Einmal pro Woche checkt Pablo Kinnert die kleine weiße Zahl im oberen Bildschirmfenster seines Spotify-Accounts. Die Zahl steht für die Anzahl der Menschen, die regelmäßig die Musik seiner Band hören. Etwas weniger als 350 sind das derzeit. Zu wenige. Viel zu wenige. Denn Hörer bedeuten auf Spotify Fans, und Fans bedeuten Klicks, und Klicks bedeuten Geld. Wie viel, lässt sich genau festmachen: 0,0051 Cent zahlt Spotify pro Hörer. Wenn 350 Menschen im Monat zuhören, können sich Kinnert, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, und seine Band eine Kugel Eis dafür kaufen. Allerdings müssen sie Stromrechnungen bezahlen, Miete für die Wohnung und den Probenraum. Es ist eine Rechnung, die klarmacht: Man braucht ziemlich viele Hörer, um wirklich Geld auf Spotify zu verdienen.
Seit sechs Jahren treten die jungen Männer mit fröhlichem Indie-Balkan-Pop auf, haben eine treue Fangemeinde in München, gehen deutschlandweit auf Tour und verkaufen hin und wieder eine CD. Den Traum, von ihrer Musik leben zu können, haben sie erst einmal auf Eis gelegt.
Jeder zweite Deutsche hört Musik bei digitalen Anbietern im Netz
Alle gehen anderen Berufen nach. "Wir waren immer ein bisschen faul, was Spotify angeht", sagt Kinnert. Sie dachten, dass Streaming nicht so wichtig sei. Dass es doch wichtig ist, legte ihnen dann ein befreundeter Manager nahe. Einer aktuellen Studie der Universität Hamburg zufolge nutzt jeder zweite Deutsche Streamingdienste, jeder vierte gar eine kostenpflichtige Premium-Version. An Spotify führt für Musiker also kein Weg mehr vorbei. 2008 als schwedisches Start-up erstmals nutzbar, hat es in zehn Jahren die Welt des Musikhörens völlig auf den Kopf gestellt. Sogar Kritiker wie Taylor Swift, die sich lange weigerte, ihr neues Album für Streaming zur Verfügung zu stellen, ist wieder dabei. Ebenso die Berliner Band Element of Crime. Deren Frontmann Sven Regener schimpfte Spotify in einem legendären Interview "den Ein-Euro-Shop der Musik".
Eine wichtige Währung im Spotify-Universum sind kuratierte Playlisten, denn Tausende Menschen klicken täglich auf diese Listen. Das bestätigt Spotify-Pressesprecher Marcel Grobe. Spotify schnürt Musikpakete für jeden Anlass und jeden Geschmack. "Relax and Unwind" zum Feierabendbier, "Get Ready to Party" für einen Samstagabend. Siebenstellig sind die Hörerzahlen vieler dieser offiziellen Spotify-Listen - gut für die Bands, die da mit dabei sind. Je nachdem, wo man landet, sind schon mehrere Kugeln Eis drin. Oder noch viel mehr. Playlisten, das sind eine Art Startrampe für professionelle Musiker-Karrieren.
Wie aber landen auf dieser Rampe? Vor wenigen Monaten wagte Kinnerts Band einen Anlauf. Und scheiterte. Denn auf einer so offen organisierten Plattform wie Spotify finden nicht nur Musikmacher und Musikhörer ihren Platz, sondern auch Trittbrettfahrer, die aus den Nöten junger Künstler ein Geschäftsmodell entwickeln.
Über die Website Fiverr, auf der wie in einer Jobbörse alle denkbaren internetbasierten Dienstleistungen angeboten werden, engagierte Kinnerts Band drei Personen, die versprachen, jeweils einen Song auf großen Playlisten zu platzieren. "I will make you famous on Spotify" oder "I will Best Viral Spotify Promo" lauten einige der vielen, teils aufregend klingenden Versprechen auf Fiverr. Der Preis variiert zwischen fünf und 50 Euro. Playlist-Plugging, Wiedergabelisten-Anstöpseln, heißt dieses Phänomen in der Musikszene. Dabei versprechen Drittanbieter, einzelne Songs auf vielgehörten Playlisten zu platzieren. Doch oftmals bleibt es bei dem Versprechen. So auch bei Kinnerts Band. "Wir haben zwar ein paar mehr Klicks gehabt, aber den Profilen nach zu schließen landete unser Song vor allem bei Leuten aus Südamerika, die sonst eher Hip-Hop hören", sagt er. Das halte er jedoch für unwahrscheinlich.
Eine bedenkliche Entwicklung, dass mit den Träumen noch unerfahrener Musiker Geld verdient wird, findet man bei Spotify. "Niemand sollte sich auf Playlisten einkaufen können", sagt Pressesprecher Grobe. Die Plattform selbst halte sich daran. Für den Streamingdienst gehe es um die Qualität der Musik und darum, Nachfrage mit Angebot zu vernetzen.
Neuerdings wird diese Philosophie mit dem Angebot "Spotify for Artists" möglichst transparent gestaltet. Der Weg auf eine Playlist soll so ablaufen: Gute Musik aufnehmen, eine E-Mail an Spotify schreiben, warten und hoffen. 150 Redakteure kümmern sich weltweit täglich darum, neue Songs an die passende Zielgruppe auszuspielen. Unterstützt werden sie von Algorithmen, die bestimmen können, was gern von wem gehört wird.
Spotify rät, kein Geld für das Beeinflussen von Playlisten zu zahlen
Was indessen Drittanbieter versprechen, um den Weg auf eine Playlist zu verkürzen, das könne man nur bedingt beeinflussen, heißt es bei Spotify. Playlist-Plugging bleibt somit in einem rechtlichen, unter Umständen lukrativen Graubereich.
500 Dollar verlor Brian Hazard aus Kalifornien, der unter dem Namen Color Theory elektronische Musik veröffentlicht. Er fiel auf ähnliche Anbieter herein wie Kinnerts Band. An seinen Klickzahlen änderte sich nichts. Gerät ein Musiker an richtig falsche Leute, riskiert er gar, auf Playlisten aufzutauchen, die ganz eindeutig gegen Spotifys AGB verstoßen: Bisweilen kommt es vor, dass technikaffine Listen-Betreiber Bots programmieren, um Hörerzahlen zu simulieren. In einem Fall schaffte es ein Hacker, so mehr als drei Millionen Dollar zu erwirtschaften. Erlaubt ist das nicht. "Spotify entwickelt deshalb immer genauere Methoden zur Erkennung und Beseitigung dieser inakzeptablen Tätigkeit", sagt Pressesprecher Grobe. Ebenso werde darin investiert, die Auswirkungen auf rechtmäßige Urheber zu reduzieren.
Auf amerikanischen Musikblogs wird heiß diskutiert, ob sich Playlist-Plugging lohnt. Die vorherrschende Meinung: eher nicht. Zu diesem Urteil kommt auch Kinnerts Band. Geärgert hätten sie sich schon. Wenigstens gaben sie wenig Geld aus. Sprecher Grobe rät Künstlern und Labels, niemals Geld an Anbieter zu zahlen, um Playlists zu beeinflussen.