Süddeutsche Zeitung

Strafzölle gegen Chinas Solarindustrie:Das rote Tuch

Die EU-Kommission verhängt Strafzölle auf chinesische Solartechnik, die Reaktionen sind geteilt. Während Europas Unternehmen auf eine bessere Zukunft hoffen, fürchtet Berlin die Rache Pekings.

Von Markus Balser, Berlin

Wenn Milan Nitzschke über Chinas Solarbranche redet, geht es immer um große Zahlen. Der Präsident des europäischen Branchenverbandes Pro Sun, der seit Jahren für Strafzölle gegen chinesische Billigkonkurrenten kämpft, weiß nur zu gut, welch gewaltige Dimensionen die Fabriken in Fernost längst haben: "Mit Kapazitäten von 60 Gigawatt kann China doppelt so viele Solarmodule liefern, wie die Welt brauchen kann - der Weltmarkt liegt nur bei 30." Nach aggressivem Wachstum beherrscht das Land heute 84 Prozent des Weltmarktes. China zeige an der Solarindustrie exemplarisch, wie man eine Industrie weltweit vernichten kann, um am Ende allein übrig zu bleiben, warnt Nitzschke.

Dass Brüssel vorläufige Strafzölle verhängt hat, um Europas Solarfirmen zu schützen, löst in den Zentralen der verbliebenen europäischen Solarfirmen Erleichterung aus. Europa habe die letzte Chance ergriffen, ein Monopol auf die Zukunftstechnik zu verhindern.

Firmen wie der finanziell angeschlagene Solarworld-Konzern aus Bonn hoffen auf eine zweite Chance. Zwar komme China angesichts der Höhe der Zölle noch glimpflich davon. "Entscheidend ist: Es reicht, um die europäische Solarindustrie zurück ins Spiel zu bringen", sagt Nitzschke.

Verärgert registriert die angeschlagene Branche, dass die Bundesregierung die Rettungsaktion ablehnt. Sie will sich weiter gegen Strafzölle einsetzen und intensiv für einen Kompromiss mit China werben um den eskalierenden Handelsstreit zu entschärfen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei sich mit der chinesischen Führung einig, dass eine einvernehmliche Lösung anzustreben sei "und dass es nicht im Sinne Europas, Deutschlands oder Chinas ist, eine handelspolitische Auseinandersetzung anzustreben", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin.

Auch andere Ministerien fürchten offenbar die Rache Pekings. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) forderte die EU-Kommission erneut auf, einen Handelskrieg mit China zu vermeiden. Strafzölle bezeichnete er als "schweren Fehler". Es gebe nach wie vor die Chance, sich in Verhandlungen über faire Rahmenbedingungen für die Solarwirtschaft zu verständigen, sagte der FDP-Politiker.

Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach angesichts der Sorgen um einen Handelskrieg in einer Rede in Berlin von "gefährlichem Protektionismus". Gerade in der Krise müsse die Politik Handelsschranken ab- statt aufbauen, um mehr Wachstum zu ermöglichen.

Für andere deutsche Branchen könnte das Kräftemessen weit reichende Folgen haben. Vor allem in Exportbranchen wächst die Nervosität. "Das ist der völlig falsche Weg. Es ist irrsinnig, wenn Europa meint, sich mit China im Handelsbereich anzulegen", warnte etwa der Präsident des Außenhandelsverbands (BGA), Anton Börner am Mittwoch. Deutschland und Europa seien auf die Exportmärkte Chinas angewiesen und umgekehrt. "Es ist höchste Eisenbahn, dass die Leute in Brüssel zur Vernunft kommen." Er könne sich nicht vorstellen, dass die EU eine Eskalation riskieren wolle, sagte der BGA-Präsident Reuters. "Dann können sie Europa - was das Wachstum betrifft - wirklich beerdigen." Der Euroraum steckt derzeit in der längsten Rezession seiner Geschichte.

Die zuvor abgestürzten Aktienkurse europäischer Solarfirmen machten am Mittwoch an der Börse einen großen Sprung. Die Papiere von Solarworld und Sunways etwa legten in der Spitze um mehr als neun und 14 Prozent zu. Doch die Sorge bleibt: Die Papiere von Wacker Chemie rutschten um mehr als drei Prozent auf ab. Anleger fürchten, dass dem deutschen Silizium-Hersteller wegen der Strafzölle der Zugang zum wichtigen asiatischen Markt erschwert wird.

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SZ vom 06.06.2013/fzg
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