Spätestens seit der Ankündigung höherer US-Zölle auf Elektroautos und andere chinesische Waren wie Solarzellen und Halbleiter ist klar: Der Handelskonflikt zwischen den USA und China ist in vollem Gange. Mit Sonderzöllen von 100 Prozent blockiert US-Präsident Joe Biden chinesischen Herstellern den Import ihrer Elektroautos in die USA. Oder, anders gesagt: Für die chinesische Konkurrenz macht er das Geschäft mit US-Kunden de facto unmöglich.
Eine der naheliegenden Fragen ist nun: Können europäische Hersteller, vor allem die deutschen, von dieser Entscheidung profitieren? Die Antwort lautet: Nein, die Risiken überwiegen mögliche Vorteile, künftig auf Kosten der chinesischen Autobauer mehr in den USA zu verkaufen, bei Weitem. Für Volkswagen, BMW und Mercedes wird die Lage gerade nicht besser, sondern eher noch komplizierter - ein eskalierender Handelskrieg zwischen den beiden Blöcken könnte auch sie schwer treffen, zumal wenn sich auch noch die Europäische Union einmischt.
Handel:Biden straft China mit extrem hohen Zöllen
Das riecht nach Handelskrieg: Die USA verteuern Elektroautos, Solarzellen und Chips aus China massiv. Bei E-Autos steigen die Einfuhrzölle sogar auf 100 Prozent.
In den Konzernetagen der deutschen Autobauer werden gerade einige Szenarien durchgespielt, das prekärste ist wohl: Dass sich die EU die US-Zölle zum Vorbild nimmt und nun ihrerseits versucht, selbst mit höheren Zöllen in einen eigenen Handelskonflikt mit China einzusteigen. Die EU-Kommission prüft derzeit, ob sie den europäischen Elektroauto-Markt mit zusätzlichen Abgaben gegen preisgünstigere Importe aus China schützt. Brüssel vermutet wohl nicht zu Unrecht, dass die chinesischen E-Fahrzeuge staatlich massiv subventioniert und dadurch künstlich verbilligt werden. Beobachter erwarten, dass die EU-Kommission deswegen in den kommenden Wochen eine Erhöhung der Importzölle verkünden wird - wenn auch längst nicht in der Höhe, die Biden vorgegeben hat.
Dieser Schritt wird vor allem von Frankreich gefordert. Die dortigen Autokonzerne leiden besonders unter der chinesischen Konkurrenz, zugleich ist der chinesische Merkt für sie nicht so wichtig. Deutschland sieht der Entscheidung der EU-Kommission aus Angst vor chinesischen Vergeltungsmaßnahmen hingegen mit großer Skepsis entgegen. Bundeskanzler Olaf Scholz wies bei einem Besuch in Schweden diese Woche darauf hin, dass die Hälfte aller aus China importierten E-Autos von europäischen Marken stammten. Zugleich verkauften europäische Unternehmen - anders als die amerikanischen - viele Fahrzeuge in China, so der Kanzler. Scholz widersprach daher nicht, als sein schwedischer Kollege Ulf Kristersson mögliche EU-Schutzzölle eine "dumme Idee" nannte.
Das Unbehagen des Kanzlers ist nachvollziehbar. Denn es sind vor allem deutsche Unternehmen, die im Falle von EU-Schutzzöllen von möglichen chinesischen Gegenmaßnahmen am stärksten betroffen wären. Das liegt an ihrer in Jahren gewachsenen Abhängigkeit vom chinesischen Markt, die weit größer ist als die ihrer französischen Wettbewerber. VW macht derzeit fast 35 Prozent seines Geschäfts in China, auch bei BMW liegt der Anteil bei mehr als 30 Prozent. Die Bilanzen der deutschen Autoindustrie ohne China - kaum vorstellbar. Eskalierende Handelskonflikte zwischen den USA und China oder zwischen China und der EU können die deutschen Hersteller, die ihr Geschäft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer weiter internationalisiert haben, also gar nicht gebrauchen. Sie stehen in der Mitte - und sind darauf angewiesen, dass ihre Geschäfte in beide Richtungen laufen.
Zölle wie die jetzt in den USA beschlossenen treffen also auch die Münchner
Nur ein Beispiel: Sie sind es, die mit dem Verkauf ihrer Luxuslimousinen immer noch einen erheblichen Teil ihres Geschäfts machen. Annähernd die Hälfte der hierzulande gebauten Mercedes S-Klasse und der BMW-Siebener-Reihe landen bei betuchten chinesischen Kunden. Dazu kommt: Hersteller wie VW und BMW sind inzwischen selbst, wenn man so will, chinesische Hersteller. So wird die auch in Deutschland verkaufte E-Variante des BMW X3 in chinesischen Fabriken hergestellt. Zölle wie die jetzt in den USA beschlossenen treffen also auch die Münchner.
Die Reihe ließe sich fortsetzen: VW baut den Cupra Tavascan gemeinsam mit einem chinesischen Joint-Venture-Partner vor Ort auch für den europäischen Markt. Auf der Hauptversammlung warnt BMW-Chef Oliver Zipse nun nicht zufällig vor möglichen, höheren EU-Zöllen auf chinesische Autoimporte. "Protektionismus setzt eine Spirale in Gang. Zölle führen zu neuen Zöllen", sagte Zipse. Die Gefahr ist groß, dass China mit Gegenmaßnahmen antwortet, so sieht es der BMW-Chef. Schon jetzt, heißt es aus der deutschen Autoindustrie, seien die Wettbewerbsbedingungen in China nicht einfach. Das Geschäft vor Ort könnte in Zukunft noch schwieriger werden. Und noch ein weiteres Szenario lässt den Herstellern keine Ruhe: Sie importieren einen nicht unerheblichen Teil ihrer Komponenten aus China, vorwiegend bei seltenen Rohstoffen und Vorprodukten ist die gesamte deutsche Industrie - von den Auto- über die Windanlagenhersteller bis zur Chemieindustrie - mehr oder weniger auf Lieferungen aus Fernost angewiesen. Die Energiewende ohne Materiallieferungen aus China? Schwierig bis unmöglich.
Es gibt aber auch diejenigen, die sagen: Jetzt müsse Europa nachziehen und sich vor noch mehr Billig-Importen aus China schützen. Zu ihnen gehört EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die die Abhängigkeit der europäischen Industrie von China für ein geopolitisches Risiko hält. Sie warnte Chinas Präsident Xi Jinping jüngst bei einem Treffen in Paris, dass Europa seine Märkte gegen unfaire Handelspraktiken "verteidigen" werde. Schon jetzt, so das Argument der China-Kritiker, produziere das Land weitaus mehr, als tatsächlich nachgefragt würde.
Dieses Problem der sogenannten "Überkapazitäten" - deren Existenz Peking glattweg bestreitet - dürfte mit der aktuellen Zoll-Entscheidung aus Washington noch einmal eine ganz besondere Dynamik bekommen. Dann nämlich, wenn China seine Autoexporte nun verstärkt von den USA nach Europa umlenkt und hier den Markt mit Billigprodukten überschwemmt. Auf Kosten der europäischen Hersteller.