Strafen im Sozialsystem:Nahles will Hartz-IV-Sanktionen entschärfen

Agentur für Arbeit Köln

Wer Termine bei der Agentur für Arbeit unentschuldigt platzen lässt, verliert schnell seinen Anspruch auf Hartz IV. Das soll nun etwas gelockert werden.

(Foto: dpa)

Gerade jungen Hartz-IV-Empfängern kann schon bei geringen Versäumnissen die Zahlung gekappt werden. Außerdem droht der Verlust der Wohnung. Das soll sich nach dem Willen von Arbeitsministerin Nahles ändern. Ob die Union mitspielt, ist aber offen.

Von Thomas Öchsner

Wenn es um angeblich arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger geht, wird gerne nach schärferen Sanktionen gerufen. Dabei gilt schon lange: Keiner soll sich straffrei drücken dürfen. Wer Termine schwänzt oder eine angebotene Arbeit ablehnt, bekommt bereits jetzt schrittweise zehn, 30 oder 60 Prozent weniger Geld - oder sogar gar nichts mehr.

Und dieser Grundsatz, der für alle der mehr als vier Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher in Deutschland gilt, steht keineswegs nur auf dem Papier: Gut eine Million Mal haben die Jobcenter im vergangenen Jahr Leistungen gekürzt, in mehr als zwei Dritteln aller Fälle, weil Arbeitslose Termine unentschuldigt platzen ließen. Im Durchschnitt wurden 2013 fast 9000 Personen pro Monat die Zahlung ganz gestrichen.

Doch hilft das komplizierte Strafsystem überhaupt, Hartz-IV-Empfänger dazu zu bewegen, ihre Pflichten zu erfüllen und sich um einen Job zu bemühen?

Einfachere Regeln, sanftere Strafen

Besonders umstritten sind die strengeren Sonderregeln für unter 25-Jährige. Ihnen dürfen die Vermittler schon nach dem ersten gravierenden Verstoß gegen die Auflagen das Arbeitslosengeld II - vulgo: Hartz IV - komplett für drei Monate kappen. Nach der zweiten Pflichtverletzung kann es auch vorübergehend kein Geld mehr für Miete und Heizung geben. Union und SPD haben deshalb in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, zumindest die Sanktionsregeln für unter 25-Jährige "auf ihre Wirkung und möglichen Anpassungsbedarf hin" zu überprüfen.

Das von Andrea Nahles (SPD) geführte Bundesarbeitsministerium will deshalb in Zukunft unnötige Härten vermeiden, das Strafsystem vereinfachen und die Sanktionen teilweise lockern. Dies geht aus dem Konzept des Ministeriums "zur Weiterentwicklung des Sanktionenrechts" in der staatlichen Grundsicherung hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Bislang wird den Hartz-IV-Empfängern der Regelsatz von derzeit 391 Euro für einen Alleinstehenden nach einem bestimmten Prozentsatz gekürzt, beim ersten Meldeversäumnis zum Beispiel um zehn Prozent. Dies hält das Ministerium für "verwaltungsaufwendig" und "fehleranfällig". Künftig sollen die Mitarbeiter in den Jobcentern den Hartz-IV-Satz pauschal um zum Beispiel 50 oder 100 Euro mindern können. Die strengeren Sonderregeln für unter 25-Jährige sollen ganz entfallen.

Es wird also nicht mehr nach Lebensalter entschieden, was einige Verfassungsrechtler schon lange als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz kritisieren. Rechte und Pflichte sollen künftig "für alle Leistungsberechtigten in gleicher Weise" gelten, heißt es in dem Regierungspapier, das die parlamentarische Staatssekretärin, Anette Kramme (SPD) vergangene Woche einigen Teamleitern von Jobcentern, Richtern und Bundestagsabgeordneten präsentierte.

Wohnung soll in jedem Fall sicher sein

Das Arbeitsministerium will künftig auch vermeiden, dass Hartz-IV-Empfänger auf Grund von Sanktionen auf der Straße landen können. Die staatliche Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung werde "nicht mehr von den Sanktionen erfasst", schreiben Nahles' Beamte. "Damit wird auch die Gefahr von Wohnungsverlusten auf Grund von Sanktionen vermieden." Weiterer Vorteil: Die Mitarbeiter in den Jobcentern müssen weniger rechnen, weil in einem Hartz-IV-Haushalt mit mehr als einer Person die nach einer Kürzung übrig gebliebenen Ausgaben für die Miete und Heizung nicht mehr auf die übrigen Bewohner aufzuteilen sind. Am Prinzip der Lebensmittelgutscheine, die es nach Sanktionen auf Antrag im Wert von maximal 196 Euro pro Monat gibt, will das Ministerium aber offensichtlich festhalten: Auch künftig seien "zur Sicherung des Existenzminimums Sachleistungen zu erbringen, deren Höhe angemessen sein muss", heißt es in dem Papier.

Am besten soll es aber gar nicht so weit kommen. Das Arbeitsministerium pocht darauf, dass in den Jobcentern besser beraten und die Hartz-IV-Bezieher mehr über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden, um die Sanktionen legitimieren zu können. Bislang werde von den Mitarbeitern dort "das Sanktionsrecht im Einzelfall als zu hart empfunden". Es gebe "eine Reihe von Akzeptanzproblemen", auch bei den Betroffenen selbst. Sanktionen müssten jedoch sein. Auch deuteten die bisher eher geringen wissenschaftlichen Erkenntnisse an, "dass sanktionierte Personen sich stärker um eine Beschäftigung bemühen". In einer Petition hatten sich Ende 2013 dagegen mehr als 90 000 Bürger für die völlige Abschaffung der Strafen ausgesprochen.

Allen voran die Bundesagentur für Arbeit (BA) hatte darauf gedrungen, die schärferen Regeln für unter 25-Jährige aufzuheben. Andererseits hätte sich die BA bei den Meldeversäumnissen gewünscht, statt prozentuale Kürzungen nach dem ersten und zweiten die Leistungen erst nach dem dritten Terminversäumnis ganz zu streichen. "Bei solchen Personen stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Notlage besteht. Wer dreimal Termine versäumt, scheint es offenkundig nicht nötig zu haben, Hartz IV zu beziehen, vielleicht weil es andere Einkommensquellen wie Schwarzarbeit gibt", sagt eine Sprecherin. Diesen Vorschlag hatte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die an einer Vereinfachung des Hartz-IV-Rechts arbeitet, jedoch bereits abgelehnt.

Eine Sprecherin des Arbeitsministeriums sagte: "Bei dem vorgelegten Konzept handelt es sich um ein Diskussionspapier", mit dem noch nichts festgelegt sei. "Unser Haus wird im Laufe des Herbstes einen Referentenentwurf vorlegen." Ob die Union, der Koalitionspartner in der Regierung, das neue Konzept mitträgt, ist noch offen.

Der Opposition geht es jedenfalls nicht weit genug: "Der Grundbedarf muss immer gesichert sein. Das ist auch in dem Konzept des Bundesarbeitsministeriums nicht der Fall", sagt Wolfgang Strengmann-Kuhn, sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Das Bundesarbeitsministerium wolle nur einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Sondersanktionen für unter 25-Jährige zuvorkommen, die verfassungsrechtlich fragwürdig seien. Der Grünen-Politiker fordert, die Sanktionen grundsätzlich zu überprüfen und sie vorerst durch ein Moratorium außer Kraft zu setzen.

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