Süddeutsche Zeitung

Stiftungen:Die große Flucht

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Ausgerechnet Liechtenstein: Milliardenvermögen werden von Österreich ins Fürstentum verlagert. Der kleine Staat, der lange ein großes Schwarzgeldparadies war, hofft auf einen Imagegewinn.

Von Uwe Ritzer, München

Schrauben-Tycoon Reinhold Würth, die Haribo-Dynastie Riegel, die Familie derer von und zu Guttenberg: Sie zählen zu den prominentesten Deutschen, die große Teile ihres Vermögens in österreichischen Privatstiftungen gebunkert haben. Diese gelten als probates Steuersparmodell für Menschen mit besonders viel Geld, die möglichst wenig davon mit dem Fiskus teilen wollen. Vor allem lohnt sich das Konstrukt steuerlich für Stifter mit Wohnsitz in Österreich. Was erklärt, weshalb Deutsche in den vergangenen Jahren mit ihrem Vermögen auch ihren Wohnsitz in die Alpenrepublik verlagert haben. Reiche Einheimische wie der Salzburger Automogul Ferdinand Piëch wissen die Vorzüge einer österreichischen Stiftung ohnehin zu schätzen. Bis vor Kurzem jedenfalls.

Denn kurz vor dem Jahreswechsel 2015/2016 haben sich Stifter mit Milliardenvermögen im Gepäck von Österreich über die Grenze nach Liechtenstein aufgemacht. Ausgerechnet in jenes Fürstentum also, dessen Privatstiftungen seit geraumer Zeit zumindest in der westlichen Welt ein Schmuddel-Image anhaftet. Jahrzehntelang versteckten in solchen Konstrukten Steuerhinterzieher und andere Kriminelle nicht nur aus Deutschland ihr Schwarzgeld in dem Fürstentum. Je mehr aber das einstmals besonders strikte Liechtensteiner Bankgeheimnis unter internationalem Druck aufweicht, desto stärker sinkt die Zahl der in Vaduz registrierten Stiftungen; von einst gut 50 000 auf 16 824 Ende 2015. Das sind 3400 weniger als ein Jahr zuvor.

Nun allerdings kamen überraschend einige neue und noch dazu große hinzu. "Es hat spürbare Verlagerungen österreichischer Stiftungen nach Liechtenstein gegeben", sagt der dort ansässige Rechtsanwalt, Treuhänder und frühere Justizminister Heinz Frommelt. Österreichische Experten wie der Wiener Steuerberater Friedrich Fraberger schätzen, dass etwa 25 bis 30 Stiftungen von Österreich nach Liechtenstein gezogen sind.

Gemessen an etwa 3200 registrierten Stiftungen in Österreich klingt das auf den ersten Blick nicht nach viel. Es hätten aber "vor allem große Stiftungen die Flucht ergriffen", sagt Fraberger. Der Verband der österreichischen Privatstiftungen (VÖP) spricht zurückhaltend von "schätzungsweise maximal drei Milliarden Euro", die auf diese Weise nach Liechtenstein abgeflossen seien. Fraberger, der für seinen Arbeitgeber KPMG an einigen Transaktionen beteiligt war, hält diese Zahl für zu niedrig und "etwa fünf Milliarden Euro" für realistischer.

Für Liechtenstein ein ebenso überraschender wie heiß ersehnter Zufluss, und zwar nicht nur an Geld. Denn damit erlebt die seit dem Steuerskandal im Nachgang zum Datenklau bei der Fürstenbank LGT 2008 verpönte Privatstiftung eine kleine Renaissance. Für das Image des gesamten Finanzplatzes Liechtenstein seien die neuen Stifter aus Österreich wichtig, sagen Kreise in Vaduz. Dort hoffen manche auf eine Signalwirkung nach dem Motto: Man kann uns wieder vertrauen.

Kann man das? "Wer heute als Deutscher oder Österreicher eine Stiftung in Liechtenstein gründet, tut dies in der Regel nicht mehr aus Gründen der Steuerhinterziehung, sondern aus privaten oder familiären Gründen, um sein Vermögen zu ordnen", sagt Heinz Frommelt. Liechtenstein habe sich zum automatischen Informationsaustausch mit der EU verpflichtet, sagt Katja Gey. Zinseinkünfte von Ausländern in Liechtenstein werden künftig automatisch an die Finanzbehörden ihrer Herkunftsländer übermittelt. Seit 1. Januar ist das Abkommen in Kraft; mit Österreich greift es jedoch erst 2018. Als Chefin der Liechtensteiner Stabsstelle für internationale Finanzplatzfragen handelte Gey mit vielen Ländern Steuerabkommen aus. So auch mit Österreich.

Dabei wurde ab 2014 festgeschrieben, dass, wer seine Stiftung nach Liechtenstein verlagert, nur noch fünf statt 25 Prozent des Vermögens an den österreichischen Fiskus bezahlen muss, eine Art Strafsteuer. Das Abkommen allein entfaltete zunächst keine Wirkung. Das änderte sich jedoch, je mehr in Österreich die politischen Debatten um eine stärkere Besteuerung von Reichen Fahrt aufnahm.

Der Steuerberater berichtet über eine "große Unruhe in der Herde der Stifter"

Als schließlich im Herbst 2015 der Entwurf eines neuen Steuergesetzes kursierte, kam "große Unruhe in der Herde der Stifter auf", sagt der Wiener Steuerberater Fraberger. Denn das Gesetz sieht vor, bei Verlagerungen ins Ausland auch die stillen Reserven in den Stiftungen zu besteuern. Wertpapiere und Anteile an Kapitalgesellschaften und anderen Unternehmen etwa. Betroffen wären vor allem Familienunternehmer, die ihre Firmen und Firmenanteile in Stiftungen haben. In der Vergangenheit hatte sich der österreichische Fiskus diesbezüglich großzügig verhalten. "Es verdichteten sich die Vorzeichen, dass der Staat die Schotten bald ganz dicht macht", sagt Fraberger. Also entschieden sich Stifter für die Flucht nach Liechtenstein - im letzten Moment sozusagen, ehe das neue Gesetz am 1. Januar in Kraft trat. "Der Versuch, den Wegzug zu erschweren, ist nach hinten losgegangen", konstatierte die österreichische Zeitung Der Standard. Außer nach Liechtenstein hätten manche auch Reißaus in die Schweiz genommen.

Wie viele Kapitalflüchtlinge mit wie viel Geld es genau waren, kann niemand zuverlässig sagen. Das Steuergeheimnis verhindert dies. In Vaduz kursiert das Gerücht, auch ein sehr reicher Deutscher sei darunter; Der Standard schreibt von Großaktionären eines westösterreichischen, börsennotierten Konzerns. Für das Finanzministerium in Wien hatte die Flucht einen kuriosen Nebeneffekt. Statt der kalkulierten zehn Millionen Euro kassierte der Staat 75 Millionen Euro jener Strafsteuer für fliehende Stifter.

So scheint die beste Zeit der auch bei reichen Deutschen lange Zeit beliebten österreichischen Stiftungen vorbei. "Das Vertrauen in die österreichische Rechtssicherheit ist erschüttert", beklagt VÖP-Generalsekretär Christoph Kraus. Schuld seien die Politiker in Wien, die "große Verunsicherung" ausgelöst hätten. Nach ihrer Einführung 1993 erlebten die Stiftungen einen Boom. In der Spitze gab es 3600, 400 mehr als jetzt. Seit 2012 geht es abwärts.

Das beste Jahr war 2010, als allein 804 Stiftungen gegründet wurden. Unter anderem von Menschen, die zuvor ihr Geld in Liechtenstein hatten und es im Nachgang zum Steuerskandal 2008 abzogen, als das Fürstentum am internationalen Pranger stand. Jetzt geht es offenbar wieder in die andere Richtung.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2016
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