Streik der Lokomotivführer:Die befremdliche Sturheit

Bahnreisende in Deutschland müssen sich auf chaotische Wochen einstellen: Die Lokführer wollen unbefristet streiken - weil sie glauben, dass ihr Kredit beim Publikum unbegrenzt ist. Doch diese Haltung ist gefährlich.

Detlef Esslinger

Lokomotivführer haben bei den meisten Menschen viel Kredit. Das liegt auch daran, dass ihr Beruf die Erfüllung vieler Kindergartenträume zu sein scheint. Schon darum können Lokführer grundsätzlich mehr Sympathie erwarten als - zum Beispiel - Mitarbeiter der Telekom, die derzeit auch im Arbeitskampf sind. Noch kein Fünfjähriger hat davon geträumt, bei der Telekom zu arbeiten; und wer die Firma später als Erwachsener erlebt, hat gemeinhin nicht den Eindruck, einen Zauber verpasst zu haben.

Bundesweite Streiks der Lokfuehrer

"Nicht einsteigen", dürfte es in den kommenden Wochen ziemlich oft heißen.

(Foto: dapd)

Mit dieser Sympathie kalkuliert die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), wenn sie nun die nächste Stufe der Eskalation ausruft. Die Urabstimmung hat die Phase der Warnstreiks beendet. Nun geht es in die unbefristeten Arbeitsniederlegungen, die mal im Personen- und mal im Güterverkehr ausgerufen werden; mal in Bayern, mal im Ruhrgebiet, mal in Hamburg. Es ist ein Konflikt, der sich hinziehen dürfte, über den es Pfingsten werden und die Fußball-WM der Frauen zu Ende gehen könnte.

Dass es derart lange dauern kann, liegt zum einen an der komplizierten Materie. Die GDL fordert nicht bloß eine Lohnerhöhung von fünf Prozent. Sie will, dass alle Lokführer gleich bezahlt werden, egal, ob sie im Nah- oder im Güterverkehr unterwegs sind, ob sie abends immer zu Hause sind oder auswärts übernachten müssen, ob sie beim Marktführer Deutsche Bahn (DB) oder einem ihrer jungen Konkurrenten arbeiten. Das ist grundsätzlich ein legitimes Anliegen: Tarifverträge, die für eine gesamte Branche gelten, haben ja gerade den Sinn, zu verhindern, dass Wettbewerb nicht über Qualität und Service ausgetragen wird, sondern über die Lohnkosten.

Darüber hinaus ist es eine Auseinandersetzung, in der viele Beteiligte Wert auf ihre Sturheit legen. Stur sind die Konkurrenten der DB. Sie sprechen der Gewerkschaft das Recht ab, für alle Lokführer zu verhandeln (mit dem Hinweis, dass es ja auch ein paar Lokführer gibt, die nicht der GDL angehören).

Stur sind aber auch die Lokführer. Seit einem halben Jahr geben sie nicht im mindesten zu erkennen, wo eigentlich ihre Kompromisslinie verlaufen könnte. Und ein Angebot zur Vermittlung, zum Beispiel des früheren SPD-Politikers Peter Struck, lehnen sie ab; dabei hatte Struck den Tarifkonflikt für die übrigen Bahn-Beschäftigten erfolgreich moderiert.

Die Sturheit ist auch deshalb so befremdlich, weil die GDL es mit seriösen Arbeitgebern zu tun hat. Bei der Liberalisierung der Bahn geht es anders zu als bei der Post: Traten dort Firmen an, deren Geschäftsmodell auf Lohndumping beruhte, so hat man es hier mit Betrieben im Aufbau zu tun, die noch nicht über Möglichkeiten wie ein DB-Konzern verfügen - die aber trotzdem willens sind, ihre Beschäftigten annähernd gleich zu bezahlen. Natürlich hat die GDL das Recht zum unbefristeten Streik. Aber wer noch vor jedweder Schlichtung dazu aufruft, glaubt offenbar, sein Kredit beim Publikum sei unbegrenzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: