Streik-Gefahr:Wider die kollektive Bettelei

Der 1. Mai könnte eine Streikwoche eröffnen, wie es sie in der Tarifgeschichte lange nicht mehr gab: Bei Telekom, Bau- und Metallbranche brodelt es.

Detlef Esslinger

Dies wird eine Woche, wie es sie in der deutschen Tarifgeschichte schon lange nicht mehr gab: In drei verschiedenen Branchen wird sich entscheiden, ob es tatsächlich zu Streiks kommen wird, und in allen drei Branchen ist Donnerstag, 3. Mai, ein bestimmender Tag: Dann entscheiden die Arbeitgeber des niedersächsischen Baugewerbes, ob sie tatsächlich den vor vier Wochen für das gesamte Bundesgebiet geschlossenen Tarifvertrag platzen lassen.

Streik-Gefahr: Wider die kollektive Bettelei

Die Metallindustrie floriert - die Gewerkschaft fordert deshalb mehr Geld für die Angestellten.

(Foto: Foto: dpa)

Am selben Tag findet in Köln die Hauptversammlung der Telekom statt. Und in Sindelfingen treffen sich die Tarifparteien der Metallindustrie, um doch noch einen Abschluss hinzubekommen; andernfalls folgt die Urabstimmung.

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, sagt, ein Scheitern würde "dem System der Lohnfindung" einen schweren Schlag versetzen. Ist das so?

Von ihrem Wesen her sind all die Auseinandersetzungen höchst unterschiedlich. In der Metall- sowie der Baubranche finden Tarifrunden klassischer Art statt: Der Baubranche geht es nach zehn mageren Jahren wieder besser, die Metallindustrie verdient sogar glänzend.

In beiden Fällen streiten IG Bau und IG Metall dafür, mehr Geld herauszuschlagen. Wie in den seligen Zeiten vor der Globalisierung geht es vor allem darum, am Zuwachs ordentlich teilzuhaben.

Telekom versus Verdi

Bei der Telekom hingegen muss sich die Gewerkschaft Verdi einem Abwehrkampf stellen. Zur Debatte steht das Ansinnen des Unternehmens, fast jeden dritten Beschäftigten für weniger Geld länger arbeiten zu lassen.

Bei allen Problemen, die die Telekom vor allem in ihrem Geschäftsbereich Festnetz hat - immer noch geht es dem Unternehmen so gut, dass ihre Aktionäre in Köln eine provozierend hohe Dividende von mehr als drei Milliarden Euro beschließen wollen.

In dem Großgebilde Telekom verfügt die Gewerkschaft Verdi über zahlreiche Mitglieder, mit anderen Worten: Sie hat dem Willen der Firma etwas entgegenzusetzen. Sie führt hier eine Auseinandersetzung, die für ihre eigene Zukunft entscheidend sein wird.

Gerade Verdi hat ja eine Reihe von Branchen am Bein, in denen man als Gewerkschaft sowieso kaum kampffähig ist: Friseur-, Speditions-, Bewachungsgewerbe - lauter Branchen also, die nicht aus gut angreifbaren großen Firmen bestehen, sondern in viele kleine Betriebe zersplittert sind, in denen nur die wenigsten Beschäftigten organisiert sind.

Tarifverhandlungen gleichen dort einer kollektiven Bettelei. Wenn die Beschäftigten also schon im Fall Telekom nicht mehr von Verdi profitieren können - wo eigentlich dann?

Starke Gewerkschaften versus große Betriebe

Geht die Auseinandersetzung in der Metallindustrie um etwas ganz anderes, so ist die Gefechtslage dort doch vergleichbar: Relativ große Betriebe haben es mit einer an Mitgliedern starken Gewerkschaft zu tun.

Nun äußert Gesamtmetall-Präsident Kannegiesser, die am Wochenende angelaufenen Warnstreiks seien deshalb so schädlich, weil Ausfälle kaum nachgearbeitet werden könnten - "bei der wegen der guten Konjunktur hohen Auslastung der Betriebe".

Na bitte! Gerade weil die Konjunktur so gut läuft, ist die IG Metall doch mit einer Forderung von 6,5 Prozent in die Tarifrunde gegangen. Die Arbeitgeber aber beharren weiter darauf, der Abschluss 2007 müsse niedriger als der von 2006 ausfallen. Wie wollen sie da eine Einigung erwarten?

In diesen Tarifrunden besteht nicht die Gefahr, dass dem System der Lohnfindung ein Schlag versetzt wird; eine Tarifrunde geht zu Ende, die nächste kommt. Die Frage ist eine andere: Sollen die Beschäftigten selbst dort nichts mehr zu gewinnen haben, wo die Geschäfte gut laufen? Und sollen sie auch noch Geld hergeben, nur um die Gier von Aktionären oder den Geiz von Kunden zu bedienen?

Wenn es so kommt, dann wird in Deutschland über kurz oder lang etwas ganz anderem als bloß "dem System der Lohnfindung" ein Schlag versetzt: der Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: