Streit über französische Arbeitsmoral:Wein, Weib und Wettbewerbsfähigkeit

Demonstration vor französischer Goodyear-Dunlop-Zentrale

Von Faulheit keine Spur: Ein Demonstrant während Protesten gegen Entlassungen vor dem französischen Goodyear-Hauptquartier.

(Foto: Reuters)

"Sie arbeiten nur drei Stunden am Tag": Die Pöbeleien des US-Unternehmers Taylor treffen in Frankreich einen Nerv. Industrieminister Montebourg verteidigt sein Land nun vehement. Es geht um das Selbstverständnis einer Wirtschaftsmacht - und die Frage, was für Unterhosen französische Politiker tragen.

Von Jannis Brühl

Oberflächlich betrachtet geht es nur um die Schönheit französischer Frauen, Wein und Faulheit. Aber die Episode illustriert auch die Probleme der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone. Alles begann mit einem rüden Angriff des amerikanischen Firmenchefs Maurice Taylor auf die französische Arbeitsmoral: "Franzosen arbeiten nur drei Stunden am Tag", sagte er.

Mittlerweise hat sich die Posse zu einem transatlantischen Zweikampf zwischen dem US-Manager und dem französischen Industrieminister Arnaud Montebourg entwickelt. Die beiden verhandeln nichts weniger als die Frage, ob das Land eine Zukunft in der globalisierten Welt hat.

Montebourg sieht Frankreich dabei als Opfer einer Medienkampagne. Munitioniert mit Zahlen erklärte er jetzt der britischen Financial Times, Frankreich sei nicht das Land der Faulheit und zu hoher Löhne, sondern in Wahrheit wettbewerbsfähiger als die USA oder Deutschland. Studien bewiesen, dass das Verhältnis ausländischer Investitionen zum Bruttoinlandsprodukt höher sei als in diesen anderen Industriestaaten. Journalisten würden die Fakten über das Land verdrehen und Investoren verschrecken. Während des Gesprächs fuchtelte er mit einen Brief von Coca-Colas Frankreich-Chef umher, in dem dieser ihm Unterstützung zusicherte.

US-Manager Taylor, Chef des Reifenherstellers Titan, hatte seine Kritik allerdings nicht mit Medienberichten begründet, sondern mit persönlichen Eindrücken. Nachdem Montebourg ihn gebeten hatte, ein von Schließung bedrohtes Werk der Reifenfirma Goodyear zu übernehmen, hatte Taylor dies mit Verweis auf die Arbeitsmoral in jener Fabrik abgelehnt: "Ich habe sie mehrfach besucht." Die französischen Arbeiter bekämen hohe Löhne, aber: "Sie machen eine Stunde Mittag, quatschen drei Stunden und arbeiten nur drei."

Montebourg hatte Taylors Brief daraufhin als extremistisch bezeichnet. Taylor antwortete ihm, die "Extremisten" säßen in Frankreichs Regierung und hätten keine Ahnung von Industriepolitik. Französische Gewerkschaften seien ohnehin verrückt. Eine Firma kaufe er lieber in China oder Indien. Da könne er weniger als einen Euro Lohn pro Stunde zahlen.

Den Vorwurf, er verunglimpfe Frankreich, wies Taylor zurück. Er könne ja gar nichts gegen das Land haben, denn: "Frankreich hat schöne Frauen und großartigen Wein."

Offenbar hatten beide die Größe des Egos des anderen unterschätzt. Montebourg ist für Alleingänge bekannt. Dem multinationalen Stahlkonzern Arcelor-Mittal drohte er vor Kurzem mit Verstaatlichung eines seiner Stahlwerke - einige Tage später musste er den Plan wieder aufgeben. Der Minister liebt das Rampenlicht. Auf einem Zeitschriften-Cover posierte er in einem Shirt mit klassischen - oder stereotypen - französischen Breton-Streifen und hielt einen Mixer in die Kamera. So wollte er für seine "Made-in-France"-Kampagne werben.

Spitzname "Grizzly"

Manche französische Manager sehen Montebourg selbst als Teil des Problems. Der linke Minister attackiere öffentlichkeitswirksam Großkonzerne wie Mittal oder Peugeot und sei deshalb mitverantwortlich für die Angst ausländischer Investoren.

Auch Maurice Taylor, Spitzname "The Grizz" (zu deutsch: der Grizzlybär), ist nicht für seine Zurückhaltung bekannt. Er hat Titan selbst aufgebaut, wollte 1996 Präsidentschaftskandidat der Republikaner werden, und hat ein Buch geschrieben. Es heißt: "Bringt alle Anwälte um".

Frankreichs Wirtschaft wird nach neuesten Zahlen der EU in diesem Jahr nur ein Mini-Wachstum von 0,1 Prozent erreichen. Das Land wird demnach voraussichtlich ein Defizit von 3,7 Prozent der Wirtschaftsleistung hinnehmen müssen, 2014 dürften es 3,9 Prozent werden. Beide Werte liegen jenseits der Grenze, die die Maastricht-Kriterien zulassen. Wissenschaftler des Freiburger Thinktanks CEP bescheinigen dem Land in einer neuen Analyse, "unmittelbar" von einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit bedroht zu sein. Diese wiederum würde die gesamte Euro-Rettung gefährden.

Indirekt stellte Taylor sogar die Wettbewerbsfähigkeit der Unterhosen des Ministers in Frage. Er sagte dem US-Sender ABC: "Die Leute in der französischen Regierung sind sehr sensibel. Vielleicht sollten sie keine Slips tragen, sondern Boxershorts." Unbequem für das Land ist auf jeden Fall die Debatte, die Taylors Äußerungen in der französischen Regierung und den Medien des Landes ausgelöst haben.

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