Süddeutsche Zeitung

Strafzinsen:Leben mit dem Schwundgeld

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Wie bringt man Banken dazu, Kredite zu vergeben statt das Geld zu horten? Mit Strafzinsen, meint die Europäische Zentralbank. Neu ist die Idee nicht. Dass sie sinnvoll sein kann, zeigt ein Blick in die Geschichte.

Von Varinia Bernau, München

Die Weltwirtschaft steckte in der Krise. Und die kleine Tiroler Gemeinde Wörgl suchte ihren eigenen Ausweg, damals zu Beginn der Dreißigerjahre. Jene Menschen, die keine Arbeit mehr hatten, sollten für die Gemeinde arbeiten. Dafür erhielten sie Gutscheine. Dieses neue Geld verlor mit jedem Monat ein Prozent seines Werts. Denn die Menschen sollten nicht nur wieder zu Arbeit kommen. Sie sollten das dabei verdiente Geld auch ausgeben - statt es unter die Matratze zu legen. Das Experiment von Wörgl glückte: Mit den Wertgutscheinen wurde die Konjunktur angekurbelt. Während die Arbeitslosigkeit im übrigen Österreich stieg, sank sie in der Tiroler Gemeinde. Nach knapp anderthalb Jahren schritt jedoch die Österreichische Nationalbank ein. Sie verbot das Sondergeld. Die Arbeitslosigkeit in Wörgl schnellte wieder empor.

Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) nun wirklich einen Strafzins auf die Einlagen hiesiger Geldinstitute einführt, so verfolgt sie damit ein ähnliches Ziel wie einst der Bürgermeister von Wörgl: Sie versucht, den Banken das Geldhorten auszutreiben, damit diese es zum Wohle der Allgemeinheit einsetzen - etwa indem sie Kredite vergeben. Und doch würde sich die EZB damit ihrerseits an ein historisches Experiment wagen.

Denn die Idee des Schwundgeldes, die der deutsche Ökonom und Sozialreformer Silvio Gesell vor etwa 100 Jahren entwickelte, wurde bislang keinem größeren Praxistest unterworfen. Noch heute, sagt etwa der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser, gibt es in Deutschland zwar eine recht aktive Silvio-Gesell-Gemeinschaft. Menschen sind das, die ihren Alltag nach den Prinzipien des Sozialreformers ausrichten. Aber: "Die wollen die Welt verbessern. Den privaten Rahmen übersteigt das nicht." Warum das Experiment nie im großen Stil gewagt wurde? "Weil die Zentralbanken um ihr Monopol bangen", sagt Abelshauser. "Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Und jeder Angriff auf dieses Prinzip wird abgewehrt." Zugespitzt formuliert bedeutet das: Den Zentralbanken ging es um die Wahrung ihrer Macht - weniger um die Frage, was volkswirtschaftlich sinnvoll ist.

Dänemark testete den Strafzins im großen Stil

Mit Dänemark ließ sich kürzlich immerhin ein ganzes Land auf den Strafzins ein: Im Juli 2012 führte die dortige Zentralbank einen negativen Zins von 0,2 Prozent, später 0,1 Prozent auf Einlagen mit einer Laufzeit von einer Woche ein. Es war zu einer Zeit, als die Unsicherheit über die Zukunft in der Euro-Zone besonders groß war. Deshalb waren unter den Investoren vor allem Staatsanleihen mit der Bestnote gefragt - so wie die von Dänemark. Der Ansturm brachte die dänische Krone unter Druck. Damit die dänischen Exporte nicht zu teuer werden, steuerte die Notenbank gegen - und führte den Negativzins ein. Der Chef der dortigen Notenbank resümierte später in einer Rede, dass es ihm vor allem um die Steuerung des Wechselkurses gegangen sei - weniger darum, die Kreditvergabe anzuregen.

Gleichwohl lohnt ein Blick auf das Ergebnis dieses Experiments. Tatsächlich ließ der Aufwertungsdruck auf die Krone nach. Allerdings wurden in den ersten sechs Monaten nach Einführung des Negativzinses auch weniger Kredite vergeben als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Um die bei der Notenbank anfallenden Zinsen auszugleichen, haben die Banken nämlich ihrerseits die Zinsen auf die Einlagen erhöht. Mit anderen Worten: Sie haben die Kosten an die eigenen Kunden weitergereicht. Die Bedingungen für einen Kredit bei der Bank wurden also nicht besser, sondern sogar etwas schlechter.

Ob sich daraus Lehren für die Euro-Zone ziehen lassen? Hans-Peter Burghof, der an der Universität Hohenheim einen Lehrstuhl für Bankwirtschaft innehat, ist skeptisch. "Dänemark gilt als ein Hort der Stabilität. Das ist ein Traum für Anleger, der für das Land allerdings ein neues Problem bringt: Die starke Krone als eine Art Fluchtwährung bedroht die Wirtschaft des Landes. Der dortige Negativzins war also vor allem ein währungspolitisches Instrument."

Die Probleme der Eurozone liegen tiefer

Die Europäische Union aber hat andere Probleme: die hohen Staatsschulden und den aufgeblähten Verwaltungsapparat in den Krisenländern, denen eine viel zu einseitig ausgerichtete und im weltweiten Zusammenhang kaum wettbewerbsfähige Wirtschaft gegenübersteht. "Wir kommen nicht darum herum, diese strukturellen Probleme zu lösen. Mit jedem Rettungspaket haben wir nur Zeit gewonnen", sagt Burghof. "Die fehlende Bereitschaft, Kredite zu vergeben, hat nichts mit dem Zinsniveau zu tun."

Spätestens seit der Krise herrscht in der europäischen Bankenwelt nämlich eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die Banken in den Krisenländern stehen finanziell auf so schwachen Füßen, dass sie sich nicht nur bei der Vergabe von Krediten zurückhalten, sondern auch kaum liquide Mittel haben, die sie bei der EZB parken könnten. Die gesunden Banken in den stärkeren Staaten hingegen vergeben durchaus Kredite - allerdings kaum in die Krisenländer. Das überschüssige Geld lassen sie lieber bei der EZB liegen - statt es den wackeligen Konkurrenten zu leihen. Ausgerechnet in den Ländern, wo Kredite benötigt werden, würden die Banken den Strafzins der EZB kaum zu spüren bekommen. Und in den anderen Ländern könnten ihn die Banken wohl ganz gut verschmerzen.

Auch der Wirtschaftshistoriker Abelshauser glaubt nicht daran, dass ein Strafzins ausreicht, um die Banken dazu zu bringen, ihr Geld gegen ein hohes Risiko zu verleihen. "Eine Bank, die nicht davon überzeugt ist, dass ein Kredit abgesichert ist, wird diesen Kredit auch nicht vergeben. Im Zweifelsfall akzeptiert sie lieber das Schwundgeld."

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SZ vom 24.05.2014
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