Stimmung in Athen:"Sie haben uns den Krieg erklärt"

Vor der Ethniki Bank in Athen bilden sich vor den Bankautomaten längere Schlangen. Die Wut über die EU, aber auch über Alexis Tsipras ist zu spüren.

Reportage von Hans von der Hagen, Athen

Im griechischen Fernsehen zählte CNN kurz vor Mitternacht die letzten Sekunden herunter. Es war der Countdown, bis klar war: Griechenland hat nicht gezahlt, der Internationale Währungsfonds bleibt auf seiner Forderung sitzen (hier die aktuellen Entwicklungen). Den Bürgern am Fernseher blieben in dem Moment nur noch bittere Scherze: Was kommt nun? Feuerwerk? Tsipras mit griechischer Flagge und einer Einigung? Aber nein. Nichts passierte.

Am Mittwochmorgen bauten sich die Fernsehteams vor den Eingängen vieler Banken auf. Eigentlich sind die ja in dieser Woche geschlossen, öffnen aber an diesem Tag ihre Türen für Pensionäre, die keine Karte für den Geldautomaten haben.

Foto: Hans von der Hagen

Ein kleines Grüppchen Rentner steht vor der Ethniki Bank.

(Foto: Hans von der Hagen)

So auch auf dem Platz Plateia Kotzia. Hier fanden 1942 die ersten Demonstrationen im besetzten Europa gegen die Nazis statt. Am Rande des Platzes steht auf der einen Seite, klein, das Rathaus, auf der anderen Seite, ungefähr doppelt so groß, die Ethniki Bank. Jeder der wenigen Rentner, die aus der Bank kommen, wird von Journalisten bestürmt.

300 Euro im Monat für einen Rentner

An den Türen stehen Wächter, die aufpassen, dass wirklich auch nur Pensionäre die Bank betreten. Alle anderen werden gleich an die Geldautomaten verwiesen, wo sich zeitweise längere Schlangen bilden. Nach wie vor gilt: 60 Euro für jeden Griechen; Pensionäre dürfen heute 120 Euro abheben. Sie bekommen, so ist zu hören, in der Filiale eine Karte für den Automaten plus Erklärung, wie die funktioniert. Touristen hingegen erhielten so viel Geld wie sie wollen, behauptet einer der Türsteher. Zumindest, sofern der Automat Geld hat, was bei kleineren Instituten oft nicht der Fall ist. Das sagt er natürlich nicht.

Manche Pensionäre, die aufgrund ihres Alters kaum noch laufen können, müssen sich mit dem Taxi zu einer der 1000 Banken im Land fahren lassen, die geöffnet haben. Das kostet jene, die eh nichts mehr haben, noch mehr Geld.

Einer der Rentner, die sich an diesem Morgen Geld besorgen, hat zwanzig Jahre seines Lebens in einem Stahlwerk in Dortmund zugebracht. Er erzählt, dass Verwandte ihm Geld leihen mussten weil er kaum etwas zuhause hatte. Der Mann ist enttäuscht von Tsipras, den er "das Kind" nennt. Doch er fügt gleich hinzu, dass natürlich nicht alles dessen Schuld sei. "Man darf nicht alles unterzeichnen." Dennoch: "Am Ende müssten immer die kleinen Leute für die Fehler der Vergangenheit zahlen." Wie hoch seine Rente ist, mag er nicht sagen. Das, "was Freunde bekommen", sagt er. Also ungefähr 300 Euro im Monat. Dazu kommen noch Rentenzahlungen aus Deutschland, was die Sache erträglicher macht.

Griechenland bekommt nur so viel, dass es gerade nicht verhungere

Kämpferischer gibt sich eine ältere Dame, die viel zu aufgebracht ist um über ihre persönliche Situation zu reden: "Wir müssen jetzt kämpfen, sonst verlieren wir noch viel mehr", sagt sie. Außerordentlich erbost ist sie über das, was in der ausländischen Presse zu lesen ist. Vor allem, dass die Griechen so faul seien. Sie habe ihr ganzes Leben arbeiten müssen - und dann solche Vorwürfe.

Aufgewachsen ist sie auf der Insel Kefalonia, "in den Ruinen, die uns die Deutschen hinterlassen haben". Und wie ist es jetzt? Sie vergleicht Griechenland mit einem Esel, der hier den Status eines inoffiziellen Nationaltieres hat. Die EU habe diesen Esel so eng angebunden, dass er nicht mehr grasen könnte. Stattdessen gebe es ab und an nur gerade zu viel Futter, dass der Esel nicht verhungere.

Plötzlich geht eine Mutter mit ihrer jungen Tochter vorbei. Man kann gut hören, was sie ihrer Tochter sagt: "Sie haben uns den Krieg erklärt. Wie bekommen kein Geld mehr von den Banken, wir können uns nichts anderes als etwas zu Essen kaufen. Sie unterdrücken uns. Verstehst Du?"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: