Süddeutsche Zeitung

Streaming:Im falschen Film

Der Europäische Gerichtshof sagt: Auch wer urheberrechtlich geschützte Filme und Serien auf dubiosen Seiten anschaut, verstößt gegen Recht. Ein Download ist für den Verstoß nicht nötig. Das könnte Abmahnanwälten nutzen.

Filme, Serien, Bundesliga-Liveübertragungen: Viele Millionen Menschen schauen Videos im Netz als Stream, wofür sie eigentlich bezahlen müssten. Was lange eine Grauzone war, ist nun höchstrichterlich illegal. In einer überraschenden Entscheidung hat der Europäische Gerichtshofes (EuGH) an diesem Mittwoch geurteilt: Wer Streams ansieht, die ohne Zustimmung der Urheber im Netz angeboten werden, kann gegen das Gesetz verstoßen. Für Nutzer beliebter Seiten wie Kinox.to oder Movie4k.to oder Fußball-Fans, die Spiele ohne Pay-TV live schauen, steigt die Gefahr, abgemahnt zu werden. Die entsprechenden Seiten sind juristisch gesehen "heißer" geworden. Allerdings drohen keine Zustände wie bei Tauschplattformen für Filme und Musik, deren Nutzer seit Jahren mit teils äußerst dubiosen Abmahnungen überzogen werden. Denn herauszufinden, wer wann was im Internet angeschaut hat, ist technisch äußerst schwierig.

Streaming urheberrechtlich geschützter Inhalte muss man vom Filesharing unterscheiden, bei dem Nutzer über Tauschplattformen Dateien auf ihre Computer herunterladen und gleichzeitig für andere hochladen. Nutzer von Streamingseiten waren bisher vergleichsweise sicher vor Abmahnungen und Klagen im Auftrag der Musik- und Filmindustrie. Das galt sogar, wenn sie Videos auf Seiten wie Kinox.to ansahen, die dort widerrechtlich angeboten wurden - im Gegensatz zu legalen Angeboten wie Netflix oder iTunes. Gegen die Macher der Seiten wurde vorgegangen, gegen die Nutzer kaum.

Denn für Streaming galt nach Einschätzung vieler Juristen eine Ausnahme im Urheberrecht: Beim Abspielen eines Filmes wird die Datei nur kurzzeitig im Browser-Cache gespeichert, damit sie abgespielt werden kann, und ist nach dem Ansehen wieder weg. Das fällt unter den Sonderfall der "vorübergehenden" sowie der "flüchtigen und begleitenden" Handlung, der in der entsprechenden EU-Richtlinie aufgeführt ist. Das Bundesjustizministerium hatte 2014 nach einer Abmahnwelle gegen Nutzer einer Porno-Streamingseite erklärt, es halte solches Streaming nicht für urheberrechtlich problematisch. Streamingnutzer fühlen sich also relativ sicher, denn sie betrachten Filme ja nur und laden sie nicht herunter und teilen sie mit anderen. Juristen, die diese nutzerfreundliche Meinung vertreten, müssen diese durch das Urteil wohl revidieren.

Die Nutzer wüssten sehr wohl, dass sie eigentlich für das Angebot zahlen müssten

Eigentlich ging es vor dem EuGH in erster Linie gar nicht um die Nutzer, sondern um den kommerziellen Anbieter eines Zusatzgerätes für Fernseher aus den Niederlanden. Dieser "Filmspeler" verlinkt Filme, die illegal angeboten werden. Ein niederländisches Gericht hatte den EuGH um eine Entscheidung gebeten. Der erklärte nun, dass das Angebot eine Urheberrechtsverletzung darstellen kann, da die Box geschützte Werke der Öffentlichkeit zugänglich mache. Selbst wenn die Vervielfältigung "flüchtig" sei, schade sie den Rechteinhabern - da die Nutzer ja nicht für die Werke zahlten. "Die Entscheidung lässt sich eins zu eins auf Computer übertragen" - also auch auf Streamingnutzer ohne das beanstandete Zusatzgerät zu Hause, erklärt der auf IT-Recht spezialisierte Anwalt Christian Solmecke. Entscheidend ist die juristische Einschätzung des Streamingvorgangs in dem Verfahren. Das Gericht folgte offenbar dem Generalanwalt, dem wichtigsten Rechtsberater des EuGH. Er hatte argumentiert: Streamingnutzer hätten den Vorsatz, umsonst Filme zu sehen, für die sie eigentlich zahlen müssten. Sie würden sehr wohl erkennen, wann es sich um Streaming handele - denn Streaming sei ein "anomaler" Akt und nicht mit dem normalen Surfen auf Webseiten zu vergleichen. Für Jonas Kahl, Anwalt für Urheberrecht, sind "Haftungsrisiko und Abmahnrisiko mit der Entscheidung gestiegen". Und Anwalt Solmecke sagt: "Der EuGH geht davon aus, dass all diejenigen, die sich illegal eingestellte Streams im Internet ansehen, eine Urheberrechtsverletzung begehen."

Gerichte müssen bald im Einzelfall klären, ob der Nutzer die illegale Seite von einer legalen hätte unterscheiden können, denn die Streams müssen dem Urheberrecht zufolge "offensichtlich rechtswidrig" sein. Kahl sagt: "Das wird weiterhin umstritten sein, weil ja jede Plattform anders gestaltet ist. Otto Normalverbraucher tappt da immer noch im Dunkeln." Ein Anzeichen für urheberrechtlich problematische Webseiten sei etwa, wenn sich die Seite augenscheinlich mit aggressiver Werbung finanziere statt mit Abos wie die meisten lizenzierten Seiten, oder wenn das Impressum fehle.

Es ist schwierig, die Menschen zu finden, die illegal Videos streamen

Gegen eine neue große Abmahnwelle spricht Solmecke zufolge allerdings, dass Anwälte viel schwerer an die IP-Adressen der Nutzer von Streamingseiten kommen als an die von Filesharing-Software - und nur über diese Adressen können sie ihre Identität herausfinden. Bei Internetanbietern wie der Telekom können Anwälte erfragen, welcher Anschluss sich hinter einer IP-Adresse verbirgt. Bei Filesharing-Software geht das deutlich leichter, da bei ihr die IP-Adressen sichtbar sind. An Nutzer von Streams kommen Anwälte aber praktisch nur nach einer Razzia der Polizei bei den Hintermännern einer Streamingseite heran, wenn diese die IP-Adressen zutage fördert. Wer dennoch erwischt werde, müsse mit geringeren Kosten als bei einer Abmahnung wegen Filesharings rechnen, sagt Solmecke. Denn beim Streaming würden Dateien ja nicht an Dritte weiterverbreitet, was die Urheberrechtsverletzung juristisch gesehen enorm verschlimmern würde.

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Quelle:
SZ vom 27.04.2017
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