ist die Stimmung zwischen dem US-Präsidenten und der Kanzlerin prima. Etwa 15 Minuten habe das Telefonat zu Beginn der Woche zwischen den beiden gedauert, heißt es. Und: Obama habe keine neuen Konjunkturprogramme gefordert. (Foto: ag.ap)

Die Logik funktioniert so: Deutschland, der Großexporteur und Hort relativer volkswirtschaftlicher Stabilität in Europa, hat die Schnauze voll von den Schuldenkönigen in der Gemeinschaft, die auch noch die wenigen guten Jahre verschlafen haben, ohne ihre Sozialsysteme und ihren Arbeitsmarkt in Ordnung zu bringen. In erzieherischem Eifer verweigert die Bundesregierung diesen Ländern ihre Fürsorge, entzieht sich der Stimulierung der Märkte und lässt zunächst die Peripherie im Euro-Raum sich zu Tode sparen, ehe sie selbst von Deflation gepeinigt die Trümmer der Europäischen Union zusammenfegen wird.

Diese Theorie findet vor allem ihre Anhänger in den USA, wo der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman besonders eifrig um sich schlägt. Jetzt verwarnt auch noch der Investor George Soros die Deutschen und prophezeit ihnen eine europafreie Zukunft. Es ist derselbe George Soros, der seine persönliche Bilanz mit ausgedehnten Wetten gegen den Euro nachhaltig verbessert hat. Die Kritiker nehmen als Kronzeugen für ihre Anklage die französische Regierung und natürlich die Südeuropäer in Anspruch, die nun angeblich als Erste vom europäischen Glauben abfallen würden, wenn man sie nicht unterstütze mit viel Geld.

Der schrille Protest wird von den Angeklagten - allen voran der Bundeskanzlerin und dem deutschen Finanzminister - mit gespielter Gelassenheit gekontert. Angela Merkel schreibt Briefe und gibt ein Interview in einer amerikanischen Zeitung. Wolfgang Schäuble spricht von einer behutsam gestalteten Exit-Strategie. Das aber reicht all jenen nicht, die sich um die Zukunft des Euro und damit um den Bestand Europas sorgen. Steckt also hinter der deutschen Agenda eine Art Geheimplan, wonach die lästigen Habenichtse an der Peripherie der Gemeinschaft doch noch abgeschüttelt werden, damit es am Ende eine kleinere, aber schlagkräftigere Union geben wird? Ist dies möglicherweise der Grund für den verzweifelten Widerstand der Franzosen gegen die deutsche Krisen-Politik, weil Präsident Nicolas Sarkozy seine Machtbasis in Südeuropa schwinden sieht? Dies ist die Zeit der Konspirateure.

Die vor allem in den Vereinigten Staaten zu beobachtende Grobschlächtigkeit im Umgang mit den komplexen europapolitischen Problemen muss auch die Kanzlerin besorgen, weil hier eine Stimmung erzeugt wird, die mit den Fakten wenig zu tun hat. So ist es nicht wirklich nachzuvollziehen, wie ein deutsches Sparpaket von lächerlichen 28 Milliarden Euro die gewaltige amerikanische Volkswirtschaft abbremsen soll. Genauso wenig werden die südeuropäischen Volkswirtschaften wieder ihre Exportfähigkeit zurückgewinnen, wenn sie nicht zuvor ihre Wettbewerbsfähigkeit herstellen. Und die lässt sich nicht mit deutscher Stütze kaufen, sondern nur durch unangenehme Reformen erreichen: bei der Arbeitszeit, bei den Lohnstückkosten, bei der Staatsverschuldung. Niemand kann und sollte von der Bundesregierung verlangen, dass sie künstlich Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert. Und schließlich muss selbst ein Nobelpreisträger erkennen, dass der Staat in einer freien Marktwirtschaft nur begrenzten Einfluss auf das Lohnniveau nehmen und damit die Kaufkraft stimulieren kann.

Jenseits einer ganzen Kette von ökonomischen Argumenten steckt in der Auseinandersetzung um die richtige Strategie gegen die Krise ein politisches Grundproblem, auf das bisher niemand eine Antwort gefunden hat: Deutschland ist für viele EU-Partner schlicht zu stark. Was der militärische Hegemon in zwei Weltkriegen angerichtet hat, findet in den Augen der Deutschland-Kritiker nun seine ökonomische Entsprechung. In normalen Zeiten hat sich die Bundesrepublik kleiner gemacht, indem sie ein bisschen mehr zahlte oder auf ein paar Stimmen im EU-Parlament verzichtete. In dieser Superkrise funktioniert der Lastenausgleich aber nicht mehr, ohne dass auch Deutschland zu großen Schaden nehmen und gegen seine wirtschaftspolitischen Überzeugungen verstoßen würde. Die sind nicht zuletzt auch von vielen nationalen Eigenarten - manche sagen Tugenden oder Mentalitäten - geprägt.

Schlechte Europäer aber sind die Deutschen und die Akteure aus der Bundesregierung deswegen noch lange nicht. Sie müssen nur besser für ihre Rettungsphilosophie werben.

© SZ vom 25.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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