956, das ist seine Zahl. Wenn Jan Kowalzik Anfang des Monats auf seinen Gehaltszettel schaut, steht da unten rechts: 956. So viel bleibt Kowalzik netto von seinen 1280 Euro brutto, für 40 Stunden Arbeit in der Woche. "Es ist ein Hungerlohn. Ich muss bei jedem Einkauf schauen, ob und was ich mir noch leisten kann", sagt der 24-Jährige, der in Halle bei S-Direkt arbeitet, dem Callcenter der Sparkassen. Die Wohnungsmiete teilt er sich mit seiner Freundin. Am Ende bleiben ihm nur 600 Euro für Essen, Kleidung, Auto, Handy und sonstiges. Ein Leben als Niedriglohner.
Ob Lotterielose oder Telefontarife, Wein oder Computer - mittlerweile haben 520.000 Menschen in etwa 6700 Callcentern einen Job.
(Foto: dpa)Er habe deswegen "schon einige schlaflose Nächte" verbracht, sagt Kowalzik. An Altersvorsorge sei nicht zu denken. Neulich hat er sich von einem Berater ausrechnen lassen, wie viel gesetzliche Rente er zu erwarten habe. Das Ergebnis: Bliebe sein Gehalt auf dem jetzigen Stand, müsste er 40 Jahre im Job sein, um auf Hartz-IV-Niveau zu kommen. Um das zu ändern, arbeitet er nicht mehr, seit 75 Tagen schon. Kowalzik streikt.
Und mit ihm 250 Kollegen von S-Direkt. Am 9. Juli begann die Aktion, seitdem fährt Kowalzik jeden Morgen statt ins Großraumbüro in eine benachbarte Halle, die ein Unternehmer den Protestierern zur Verfügung gestellt hat. Etwa 950 Mitarbeiter hat S-Direkt an vier Standorten, rund 800 allein in Halle. Davon sind 500 "in der Produktion", wie Iris Kießler-Müller von der Gewerkschaft das nennt. Sie sitzen mit Kopfhörer am Computer und beantworten Fragen von Sparkassen-Kunden.
Wenn irgendwo in der Republik jemand seine Sparkasse anwählt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er im Callcenter in Halle landet. Dort werden die EC-Karten-Sperren für alle 423 Sparkassen der Republik erledigt, Fragen nach Lastschriften, Überweisungen oder Service in den Filialen für 250 Sparkassen beantwortet, sogar telefonische Wertpapieraufträge abgewickelt.
"Seit 1996 wurde das Bruttogehalt von 1280 Euro nicht erhöht"
Das Hauptziel der Streikenden ist mehr Geld. "Seit es S-Direkt gibt, seit 1996, wurde das Bruttogehalt von 1280 Euro nicht erhöht", sagt Gewerkschafterin Kießler-Müller. Das entspreche einem Stundenlohn von 7,38 Euro. Gefordert wird nun eine Erhöhung auf 8,50 Euro sofort und auf neun Euro bis Mitte nächsten Jahres. "8,50 Euro würden für mich netto 150 Euro im Monat mehr bedeuten", sagt Kowalzik. "Das würde mir sehr helfen, da kann man schon etwas damit anfangen." Als erstes würde er eine private Altersvorsorge abschließen.
Aus der Sicht von S-Direkt-Geschäftsführer Thomas Henkel schreibt sich das Thema anders. "Die Forderung der Gewerkschaft gefährdet Arbeitsplätze", sagt er. Eine schnelle Umsetzung der Lohnerhöhung würde das Unternehmen einen Millionen-Betrag im Jahr kosten.