Süddeutsche Zeitung

Strafprozesse gegen Banken und Hedgefonds:Feilschen um die Freiheit

Milliardenstrafen für Insiderhandel und faule Hypothekengeschäfte: Die Deals in der Finanzbranche mehren sich. Doch die vielen Vergleiche zeigen, dass die Justiz überfordert ist. Das ist aber nicht der Sinn von Strafprozessen. Es entsteht ein Zweiklassenrecht.

Ein Kommentar von Kathrin Werner

Wenn es etwas gibt, das sich der Kommerzialisierung entzieht, dann ist es die Gerechtigkeit. Sollte man meinen, stimmt aber nicht. Der Multimilliardär Steve Cohen hat sich für 1,8 Milliarden Dollar vermeintliche Gerechtigkeit gekauft. Cohen und die amerikanischen Behörden haben einen Vergleich geschlossen. Sein Hedgefonds SAC Capital musste sich schuldig bekennen und die höchste Strafe zahlen, die je für Insiderhandel bezahlt wurde.

Die Deals mehren sich, Verursacher der Finanzkrise feilschen um ihre Freiheit: JP Morgan wird nach einem Vergleich voraussichtlich 13 Milliarden Dollar wegen dubioser Hypothekengeschäfte zahlen. Die Bank of America wird wohl noch einmal sechs Milliarden Dollar überweisen müssen, weil sie den Immobilienfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac faule Kredite untergejubelt hat. Auch bei den Tricksereien mehrerer Großbanken um den Referenzzins Libor stehen weitere Milliardenvergleiche an.

Was genau die Banker oder der gerissene Cohen verbrochen haben, wissen wir nicht. Die Staatsanwaltschaft sagt, dass sein gesamtes Unternehmen auf Täuschung beruht, über Jahrzehnte hinweg soll SAC sich Bilderbuchrenditen ermogelt haben. Wenn das stimmt, ist die Strafe viel zu niedrig. Wenn es nicht stimmt, hätte es keine Strafe geben dürfen. Niemand weiß, was gerecht ist. Schließlich war die Wahrheitsfindung zu mühsam.

Gerechtigkeit gegen Machbarkeit

Genau wegen dieser Auseinandersetzung um die Wahrheit gibt es aber den Strafprozess. Der Richter soll in der Verhandlung herausfinden, wie sich die Dinge tatsächlich abgespielt haben. Ein Strafverfahren ist ein Stück Idealismus: Es geht um Schuld und Unschuld, Wahrheit und Lüge, Recht und Unrecht. Die Grundidee lautet: Es gibt eine Wahrheit, man muss sie nur suchen und finden. Sie ist nicht verhandelbar. Bei Vergleichen wie mit Cohen hingegen wägen die Gerichte oder Behörden ab zwischen Gerechtigkeit und Machbarkeit.

Gerade bei Wirtschaftsdelikten müssten Staatsanwälte und Richter oft Lastwagenladungen mit Akten durchforsten, um die Wahrheit zu ermitteln. Das kostet Zeit und Geld. Was vielleicht eine noch größere Rolle spielt bei öffentlichkeitswirksamen Prozessen, ist die Angst zu scheitern. Im Strafprozess geht der Staat das Risiko ein, dass er nicht genug Beweise findet. Ein Freispruch wäre eine Schmach. Ein Rechtsstaat muss das aushalten können. Vergleiche sind das Eingeständnis der Justiz, dass sie überfordert ist. Der Idealismus kapituliert vor dem Pragmatismus.

Man könnte sagen, dass der Konsens den Deal legitimiert. Dahinter steht ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit: Ausgehandelte Urteile seien gerecht, weil alle Parteien einverstanden sind. Allerdings steht ein Angeklagter unter großem Druck - und ist damit kein gleichberechtigter Verhandlungspartner. Cohens SAC war als Unternehmen angeklagt. Der letzte große Fall einer solchen Anklage endete mit einem spektakulären Kollaps: Arthur Andersen, einst eine der fünf größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Welt, wurde 2002 zerschlagen. Schon die Anklage reichte, um den Ruf zu zerstören. Um das gleiche Schicksal für seine Firma zu vermeiden, blieb Cohen kaum etwas anderes übrig, als möglichst schnell einen Vergleich zu schließen. Die Unschuldsvermutung wird so ausgehebelt.

Malus der Mauschelei

Der Prävention dienen solche Verfahren nicht. Die Möglichkeit eines Deals reduziert die Strafe für Wirtschaftsdelikte auf einen bloßen Kalkulationsposten. Cohen zahlt 1,8 Milliarden - SAC war bis vor Kurzem mehr als 15 Milliarden Dollar schwer. Wer Insiderhandel für ein Geschäftsmodell hält, kann jetzt einfach immer ein bisschen mehr als zehn Prozent des Unternehmenswerts zurücklegen, um sich die Freiheit zu erkaufen.

Der größte Malus der Mauschelei ist, dass sie zwischen Arm und Reich unterscheidet. Kleinkriminelle - die Kaufhausdiebe und Schwarzfahrer - bekommen die ganze Macht der Justiz zu spüren. Sie sind schlecht verteidigt, können sich nicht gut ausdrücken, die Beweislage ist meist klar. Hier gibt es nur selten Deals.

Bei Wirtschaftsstraftätern hingegen türmen sich die Akten, die Anwälte sind gut und teuer. Und sie können sich Vergleiche leisten. Cohen wird auch mit den mehr als sieben Milliarden Dollar, die ihm nach dem Ablasshandel als Privatvermögen bleiben, gut leben können. So schaffen Deals etwas, das niemand will: ein Zweiklassenrecht.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2013/bero
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