Streik im öffentlichen Dienst:Warum die Staatsdiener unsere Sympathie verdienen

Verdi-Chef Frank Bsirske will mit Streiks die Gehaltsschere zur Privatwirtschaft schließen. Das ist zwar unsinnig, aber die an diesem Montag beginnenden Warnstreiks im öffentlichen Dienst sind dennoch vernünftig. Etatprobleme hat nämlich nicht nur der Staat, sondern auch jeder Lehrer und jeder Arbeiter in der Straßenmeisterei.

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Der Spruch ist mehr als 80 Jahre her, doch er könnte genauso gut von heute sein. "Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn", schrieb Kurt Tucholsky im Jahr 1930, "das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen."

Auch eine Möglichkeit, den Nationalcharakter eines Volkes zu studieren: nicht nur an den Mahlzeiten, Fernsehsendungen oder Bräuchen, die speziell in diesem Land populär sind - sondern auch an den Einstellungen, die es dort über den öffentlichen Dienst, den Staat und seine Beschäftigten, gibt.

Von diesem Montag an rufen mehrere Gewerkschaften zu Warnstreiks auf; ihre Tarifverhandlungen mit den Bundesländern kommen nicht so recht voran. Krankenschwestern an Unikliniken, Straßenwärter, Politessen - sie alle werden die Arbeit wohl jeweils einen Tag lang niederlegen. Und weil inzwischen jeder vierte Lehrer nicht mehr Beamter, sondern Angestellter ist (also an Arbeitskämpfen teilnehmen darf), wird auch Unterricht ausfallen. Auf die Sympathie der Bürger dürfen die Streikenden allenfalls in Maßen hoffen.

Mit dem Nahostkonflikt hat der öffentliche Dienst gemeinsam, dass so gut wie jeder eine Meinung dazu hat. Die ist tendenziell umso abfälliger, je allgemeiner der öffentliche Dienst betrachtet wird. Zu den einzelnen Berufsgruppen, also zu Krankenpflegern, Polizisten, Richtern oder Lehrern, fällt den Menschen viel Gutes ein, wie eine jährliche Umfrage des Beamtenbundes immer wieder belegt - zumindest gehören diese Berufe zu den angesehensten überhaupt. Aber der öffentliche Dienst als Ganzes? Schwerfällig, aufgebläht, kostet zu viel - das finden nach wie vor mindestens drei von vier Befragten. Bei Tarifverhandlungen hat er das Handicap, dass er eben als Ganzes auftritt.

Privilegien beim Staat

Im Satz des Tucholsky ist alles drin, der Hader, die Sehnsucht, der Neid. Eigentlich muss das ein glückliches Land sein, in dem den Bürgern zu Staatsdienern nicht Korruption, Ungerechtigkeit und Arroganz einfällt, sondern nur ein paar Stereotypen, die pauschal und daher harmlos sind. Aber in Zeiten, in denen alle spüren, dass Verteilungskämpfe härter werden und in denen ein jeder auf seinen Anteil bedacht ist, schaut jede Gruppe auf die nächste und fragt, gern mit dem Unterton der Empörung: Was haben die, was wir nicht haben?

Beim Staat haben sie angeblich Privilegien. Die Beamten sind sowieso unkündbar, die Angestellten de facto auch: Der Staat kündigt nicht betriebsbedingt. Wird ein Beamter krank, erhält er seine Bezüge auf Dauer weiter; manchem Arbeiter und Angestellten, der sich nach sechs Wochen aufs Krankengeld zurückgeworfen sieht, mag dies paradiesisch vorkommen. Das ist der Grund, weshalb Politiker, wenn sie sparen wollen, sich so gern am Personal schadlos halten. Wegen Kürzungen beim öffentlichen Dienst hat noch niemand eine Wahl verloren.

Neid ist jedoch ein ebenso deutscher wie schlechter Ratgeber. Wer im mittleren Management einer Firma arbeitet, muss zwar immer damit rechnen, dass dieser Firma eines Tages die Kunden ausgehen; diese Sorge hat der Amtmann in der Finanzbehörde nicht. Dafür verdient der mittlere Manager aber auch mehr als der mittlere Beamte - und er kann seinerseits kündigen, wenn er mit dem Chef, den Kollegen oder dem Job nicht mehr zurecht kommt. Beamte hingegen bleiben schon deshalb ein Berufsleben lang an ihren Dienstherrn gekettet, weil sie andernfalls praktisch ohne Altersversorgung dastünden. Der Staat verlangt Treue, dafür bietet er Sicherheit. Die Wirtschaft birgt Risiken, dafür bietet sie alle nur denkbaren Chancen.

Legitime Interessen von drei Millionen Beschäftigten

Verdi-Chef Frank Bsirske hat gesagt, in den Tarifverhandlungen mit den Ländern müsse es darum gehen, die "Gehaltsschere" - ein Gerät, das vielleicht endlich mal jemand erfinden sollte - zur Privatwirtschaft zu schließen. Das ist natürlich kalkulierter Unsinn. So ehrgeizig sind all die Lehrer und Krankenpfleger gar nicht, ganz zu schweigen von den Politessen in den Stadtstaaten, die gern auch bis Weihnachten streiken dürfen; die Bürger würden es geradezu wunderbar finden.

Es geht in den Verhandlungen darum, dass Beschäftigte, Steuerzahler und Finanzminister gleichermaßen legitime Interessen haben. Jetzt wird ein Ausgleich gesucht. Es geht aber auch darum, dass das Land mal erkennt, wie demütigend dies für drei Millionen Beschäftigte sein muss: dass in wirklich jeder Tarifrunde die Staatsverschuldung zu jenem Faktor wird, der sie zum Beispiel in der Debatte übers Betreuungsgeld nie war. Etatprobleme hat aber nicht nur der Staat. Sondern auch jeder Lehrer und jeder Arbeiter in der Straßenmeisterei.

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