Strategiewechsel:Löscher baut Siemens radikal um

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Unruhe bei Siemens: Konzernchef Peter Löscher will eine vierte Sparte aufmachen. Der Umbau soll zwar nicht zu einem Stellenabbau führen, doch viele Mitarbeiter müssen womöglich neue Tätigkeiten übernehmen.

Martin Hesse

Der Siemens-Konzern steht vor dem größten Umbau seit 2007. Als Vorstandschef Peter Löscher gerade ein paar Monate an Bord war, stellte er den riesigen Baukasten an Geschäftsfeldern auf den Kopf und ordnete danach alles den drei Sektoren Industrie, Energie und Medizintechnik zu. Jetzt soll nach dem Willen Löschers ein neuer, vierter Sektor hinzukommen, wie die Süddeutsche Zeitung aus dem Umfeld des Konzerns erfuhr. Darin wird sich alles um Produkte und Dienstleistungen für "grüne Städte" drehen. Siemens wollte sich zu den Plänen nicht äußern.

(Foto: N/A)

Der Industriesektor, mit sechs Divisionen, 35 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 200.000 Mitarbeitern wird für den neuen Siemens-Stadtplan kräftig gestutzt. Auch Energie-Chef Wolfgang Dehen - fünf Divisionen und 25 Milliarden Euro Umsatz - muss Bereiche abgeben. Unberührt bleibt die Medizintechnik mit ihren drei Divisionen. Am Montag soll der Aufsichtsrat über die Pläne entscheiden. Auch für den Börsengang der Licht-Tochter Osram sollen die Kontrolleure dann den Weg freimachen.

Im Siemens-Umfeld heißt es, der Umbau solle nicht zu einem Stellenabbau führen. Doch die Pläne bringen neue Unruhe: Die Zuständigkeiten ändern sich, viele Mitarbeiter müssen womöglich neue Tätigkeiten übernehmen oder an einen anderen Standort wechseln.

600 Städte - Hälfte der Leistung der Weltwirtschaft

Die Begründung für den Konzernumbau hatte Löscher bereits bei der Hauptversammlung im Januar geliefert - nur wusste da noch niemand, welche radikalen Konsequenzen er daraus ziehen würde. Minuten lang referierte der Vorstandschef damals über Herausforderungen, vor denen Städte und Megacities der Welt stehen, und er schwärmte von den Chancen, die das für Siemens biete. "Die größten 600 Städte stehen für die Hälfte der Leistung der Weltwirtschaft", sagte Löscher.

Sie seien Kraft- und Problemzentren zugleich. Siemens will das nutzen, um Lösungen für Umweltschutz und Energieersparnis zu verkaufen. Zu diesem Zweck hat der Konzern bereits einen "Green-City-Index" entwickelt, um Stärken und Schwächen von Städten hervorzuheben und sich selbst als Lösungsanbieter ins Spiel zu bringen. Gerne zeigt sich Löscher auch immer wieder mit dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude und anderen Stadtoberhäuptern.

Um den Bürgermeistern der Welt die Produkte gebündelt anbieten zu können, will der Manager sie nun auch organisatorisch zusammenführen. Schon sein Vorgänger Klaus Kleinfeld hatte das erwogen. Außenstehende halten den Schritt für ein interessantes Experiment. "Megastädte sind groß wie Länder und wachsen weiter. Es ergibt Sinn, sie als Kunden besonders ernst zu nehmen", sagt ein Investmentbanker.

Skeptiker bemängeln dagegen, Löscher verbräme den ohnehin geplanten Umbau mit einem Trendthema, um ihn besser verkaufen zu können. "Der Sektor Industrie war im Vergleich zu den anderen von Anfang an zu groß und zu komplex", heißt es im Konzernumfeld. "Man hatte nur 2007 schlicht nicht genug Spitzenmanager, die frei von Korruptionsverdacht waren und einen Sektor hätten führen können."

Nun hält Löscher offenbar einen der bisherigen Divisionschefs für reif, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Er soll seinen Wunschkandidaten gefunden haben, doch erst am Montag stimmt der Aufsichtsrat darüber ab. Intern soll im Vorstand heftig über die Besetzung gestritten worden sein. Mehrere Tage lang hatten sich die Top-Manager in dieser Woche am größten Siemens-Standort Erlangen-Nürnberg verschanzt.

Die Sektor-Chefs Siegfried Russwurm und Wolfgang Dehen müssten Federn lassen, wenn die Pläne nach Löschers Vorstellungen umgesetzt werden. Aus dem Industrie-Sektor sollen die Gebäudetechnik und die Division Mobility in die neue Einheit übergehen, sie setzen zusammen mehr als 13 Milliarden Euro um; Nahverkehrszüge, Verkehrsleitsysteme und umweltfreundliche Bautechniken sollen die Städte grüner machen. Außerdem könnte aus dem Energiesektor die Stromverteilung in die neue Einheit passen. Hinzu kommen Themen wie intelligente Stromnetze (Smart Grid), die bislang keinem Sektor zugeordnet sind. Auch Osram würde bis zum Börsengang voraussichtlich dem neuen Sektor angehören.

Machtpolitische Ziele

Auf den Industrie-Sektor kommen weitere Veränderungen zu. So soll die Dienstleistungssparte (Industry Solutions) aufgelöst und in die Automatisierungs- und die Antriebssparte eingegliedert werden. Der Versuch, den Servicebereich separat zu führen, gilt im Konzernumfeld als gescheitert. Russwurm hatte die Mitarbeiter schon vor einigen Wochen darauf eingestimmt. Er betonte seinerzeit: "Wir reden hier über Möglichkeiten, wie wir Wachstum fördern können und nicht über ein Restrukturierungsprogramm."

Wie die Arbeitnehmervertreter zu den Plänen stehen, ist offen. Einerseits hat Löscher in den vergangenen Jahren stets versucht, die Belegschaft für Umbaumaßnahmen auf seinen Seite zu bekommen. Andererseits mutete er ihnen viel zu: Er baute im mittleren Management tausende Stellen ab, gliederte die IT-Sparte aus, strich auch dort 4000 Jobs und verkaufte sie schließlich.

Hintergrund für den neuerlichen Umbau sind ehrgeizige Wachstumsziele. Sie hatte Löscher Ende des vergangenen Jahres diktiert. Zwar erzielte der Konzern 2010 in den drei Sektoren einen Rekordgewinn, der Umsatz schrumpft jedoch seit drei Jahren. Jetzt will Siemens in allen Bereichen schneller wachsen als die Konkurrenz, ohne dass darunter die Gewinne leiden. Löscher habe den Umbau deshalb zur Chefsache gemacht, heißt es im Umfeld des Konzerns. Aufsichtsratschef Gerhard Cromme soll die Pläne schon abgesegnet haben.

In Finanzkreisen hieß es, Löscher könne mit dem Umbau auch machtpolitische Ziele verfolgen. So verlöre der bisher mächtigste Sektor Industrie und damit sein Chef Russwurm an Gewicht. Dessen Vorgänger Heinrich Hiesinger hatte letztes Jahr den Konzern verlassen, weil er Ambitionen auf den Chefposten hatte, die er dann bei Thyssen Krupp verwirklichen konnte. Bei dem neuen Zuschnitt würden die Chefs der vier Sektoren alle einen Umsatz zwischen zwölf und 22 Milliarden Umsatz verantworten.

© SZ vom 25.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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