Streetscooter:Postauto für alle

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Seit 2014 hat die Deutsche Post eine Tochter namens Streetscooter, die batteriebetriebene Brief- und Paketautos baut. Doch die Tage der Aachener Firma scheinen gezählt. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Der Wettbewerb um die besten Elektrofahrzeuge nimmt zu, nicht nur bei den Autos: Die Deutsche Post verkauft nun Lieferwagen an Unternehmen und städtische Betriebe.

Von Max Hägler und Benedikt Müller, München/Bochum

Elektromobilität, das ist mittlerweile auch Symbolpolitik. Hochpolitisch im Sinne von: Wer ist vorne dran, wer hat welches Fabrikat auf dem Hof stehen? Deshalb drehte dieser Tage der grüne Oberbürgermeister in Stuttgart höchstpersönlich eine Proberunde vor dem Alten Schloss: Zwei elektrische Transporter nahm Fritz Kuhn entgegen, die seine Stadtverwaltung nun testet. Keine Innenstadt in Deutschland leidet so sehr unter Luftverschmutzung wie Stuttgart, immer wieder wird Feinstaub-Alarm ausgerufen, bald könnte ein Fahrverbot für Diesel-Wagen in Kraft treten. Daher testet die Stadt nun batteriebetriebene Lieferwagen, die keine klimaschädlichen Gase ausstoßen, weder Ruß, noch Stickoxide noch Kohlendioxid. "Das ist wichtig in unseren Bemühungen für saubere Luft im Kessel", sagt Kuhn - was zugleich eine Breitseite gegen die Fahrzeugindustrie vor Ort war.

Denn die beiden elektrischen Transporter haben sich die Schwaben nicht vom heimischen Autobauer Daimler geborgt und auch noch nicht von einem anderen etablierten Autohersteller. Sondern von der Deutschen Post. Genauer: vom Start-up-Unternehmen Streetscooter aus Aachen, das seit drei Jahren dem Bonner Konzern gehört. Denn die Deutsche Post ist mittlerweile, tatsächlich, auch Fahrzeugbauer.

Für den Testlauf hatte das Logistikunternehmen noch gelbe Modelle nach Stuttgart geschickt. Doch lackiert die Firma Streetscooter ihre Lieferwagen nun auch in anderen Farben: in orange für kommunale Betriebe - und in weiß für private Unternehmen, die den E-Transporter für ihren Lieferverkehr kaufen. Zwar stellt die Post bislang die meisten Lieferwagen für den Eigenbedarf her, um ihre Diesel-Transporter nach und nach durch den elektrischen Eigenbau zu ersetzen. "Fest steht aber, dass der Drittmarkt dramatisch größer ist als unser eigener Bedarf", sagt Post-Vorstand Jürgen Gerdes. Es ist eine Ansage, die den etablierten Herstellern von Nutzfahrzeugen zu denken geben kann.

Am Dienstag hat die Post eine neue Partnerschaft vorgestellt, um ihre E-Lieferwagen unter die Leute zu bringen: Die Bochumer GLS Bank finanziert den Kauf von 500 Streetscootern; die Leasing-Firma Comco vermietet die elektrischen Transporter dann weiter. Es ist das erste Mal, dass die Post eine dreistellige Zahl ihrer Streetscooter an Firmen außerhalb des eigenen Konzerns verkauft.

"Wer hätte das vor sechs, sieben Jahren gedacht?", sagt Gerdes. Damals fragte die Post einige Autokonzerne an, welche elektrischen Nutzfahrzeuge in Planung seien. Da die Hersteller aber angeblich nichts zu bieten gehabt hätten, sei die Post beim Start-up Streetscooter eingestiegen, das aus einem Projekt der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen entstanden war. So geht zumindest die Legende, die sie bei der Post so gern erzählen. Es ist eine Geschichte, die vom Selbermachen handelt und davon, dass die Post aus der Not eine Tugend gemacht hat. Ein Eigenfabrikat als Symbol des Aufbruchs.

Es könnte aber auch so sein, dass sie bei der Post - und insbesondere Manager Gerdes - mehr sein wollten als bloß Brief-Sortierer und Brief-Ausfahrer und sich deswegen zum Technikkonzern aufgeschwungen haben. Elektromobilität, das ist ja mittlerweile angesagt und dazu praktisch.

Denn das Angebot war zwar mau. Aber ein bisschen was hatten die Autofirmen damals doch in der Garage. Der französische Renault-Konzern etwa den elektrischen Kangoo. Und auch ein deutsches Fabrikat wäre eigentlich erhältlich gewesen, auch wenn das weniger gut in diese Geschichte von der verzweifelt selbst anpackenden Post passt: "Wir glauben daran, dass emissionsfreie Fahrzeuge gerade auf der sogenannten letzten Meile wichtig sind", sagt etwa Volker Mornhinweg, Leiter von Mercedes-Benz Vans. "Deshalb hatten wir bereits seit 2011 E-Lieferwagen im Angebot." Damals sei die Nachfrage bei möglichen Kunden gering gewesen. Erst jetzt würden solche alternativen Antriebe immer stärker nachgefragt, so habe man gerade mehrere Hundert Lieferwagen an den Post-Konkurrenten Hermes verkauft. Und im kommenden Jahr komme eine Neuauflage des E-Vito sowie ein E-Sprinter, ein elektrischer Stadtbus, gehe in Serie. Ein mittelgroßer E-Lkw, genannt Canter, sei bereits lieferbar.

Die Geschichte der Post-Manager klingt schon gut: Sie bauen selbst Autos, mangels Angeboten

Wie auch immer die Technik zum Briefkonzern kam: Lieferwagen mit Elektroantrieb sind einfacher zu bauen als herkömmliche Fahrzeuge, die Post hat das genutzt und mausert sich nun zu einem Konkurrenten der etablierten Hersteller. Das neue Leasing-Angebot richtet sich an Handwerker oder Lieferdienste. Bis Jahresende wird die Post 500 Streetscooter an Comco absetzen. "In drei bis vier Monaten ist der Hof leer", prognostiziert Comco-Geschäftsführer Holger Rost. Er bietet Unternehmen Verträge mit zwei bis fünf Jahren Laufzeit an. Danach können die Firmen den E-Lieferwagen entweder zurückgeben, abkaufen oder die Laufzeit verlängern. Mit monatlichen Raten von 270 bis 330 Euro ist der Streetscooter allerdings teurer als die Einstiegsangebote für konventionelle Lieferwagen. Auch um die nötigen Ladestationen müssen sich die Geschäftskunden noch selbst kümmern, wenn sie sich für den Stromer entscheiden.

Allerdings erhoffen sich Unternehmen im Gegenzug einen Wettbewerbsvorteil, wenn sie in den Städten künftig abgasfrei zu ihren Kunden fahren können. Die Post beispielsweise will bei Online-Händlern offensiv mit ihrer besonders umweltfreundlichen Zustellart werben. Bislang hat das ehemalige Staatsunternehmen etwa 3500 Streetscooter im Einsatz. Mittelfristig will der Konzern aber seine gesamte Zustellflotte - knapp 50 000 Fahrzeuge für Briefe und Pakete - von Verbrennungsmotoren auf Elektroantrieb umstellen. Neben den beiden Streetscooter-Modellen mit vier bis sechs Metern Länge stellt die Post auch eine sieben Meter lange XL-Variante her, deren Fahrgestell und Fahrerkabine zwar der Autokonzern Ford zuliefert - den Elektroantrieb setzt auch dort die Firma Streetscooter ein. Deutlicher kann kaum werden, wie sehr Elektromobilität die Lieferketten der Branche verändern kann.

Um die hohe Nachfrage aus dem eigenen Konzern und seitens Dritter zu decken, eröffnet die Post im nächsten Jahr eine zweite Fahrzeug-Fabrik in Düren. In der Stadt zwischen Aachen und Köln werden 250 neue Arbeitsplätze entstehen. Insgesamt kann die Post dann bis zu 20 000 Nutzfahrzeuge pro Jahr herstellen.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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