Streit über Kreditrisiken der EZB:"Deutschland wird erpressbar"

Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts, rechnet mit den vielen Krediten der EZB ab. Er sieht schwarz für Europa und fordert ein Umdenken. Seine Analyse der milliardenschweren sogenannten Target 2-Risiken ist umstritten. Doch jetzt springen ihm die Familienunternehmer bei.

Hans-Jürgen Jakobs

Im Finanzsystem, der Herzkammer des Kapitalismus, ist manches kompliziert. Dinge wie Target 2 etwa - da werden Geldflüsse und Forderungen zwischen Notenbanken abgebildet. Das ist, erklärt Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn, als ob er einen Freund in die Autowerkstatt begleite, der Freund aber seine Geldbörse verlegt hat und er aushelfe - was ja wohl ein Kredit sei.

Hans-Werner Sinn

"Da ist doch etwas nicht richtig im Lot": Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn kritisiert die Kredite der Europäischen Zentralbank.

(Foto: dpa)

Auf Europa bezogen ergeben sich aus Target 2 Forderungen der Bundesrepublik ans europäische Notenbanksystem von 255 Milliarden Euro, hat Sinn errechnet. Für den Chef des Münchner Ifo-Instituts ein "verstecktes Rettungssystem", bei dem es sich - wie bei den offiziellen Rettungsschirmen - um "internationale Kreditvergabe unter öffentlichem Schutz handelt".

Insgesamt lägen die Haftungssummen der Euro-Länder für Schuldenstaaten wie Griechenland, Irland und Portugal, via Target 2 auch für Italien und Spanien, derzeit bei knapp 1,3 Billionen Euro. Nach Ausweitung der Rettungsschirme läge die Summe dann schon bei mehr als zwei Billionen Euro. Auf Deutschland entfiele, im Falle eines Falles, wenn die fünf genannten Länder scheitern, rund 670 Milliarden Euro.

"Deutschland wird erpressbar", kritisiert Sinn - weil der größte Gläubiger der Euro-Zone ja schon so viel Geld eingesetzt habe, wolle er einen Verlust ausschließen und mache bei jeder Rettungsaktion mit. Es sei aber keine wirkliche Rettung, was in der Euro-Zone passiere: "Was als Friedenspolitik definiert wird, ist eine Politik der äußersten Gefährdung."

Es gebe eine "trügerische Ruhe", und am Ende könnte Griechenland daran "zerbrechen" - bisher habe dieser Staat 500 Milliarden Euro Hilfe bekommen, ein Mehrfaches des Netto-Nationalvermögens von 170 Milliarden: "Da ist doch etwas nicht richtig im Lot!" Die Rettungsfonds EFSF und ESM nennt der Ökonom bei einer Pressekonferenz flugs die "Bad Bank in Luxemburg".

Familienunternehmer springen Sinn bei

Dem Ifo-Chef schwebt eine andere wirtschaftspolitische Verfassung vor, selbst gegen die Vereinigten Staaten von Europa hätte er nichts, wie er sagt - Hauptsache, die alte Politik werde geändert. Es brauche neue Regeln und eine Beschränkung der Europäischen Zentralbank (EZB) auf Geldpolitik und ein Ablassen von Fiskalpolitik - alles Teile der "Bogenberger Erklärung", die der Professor initiiert hat.

Dieser Erklärung tritt nun der Verband "Die Familienunternehmer" bei. "Die Politik macht es schlecht, die EZB ist ein gewisses Schlupfloch geworden", klagt Michael Moritz, Chef der Ordnungspolitischen Kommission des Verbands. "Die Schuldenfähigkeit Deutschlands ist an eine Grenze gekommen", sagt auch Maschinenbauer Manfred Wittenstein: "Als Unternehmer könnte ich da nicht mehr richtig schlafen." Das sei "ein Spiel mit dem Feuer".

Das Problem mit den Target-Krediten hatte Sinn nach Hinweis des Ex-Bundesbank-Chefs Helmut Schlesinger öffentlich gemacht. Es entsteht, wenn etwa ein griechischer Unternehmer ein Auto für 40.000 Euro aus Deutschland kauft, dafür aber keinen Kredit einer ausländischen Bank erhält, sondern vielmehr die griechische Hausbank die Sache übernimmt, sie von dort über die griechische Zentralbank zur EZB gelangt - und von dort wiederum via Bundesbank zur Hausbank des Auto-Lieferanten. Die zahlt die 40.000 Euro dem Verkäufer aus.

Die Bundesbank hält nach diesem Zyklus eine Forderung an die EZB, die Notenbank in Athen hat eine entsprechende Zahlungsverpflichtung. Die Target-Kredite sind nach Ausbruch der Finanzkrise explodiert - anders als in den USA. Deshalb rät Sinn, etwas aus dem US-System zu übernehmen: Dort werden einmal im Jahr die Target-Schulden von den betroffenen Unter-Zentralbanken in zwölf Distrikten ("District Fed") mit marktgängigen Vermögensobjekten bezahlt.

Für Europa sieht Sinn schwarz. "Nach Lage der Dinge kann das Finanzsystem der Euro-Zone mit seinen jetzigen Strukturen politisch und ökonomisch nicht überleben". Es zerstöre den freien Kapitalmarkt - und bürde den Ländern riesige Haftungsrisiken auf, ohne dass Parlamente zustimmen müssen. Gut findet der Ifo-Chef, dass Bundesbank-Präsident Jens Weidmann inzwischen Target 2 problematisiere: "Er rückt von der bisherigen Position der Bundesbank ab."

Linktipp: Sinns provokante Thesen sind umstritten. SZ-Redakteur Claus Hulverscheidt kommentiert, die Rechnung sei unlauter - Sinn addiere Äpfel, Birnen und Bananen.

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