Stoibers Extremismus-These:"Dieser Kurzschluss ist grundfalsch"

Für Edmund Stoiber liegen die Dinge auf der Hand: Die Bundesregierung hat bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit versagt und damit dem Rechtsextremismus den "Nährboden" bereitet. Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer wirft dem CSU-Chef eine "allzu simple Logik" vor.

Interview: Paul Katzenberger

sueddeutsche.de: Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat Bundeskanzler Schröder für das Erstarken der NPD - zumindest teilweise - verantwortlich gemacht. Besteht denn tatsächlich ein Zusammenhang zwischen der Arbeitsmarktpolitik der Regierung und den jüngsten rechtsextremistischen Tendenzen?

Stoibers Extremismus-These: Kritisiert die Propagandaangebote der etablierten Politik: Wilhelm Heitmeyer.

Kritisiert die Propagandaangebote der etablierten Politik: Wilhelm Heitmeyer.

(Foto: Foto: privat)

Heitmeyer: Also, der bayerische Ministerpräsident macht sich das zu einfach. Das kann man ganz einfach daran erkennen, dass wenn wir heute Zuwächse in Sachsen mit seiner schwierigen Arbeitsmarktlage haben, auch auf die Zeit zurückblicken müssen, als die Republikaner in Baden-Württemberg hohe Wahlgewinne hatten - in einem Land mit hohem Wohlstand und niedriger Arbeitslosigkeit. Also: Die Sache ist komplizierter.

sueddeutsche.de: Stoiber hat nur teilweise recht?

Heitmeyer: Richtig ist, dass jede Gesellschaft Probleme hat, wenn wichtige Integrationsmechanismen an Wirkung verlieren. Also: Wachstumsverteilung über den Wohlfahrtsstaat, Integration in den Arbeitsmarkt, politischer Vertrauensverlust in die Eliten- wozu auch der Vertrauensverlust in Herrn Stoiber gehört - und zum Teil instabile soziale Zugehörigkeiten. Das sind in der Tat Veränderungen in dieser Gesellschaft, die die Integrationsqualität verändern.

sueddeutsche.de: In welcher Weise geschieht dies im Augenblick?

Heitmeyer: Integration ist immer auch Anerkennung. Anerkennung der Arbeitsleistung, meiner politischen Stimme und die emotionale Anerkennung über stabile Zugehörigkeiten in Familien. Negative Anerkennungsbilanzen führen eher zur Abwertung anderer, also zu Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, etc. zwecks Selbstaufwertung oder Aufwertung der eigenen Gruppe.

sueddeutsche.de: Aber der Arbeitsmarkt spielt in diesem Zusammenhang doch eine gewichtige Rolle?

Heitmeyer: Der Arbeitsmarkt spielt sicherlich eine Rolle, aber der Kurzschluss, der da jetzt aufgemacht wird, der ist grundfalsch. Denn er übersieht ja noch etwas anderes. Dass es ja auch Propagandaangebote aus der etablierten Politik gibt. Denken Sie nur an die Unterschriftenkampagne von Herrn Koch gegenüber den Ausländern. Jetzt wird beispielsweise auch eine ganze Gruppe, nämlich die Gruppe der Arbeitslosen diskreditiert, indem man ihnen zuschreibt, sie würden schnurstracks zur NPD laufen.

sueddeutsche.de: Herr Stoiber schwächt mit seinen Bemerkungen also die Integrationsfähigkeit dieser Gesellschaft?

Heitmeyer: Zumindest muss man genauer hinsehen, als er es tut. Es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu. Was ich von Seiten der Opposition vor allem auch wahrnehme ist ja, dass sie den Markt noch sehr viel schärfer entgrenzen will von Vorschriften, etc. Der Markt ist aber denkbar ungeeignet um sozialen Sinn, Werte wie Gerechtigkeit, Fairness, Solidarität zu erzeugen oder zu sichern.

sueddeutsche.de: Aber das Argument der CDU ist doch, dass durch ihre Maßnahmen die Arbeitslosigkeit abgebaut werden könnte, dadurch mehr Menschen zu Wohlstand kämen und dadurch die Verlockungen des Rechtsextremismus verringert würden.

Heitmeyer: Das ist solch eine simple Logik, die nicht zu Ende gedacht ist. Denn der Markt greift in das ohnehin schon angespannte soziale Gewebe einer Gesellschaft ein und beschleunigt soziale Desintegration mit all den negativen Folgen. Denn einmal losgelassene Marktkräfte kann man mit ihren zum Teil sozial zerstörerischen Folgen auch nicht mit aufgesetzten, zum Teil ausgrenzenden, Patriotismusdebatten wieder einfangen, um soziale Kohäsion zu erhöhen. Also: Vorsicht vor diesen Simplifizierungen.

"Dieser Kurzschluss ist grundfalsch"

sueddeutsche.de: Was wäre Ihrer Meinung nach stattdessen sinnvoll?

Heitmeyer: Man muss die Integrationsqualität dieser Gesellschaft wieder ernster nehmen als bisher, und zwar für große Teile der Mehrheit wie natürlich auch für Migranten. Insofern muss die Integrationsdebatte für die Gesamtgesellschaft auf die politische Agenda und nicht so ein Bruchstück daraus, weil es populistisch gerade opportun ist und es gerade eine Veröffentlichung von Zahlen gibt, die bei Insidern und genauer Hinsehenden schon längst bekannt waren.

sueddeutsche.de: Was gehört ihrer Meinung nach zu dieser Debatte, wenn man vom Arbeitsmarkt also einmal absieht?

Heitmeyer: Es muss die Frage beantwortet werden, woher denn die veränderten Anerkennungsquellen kommen, wenn die alten Integrationsmechanismen zum Teil eben nicht mehr greifen. Das ist eines unserer großen Probleme, wobei noch ein weiteres hinzukommt, nämlich die Frage: Wie bekommt man die Quadratur des Kreises geregelt? Einerseits nämlich bei der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt mithalten zu können und gleichzeitig die soziale Integration, das heißt den gesellschaftlichen Zusammenhalt hinzubekommen und drittens dann auch noch politisch partizipieren zu können. Dahrendorf hat das mal die Quadratur des Kreises genannt und seine These lautet: Alles drei gleichzeitig ist nicht zu leisten. Ich befürchte, dass dann diese Integrationsdebatten nicht geführt werden und viele junge Menschen keine Antwort auf die Frage bekommen: "Wer braucht mich?"

sueddeutsche.de: Aber das würde ja heißen, dass wir immer mehr Angst vor rechtsextremen Tendenzen haben müssen. Schließlich versuchen ja alle führenden politischen Kräfte den Arbeitsmarkt derzeit über wirtschaftliberale Maßnahmen zu beleben.

Heitmeyer: Wir müssen uns mit dem Phänomen sicherlich mutiger und kontinuierlicher auseinandersetzen als das bisher getan worden ist. Aber das erkennt man auch in dieser Debatte: Die Ratlosigkeit darüber, was denn politische Auseinandersetzung heißt, ist groß. Nach unseren Analysen verschieben sich die Stimmungen gerade in der Mitte der Gesellschaft. Also das was wir "menschenfeindliche Stimmung" nennen, ist in der Mitte angekommen. Auf der anderen Seite hat auch die NPD ihre Strategie geändert. Die trimmen sich für die Mitte.

sueddeutsche.de: Heißt das, dass die NPD mit weniger Gegenwehr rechnen muss?

Heitmeyer: Die Frage lautet: Was haben die, die dagegen halten, an Visionen für diese Gesellschaft anzubieten, außer zu sagen, wir müssen diese Gesellschaft fit machen. Aber keiner sagt: Was heißt denn fit, was bedeutet das für den sozialen Zusammenhalt?

sueddeutsche.de: Wieder einen funktionierenden Arbeitsmarkt zu haben, zum Beispiel.

Heitmeyer: Ja, gut. Aber die Möglichkeiten sind dort offensichtlich begrenzt, wenn man jeweils immer auch die sozialen Folgen mitbedenkt. Und das ist eben die Frage, ob das hinreichend passiert. Da habe ich große Probleme.

sueddeutsche.de: Weil sie sagen: O. K., selbst wenn der Arbeitsmarkt wieder fit werden sollte, so wird er das ein ganz anderer Arbeitsmarkt sein. Einer, mit geringerer sozialer Abfederung, einer auf dem ein wesentlich kälterer Wind bläst?

Heitmeyer: So ist es. Und dann lautet die Frage: Wie verarbeitet man das? Das heißt: Die Anerkennungsquellen - eine für mich ganz wichtige Kategorie - werden nicht mehr so sprudeln. Und dann muss man sehen, woher bekommen die Menschen ihre Anerkennung?

"Dieser Kurzschluss ist grundfalsch"

sueddeutsche.de: Mangelnde Anerkennung dürfte in Ostdeutschland ja schon jetzt ein massives Problem darstellen. Erklären sich dadurch die dortigen Erfolge der Rechtsextremen? In westdeutschen Krisenregionen - etwa in Oberfranken oder in Teilen des Ruhrgebiets - trumpfen die Rechtsradikalen ja noch nicht so auf. Woran liegt das?

Heitmeyer: Also zunächst gibt es mehr zivilgesellschaftliche Strukturen in den westdeutschen Ländern, also einen anderen Umgang. Dann es gibt noch ein besonderes Problem in Ostdeutschland durch die kleinstädtisch, ländliche Siedlungsstruktur. In großstädtischen Gebieten gibt es einfach mehr Gegenbewegung.

sueddeutsche.de: Also großstädtische Zivilcourage gegen ländliche Indoktrination?

Heitmeyer: Man ist in Großstädten durch Anonymität eher geschützt, wenn man dagegen hält. Da ist dann schon mehr Zivilcourage notwendig, wenn man sich in kleinstädtischen, dörflichen Gebieten befindet, wo unter Umständen im Osten die NPD schon erhebliches Drohpotenzial aufgebaut hat. So etwas finden wir zum Glück im Westen noch nicht, obwohl hier fremdenfeindliche Stimmungen auch gegeben sind.

sueddeutsche.de: Ihrer Theorie folgend ist die Gefahr in ostdeutschen Ballungszentren also nicht so groß?

Heitmeyer: Da gibt es zumindest die Chance auf Gegenbewegungen. Die muss man stützen. In kleinstädtischen, ländlichen Gebieten ist das ganz schwierig. Man kennt sich. Man will nicht rausfallen aus dieser Gemeinschaft. Die Abweichung von einer sich durchsetzenden Meinung fällt dadurch sehr viel schwerer. Man braucht sehr viel mehr Mumm dazu als etwa in großstädtischen Gebieten, wo man sich auch ausweichen kann. In kleinstädtischen dörflichen Zusammenhängen gibt es kein Ausweichen.

sueddeutsche.de: Haben auch die ökonomischen Probleme der neuen Länder etwas mit dem dortigen Rechtsextremismus zu tun?

Heitmeyer: Insofern, als Leistungsstarke abzuwandern scheinen. Das bedeutet: Es gibt eine soziale Abwärtsmobiliät nach unten, während sich gleichzeitig die Einstellungsmuster angleichen. Man ist unter sich. Wer kann dann noch dagegen halten? Das können vor allem die Leistungsstarken, Leute, die auch eine abweichende Meinung riskieren wollen und können.

sueddeutsche.de: Hat die NPD nicht aber ihre Wurzeln im Westen?

Heitmeyer: Die NPD - und das ist unterschätzt worden - hat Anfang der 90-er Jahre ihr Aktionsfeld explizit nach Sachsen verlegt. Die haben auch die NPD-Jugendorganisation verlegt - aus Bochum in den Ostteil. Alles das ist nicht aufmerksam beobachtet worden.

sueddeutsche.de: Sie sagen, der Zusammenhang, der von Herrn Stoiber hergestellt wird, sei zu einfach gestrickt. Andererseits kommt einem doch ganz schnell die Geschichte Deutschlands in den Kopf. Zumindest nach allgemeiner Auffassung spielte ja die Massenarbeitslosigkeit der Weimarer Republik bei der Machtergreifung Hitlers eine gewisse Rolle.

Heitmeyer: Ja. Aber derzeit ist die Situation der Arbeitslosen mit der Verelendung zur Weimarer Zeit nicht zu vergleichen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass diese Gesellschaft dieses so hinnehmen wird. Trotzdem muss man das vergleichen mit dem Topos der relativen Deprivation.

sueddeutsche.de: Das heißt?

Heitmeyer: Es reichen ja zum Teil schon subjektive Eindrücke, dass man weniger hat als die angemessene Vergleichsgruppe. Und auch das wird zum Teil schon als Bedrohung wahrgenommen. Es ist nicht nur das Materielle, was da eine Rolle spielt. Vergleiche laufen auf mehreren Ebenen ab. Also, wenn ich materiell weniger habe, dann hat das mit meinem Prestige zu tun, mit meinem sozialen Abstieg zu tun, und so weiter. Also das allein auf den Arbeitsmarkt zu beziehen, ist zu einfach. Der Arbeitsmarkt ist ein ganz ganz wichtiger Faktor, wer wollte das bezweifeln. Nur der Kurzschluss, der da sagt, das geht alles über den ökonomischen Strang, der ist zu einfach.

Professor Wilhelm Heitmeyer leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Seit über zwanzig Jahren beschäftigt sich der Soziologe mit den Themen Rechtsextremismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und ethnisch-kulturelle Konflikte. Auf Grund der Bedenken, die der NPD-Wahlerfolg in Sachsen ausgelöst hatte, war Heitmeyer zuletzt gern gefragter Ratgeber der Bundesregierung.

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