Strauss-Kahn und Ergos Sex-Skandal:Geld, Macht, Sex

Zu viele mächtige Männer sind von ihrer eigenen Wichtigkeit berauscht. Früher nahm sich der Fürst das Recht der ersten Nacht - eine Anmaßung, die in anderer Form bis heute in vielen Köpfen steckt. Ein Instrument dagegen: Führungsetagen müssen weiblicher werden.

Alexander Hagelüken

Manchmal häufen sich Ereignisse in einer Weise, als wolle das Schicksal ein Thema setzen. In einer New Yorker Wohnung bereitet sich der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn auf seinen Prozess vor, die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem versuchte Vergewaltigung vor. Italien erwartet am Dienstag die zweite Sitzung in einem Verfahren, das den einschlägig bekannten Premier Silvio Berlusconi wegen Sex mit einer minderjährigen Prostituierten auf der Anklagebank sieht. Und die Deutschen reden darüber, dass die Hamburg-Mannheimer Versicherung 20 Prostituierte für eine Feier ihrer Vertreter buchte - wobei Damen mit weißen Bändchen für Vorstände sowie sogenannte Top-Verkäufer reserviert gewesen und die Frauen nach jedem Akt wie Schlachtvieh abgestempelt worden sein sollen.

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Damals war er noch umschwärmt: Dominique Strauss-Kahn mit der Präsidentschaftskandidatin Segolene Royal 2007.

(Foto: AFP)

Hinter diesen und anderen Affären, so unterschiedlich sie im Einzelfall sind, steckt System. Es geht um Geld, Macht und Sex. Es geht um den Machtmissbrauch durch Männer in Führungspositionen, das Verwechseln von Herrschaft mit Herrenwitzen und gekauften Sex als höchstmögliche Belohnung für Leistung. Geschichtsbeflissene verweisen gerne darauf, wie sehr Macht stets mit sexueller Verfügungsgewalt verbunden war, mit Übergriffen Mächtiger (meist Männer) auf Ohnmächtige (meist Frauen). Fürsten nahmen sich das Recht der ersten Nacht, eine Anmaßung, die in anderer Form bis heute in vielen Köpfen steckt.

In modernen Zeiten kennt die Belästigung der Opfer viele Spielarten, von Anzüglichkeiten über das Angebot von Protektion für Sex bis zu der Straftat, der Dominique Strauss-Kahn angeklagt ist. Die Dunkelziffer ist hoch. Viele Vorfälle bleiben nach wie vor folgenlos, weil die Opfer einen größeren Schaden für sich fürchten als für den Täter.

Es mag sogar so sein, dass Einfluss und Entscheidungsgewalt tatsächlich auf zahlreiche Menschen anziehend wirkt. Viele Macht-Haber in Politorganisationen oder Konzernzentralen halten sich wie selbstverständlich für attraktiv, einige sind es tatsächlich, und sei es nur kraft Amtes. Niemand aber hat das Recht, Grenzen zu überschreiten, die klar auf der Hand liegen: Gewalt ist verboten, Aufdringlichkeit verkehrt.

Dass es trotzdem so häufig zu Grenzüberschreitungen kommt, erklären manche Psychologen strukturell. Wer Karriere machen will, braucht meist Biss und eine große Portion Unverfrorenheit - Eigenschaften, die womöglich auch zur Grenzüberschreitung führen. Andere verweisen auf den enervierenden Alltag vieler vorgeblich Mächtiger, deren Einfluss in Wahrheit von all den Konkurrenten, internen Rivalen, Parteifreunden, Ministerkollegen und Wählern perforiert wird - und die Eroberungen als ultimative Gratifikation für ihre 16-Stunden-Tage betrachten.

Mächtige sind umgeben von Jasagern, von Referenten, Reisebuchern und Taschenträgern. Medien bestätigen ihre Bedeutung, Publikum hört ihren Reden zu. Wahrscheinlich wird es irgendwann schwierig, nicht von der eigenen Wichtigkeit berauscht zu sein. Wer erlebt hat, wie manche Minister oder Manager ihre Untergebenen demütigen, der ahnt, dass sich manche abgewöhnen, nach dem Willen anderer zu fragen - oder sich so unwiderstehlich finden, dass ihnen schon die Frage überflüssig vorkommt.

Inzwischen werfen mehrere Frauen dem inkriminierten Spitzenpolitiker Dominique Strauss-Kahn öffentlich vor, aufdringlich geworden zu sein. Die frühere IWF-Mitarbeiterin, die sich zu einer Affäre mit ihm geradezu verpflichtet sah, nennt ihn "ungeeignet, eine Behörde zu leiten, in der Frauen unter ihm arbeiten". Offenbar wussten viele Bescheid, niemand schritt ein. Parteifreunde, Mitarbeiter und Journalisten verharrten in einer Kumpanei des Schweigens, die mitunter zu einer Schulterklopferei für den tollen Hecht ausartete.

Machthaber müssen sich bewusst machen, dass ihre Macht nur geliehen ist. Dass sie ihnen kein Recht zur Anmaßung gibt, sondern eher Verpflichtung ist, sich neben den politischen oder betrieblichen Zielen auch um das Wohl der Beschäftigten zu kümmern. Und die Hierarchielosen sollten eine Kultur des Widerspruchs pflegen - nicht als Querulanten, sondern mit dem Mut zur Kritik. Eine gute Organisation fördert die Mündigkeit von Mitarbeitern, statt sie zu unterdrücken.

Und es gibt ein weiteres Instrument, die traditionelle Umsetzung von (meist männlicher) Macht in sexuelle Verfügungsgewalt zu bremsen: Führungsetagen müssen weiblicher werden. Nicht weil Frauen die besseren Menschen wären, sondern weil sie traditionell andere Erfahrungen mit dem Thema haben. Da ist wenig Platz mehr für augenzwinkernde Kumpanei oder Sprüche nach der Art, die belästigte Frau habe es ja nicht anders gewollt.

Würde die Hamburg-Mannheimer Frauen für den Vertrieb buchen, wenn der anwesende Vorstand zur Hälfte aus Frauen bestünde? Solche Peinlichkeiten sind nicht mit dem Fall Strauss-Kahn vergleichbar, aber die deutsche Wirtschaftswelt stünde ohne sie besser da.

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