Streben nach Unabhängigkeit:Katalonien und seine ungewisse wirtschaftliche Zukunft

Streben nach Unabhängigkeit: Ein Mann hat sich die Estelada um Schulter gelegt, das Symbol der Unabhängigkeit Kataloniens.

Ein Mann hat sich die Estelada um Schulter gelegt, das Symbol der Unabhängigkeit Kataloniens.

(Foto: Francisco Seco/AP)
  • Experten streiten, ob die Region im Falle der Unabhänigkeit von Spanien wirtschaflich überleben kann.
  • Aus Sicht vieler ist die katalanische Industrie international konkurrenzfähig.
  • Hilfreich auf dem Weg zur ökonomischen Eigenständigkeit wäre die EU-Mitgliedschaft. Madrid würde allerdings ein Veto einlegen.

Von Thomas Urban, Barcelona

Im Konflikt um die Zukunft der Region Katalonien hat auch unter Wirtschaftsexperten längst eine Art Propagandakrieg eingesetzt. Gestritten wird über die Frage, ob eine Republik Katalonien nach der Abspaltung vom Königreich Spanien, wie es die Führung in Barcelona anstrebt, wirtschaftlich überleben könnte. Die Antworten reichen von schwärzesten Szenarien mit Massenarbeitslosigkeit bis zum Bild eines begehrten Standorts für internationale Investoren, der wirtschaftlich in derselben Liga spielt wie die Niederlande oder Schweden.

Einigkeit herrscht unter den Experten nur über zwei Punkte: Spanien könnte sich wirtschaftspolitisch die Abspaltung der Industrie- und Touristikregion nicht leisten. Und ein Generalstreik in Katalonien, wie er sich angesichts der derzeit ausweglos erscheinenden Konfrontation abzeichnet, würde auch ganz Spanien empfindlich treffen; er könnte das gesamte Sanierungsprogramm der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy durchkreuzen und in eine erneute Rezession münden. Mit anderen Worten: Die harte Linie Rajoys, der Verhandlungen über den Hauptstreitpunkt ablehnt, nämlich den unausgegorenen Finanzausgleich zwischen den Regionen, birgt für das Land große Risiken.

Katalonien ist führend in der Autoproduktion und bei Pharmaprodukten

Die 7,5 Millionen Einwohner Kataloniens machen etwa ein Sechstel der Bevölkerung Spaniens aus, sie erwirtschaften aber ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes. Knapp ein Viertel der Industrieproduktion kommt von dort. Doch spiegeln diese Zahlen nur unvollkommen die Bedeutung für die gesamte spanische Volkswirtschaft wider: In der Region an Costa Brava und Costa Dorada sind die Hochtechnologieunternehmen beheimatet, die auch auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind, während die Industrieproduktion aus den anderen Regionen, von Madrid und dem Baskenland abgesehen, überwiegend für den Binnenmarkt bestimmt ist. Vor allem in zwei Bereichen liegt Katalonien ganz weit vorn: bei der Automobilproduktion sowie der Herstellung höchstwertiger Pharmaprodukte. Zudem konzentrieren sich im Großraum Barcelona IT-Unternehmen, die für die Innovationsfähigkeit stehen.

Dies ist die Folge einerseits einer vorausschauenden Wirtschaftsförderungspolitik, andererseits, so betonen es die Katalanen selbst, auch Ausdruck ihrer Mentalität: Sie gelten als effektive Organisatoren und geduldige Tüftler, außerdem sind sie stolz auf ihre Sparsamkeit. Sie sind die Schwaben Spaniens - die Spanier aus den anderen Regionen ärgern sich über den sprichwörtlichen katalanischen Geiz oder machen Witze darüber.

Eines der Grundmotive des jetzigen Konflikts ist es denn auch, dass man in Barcelona der Regierung in Madrid einen ebenso intransparenten wie verschwenderischen Umgang mit Geld vorwirft; die Katalanen meinen, sie würden allein ihre Region besser verwalten und auch konkurrenzfähig halten. Der Verlauf der vor zehn Jahren ausgebrochenen großen Krise in Spanien, die ja Folge einer grob fahrlässigen Finanz- und Wirtschaftspolitik der Zentralregierungen in Madrid ist, liefert ihnen auch viele Argumente dafür.

Dass Katalonien als neuer EU-Staat mit Leichtigkeit wirtschaftlich überleben würde, ziehen nicht einmal die Experten des Finanzministeriums in Madrid in Zweifel. Die große Frage ist, ob die Region nach einer Sezession, für die allerdings die politischen Chancen derzeit gering eingeschätzt werden, in der EU bleiben und den Euro behalten könnte. Eindeutig ist der Fall keineswegs geregelt. Doch angesichts der schwachen politischen Argumentation der Verfechter der Unabhängigkeit - das Referendum vom Sonntag erbrachte wegen der geringen Wahlbeteiligung keinen Beleg dafür, dass sie die Mehrheit der Katalanen hinter sich haben - scheint dies ausgeschlossen zu sein.

Ökonomen in Barcelona hoffen auf ein Gibraltar XXL

Die Republik Katalonien müsste sich um den Beitritt zur EU bewerben, Madrid würde diesen per Veto blockieren. Die Regierung in Barcelona könnte keine Anleihen bei der Europäischen Zentralbank aufnehmen, es würden Zollschranken eingeführt, internationale Investoren würden einen Bogen um den dann äußerst instabilen neuen Staat machen. Der spanische Finanzminister Cristóbal Montora sagte einen Einbruch des katalanischen Bruttoinlandsprodukts um 25 bis 30 Prozent voraus, die Folge wären Massenarbeitslosigkeit und Flucht der Höherqualifizierten aus dem Land, wodurch die Hochtechnologie- und IT-Branche rasch verkümmern würde.

Doch Expertisen, die von Ökonomieprofessoren in Barcelona verbreitet werden, zeichnen ein gänzlich anderes Bild: Selbst im Falle eines Ausschlusses aus der EU würde sich Katalonien nach einer schwierigen Übergangsphase rasch stabilisieren. Es könnte die Mehrkosten für Exportgüter durch Steuervorteile für die Produzenten ausgleichen. Überdies könnte es mit geringen Steuersätzen attraktiv für global agierende Konzerne werden, nicht zuletzt aus der digitalen Branche, die auf hervorragend geschulte einheimische Arbeitskräfte zurückgreifen könnte. Auch gäbe es dann keine Hindernisse, Barcelona zu einem weiteren wichtigen Standort der internationalen Finanzindustrie auszubauen, gewissermaßen ein Gibraltar XXL.

Die Chefs katalanischer Unternehmen kritisieren die Abspaltungspläne

Auch unterlassen die Experten in Barcelona nicht den Hinweis, dass man nach einem Ausschluss aus der EU keineswegs wehrlos der Blockadepolitik Madrids ausgeliefert wäre. Denn ein Großteil des Exports und Imports aus den anderen Regionen geht über die beiden Häfen Barcelona und Tarragona. Barcelona würde Transitgebühren verlangen und die Preise für die Dienstleistungen kräftig heraufsetzen. Allerdings halten nicht nur Unternehmerverbände, darunter der in Barcelona einflussreiche Kreis deutschsprachiger Führungskräfte, sondern auch die internationalen Ratingagenturen eine solche Entwicklung für unwahrscheinlich. Viele Vorstände namhafter Unternehmen warnen vor einer langen Phase der unklaren Rechtsverhältnisse, die Gift für jede Wirtschaftsentwicklung wäre. Auch aus den Chefetagen der größten katalanischen Unternehmen kommt Widerspruch. Die spanische Bank Sabadell kündigte Donnerstagabend an, ihren juristischen Sitz aus der katalanischen Stadt Sabadell in die spanische Hafenstadt Alicante an der Costa Blanca zu verlegen. Sabadell ist das fünftgrößte Geldhaus des Landes. Die Traditionsbank Caixa, die viertgrößte Bank Spaniens, will offenbar am Freitag entscheiden, ob sie ihren Sitz nach Madrid verlegt. Der Sekthersteller Freixenet warnt vor einem Boykott katalanischer Produkte, die anderen spanischen Regionen seien mit Abstand der größte Abnehmer. Barcelona könne sich wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtungen eine Abspaltung gar nicht leisten. Mit ähnlicher Argumentation hat die Ratingagentur S & P die Perspektiven für Katalonien als negativ bewertet ("credit watch negative").

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