Stiftung Warentest gegen Ritter Sport:Geschmackssache

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Natürlich oder künstlich? Die Firma Symrise stellt Aromen her und sagt: Natürlich ist alles natürlich. (Foto: dpa)

Es geht um Ruf und Ehre: Das vernichtende Urteil der Stiftung Warentest für die "mangelhafte" Vollnuss-Schokolade hat Ritter Sport schwer verärgert. Das Aroma für die Schokolade kommt von der Firma Symrise. Sie muss nun vor Gericht nachweisen, dass der Stoff nicht chemisch, sondern natürlich hergestellt wird.

Von Helga Einecke, Frankfurt

Der Verkäuferin an der Supermarktkasse schaut verständnislos. "Was meinen Sie?", fragt sie zurück. Ob in der Schokolade tatsächlich natürliche Aromen drin sind, so wie es auf der Packung steht, lautet die Frage. Die Frau mit den langen blonden Haaren schüttelt energisch den Kopf. So eine Frage hält sie im Weihnachtsgeschäft nur auf, sie will kassieren, die Schlange der Kaufwilligen wartet. Vom Disput zwischen der Stiftung Warentest und dem Schokoladenhersteller Ritter Sport hat sie keine Ahnung.

Die Tester verpassten der Vollnuss-Schokolade von Ritter die schlechteste Note: "mangelhaft". Sie fanden darin Piperonal und bezweifeln, dass es sich dabei um ein natürlich hergestelltes Aroma handelt. Bei nennenswerten Mengen und zu vertretbaren Kosten müsse Chemie mit im Spiel sein, lautete der Befund. Das wiederum bedeute Täuschung der Verbraucher und daher die Note mangelhaft.

Angriff ist die beste Verteidigung

Bei Ritter Sport im schwäbischen Waldenbuch vernahm man das Urteil mit großem Entsetzen. Mit guten Urteilen der Stiftung Warentest werben die Hersteller gern, ein vernichtendes Urteil ist für jeden ein Desaster. Ritter Sport ging unverzüglich zur Verteidigung über und schob den Schwarzen Peter gleich weiter. Das natürliche Aroma enthalte natürliches Piperonal, und das stamme von der Firma Symrise. Natürlich.

Der Skandal erreichte Symrise-Chef Heinz-Jürgen Bertram in Indien. Von dort aus griff er umgehend ein, sprang seinem Kunden Ritter Sport bei. Eidesstattlich ließ er erklären, das gelieferte Aroma enthalte kein chemisch hergestelltes Piperonal. Vielmehr sei das Piperonal ausschließlich aus botanischen Quellen gewonnen und mit Verfahren hergestellt, die der europäischen Verordnung für die Herstellung von natürlichen Aromastoffen entspreche. Mithin habe man den Kunden uneingeschränkt mit natürlichem Aroma beliefert.

Die niedersächsische Kleinstadt Holzminden, der Firmensitz von Symrise, liegt weit vom Schuss. Radfahrer machen dort im Sommer Station, wenn sie den Flusslauf der Weser erkunden. Bertram brauchte nach seiner Rückkehr aus Indien vom Flughafen Hannover aus noch eine gute Stunde mit dem Wagen.

Nur die wenigsten Verbraucher wissen, dass sie täglich mit vielen Stoffen aus Holzminden in Berührung kommen, diese schmecken und riechen. Symrise-Stoffe stecken in Zahnpasta, Deo, Klospülung, Kaffee, Joghurt, Backwaren. Nur steht nicht Symrise drauf, auch weil das die Hersteller nicht wollen, vor allem nicht die von Nahrungsmitteln.

Der Trend heißt "Zurück zu mehr Natur"

Ein Markenprodukt soll immer gleich schmecken, so wie es der Verbraucher gewohnt ist. Das ist mit Aromen aus der Natur nicht ganz einfach, denn die Menge und die Qualität, die zum Beispiel eine Pflanze liefert, schwanken. Zusatzstoffe und künstliche Aromen haben keinen guten Ruf, Verbraucher wittern dahinter Chemie. Genau um diesen Punkt dreht sich der Streit zwischen Ritter Sport und der Stiftung Warentest.

Künstliche Aromen, die in den 80er-Jahren noch dominierten, sind nach Angaben von Bertram weitgehend verschwunden. In den USA seien 90 Prozent aller Aromen natürlichen Ursprungs, in Europa 80 Prozent. Der Trend gehe zurück zu mehr Natur.

In vielen Fällen, so erklärt es Bertram, gebe man den Nahrungsmitteln das zurück, was sie in der Verarbeitung verloren haben. Bei tiefgefrorenen Früchten und Gemüsen würden Wasser und Aromen entzogen. Symrise fange die Aromen auf, recycle sie und gebe sie dem gefrorenen Produkt zurück. "Wir wollen den Verbrauchern ja nichts unterjubeln", sagte er. Es sei zum Beispiel völliger Quatsch, dass Erdbeeraroma aus Holzspänen gewonnen werde.

Piperonal lasse sich unter anderem aus Vanille, Pfeffer oder dem Sassafras, einem Lorbeergewächs, gewinnen. In Pfeffer fänden sich unter einer Million Teilchen auch mehrere Tausend von Piperonal. Auch bei Geschmacksverstärkern gehe es hierzulande um natürliche Stoffe, nicht etwa um Glutamate. 5000 Tonnen Zwiebeln verarbeite Symrise pro Jahr, daraus gewinne man einen natürlichen Geschmacksverstärker.

Als Trend bezeichnete Bertram eine gesunde Ernährung, obwohl die Verbraucher aus Zeitmangel meistens zu Fertigprodukten greifen würden. Deshalb müssten Zucker und Fett durch natürliche Aromen reduziert oder ersetzt werden. Allein in Forschung und Entwicklung beschäftigt Symrise 1100 Experten, die Gerüche und Aromastoffe aufspüren, analysieren und in marktfähige Produkte wandeln. 30.000 Produkte verkauft Symrise aktuell, 10.000 Rohstoffe kommen hinein.

"Das ist eine Frage des Anstands"

Inzwischen eskalierte der Streit mit Ritter Sport, man zog vor Gericht. Das Landgericht München untersagte der Stiftung Warentest, bestimmte Aussagen zum Aroma in der Schokoladensorte Ritter Sport Vollnuss weiterhin zu treffen. Die Stiftung Warentest entfernte die Passagen in ihrem Test, legte aber Widerspruch ein. Am 20. Dezember trifft man sich nun zur Gerichtsverhandlung in München. Dann schlägt die Stunde der Juristen und die Sachverständigen.

Schließlich meldete sich die Lebensmittelaufsicht aus Oldenburg bei Symrise, nahm Proben des umstrittenen Stoffs Piperonal. Es handelte sich um ein Amtshilfeersuchen des Landkreises Böblingen, in dem auch Ritter Sport sitzt. "Wir stellen gerne alles zur Verfügung", heißt es in Holzminden höflich. Man wundere sich nur, warum die Behörden nicht erst mal ins Labor der Stiftung Warentest schaue. Es sei doch interessant zu wissen, wie die überhaupt zu ihrem Urteil gekommen sei.

Der Groll gegen die Tester ist unüberhörbar. Bertram forderte die Stiftung Warentest auf, den Test zu wiederholen und sich bei Ritter Sport zu entschuldigen. "Das ist eine Frage des Anstands, schließlich wurde hier der Name des Unternehmens und der Familie beschmutzt", echauffierte er sich in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Vor Gericht will Bertram detailliert offenlegen, auf welchem Weg der strittige Geschmacksstoff hergestellt wurde.

Frischer Atem aus der deutschen Provinz

Er erzählt dann noch, seine Firma habe ein spezielles Verfahren entwickelt, um ein Aroma gezielt aus Pflanzen und Gewürzen zu destillieren. "Sym-Trap" heiße diese Technologie, und sie sei sogar patentiert. Damit lasse sich die Konzentration des Geschmacksstoffs beachtlich steigern. Die dazugehörigen Maschinen baue Symrise selbst.

Viel Zeit hat Bertram auch nach seiner Rückkehr aus Indien nicht für Erklärungen. Das lange terminierte Treffen der Führungskräfte von Symrise fand in Holzminden statt, man besprach die Strategie, es ging um die Märkte dieser Welt. Denn Symrise produziert zwar in der deutschen Provinz, agiert aber global. Zuletzt ist man groß in die Menthol-Produktion eingestiegen. 3000 Tonnen liefert Symrise jährlich weltweit für Kaugummis, Zahnpasta, Mundwässer, ein Zehntel des kompletten Bedarfs.

Bertram setzt sich und seinen Leuten stramme Ziele. Er will bis 2020 seinen Umsatz auf 2,8 Milliarden Euro und den Gewinn auf eine halbe Milliarde Euro steigern. Er hat nicht nur Investoren im Blick. Das Engagement der Firma zur nachhaltigen Beschaffung von Vanille in Madagaskar wurde 2012 ausgezeichnet. Oekom Research zählt Symrise zu den nachhaltigsten Chemieunternehmen.

Zehn Jahre ist das Unternehmen erst alt, fußt jedoch auf alten Traditionen. Lange kämpften die beiden Vorgängerfirmen Dragoco und Haarmann & Reimer, eine Bayer-Tochter, gegeneinander. Der schwedische Finanzinvestor EQT führte sie 2002 zusammen, nannte sie Symrise und holte Geld von der Börse. Die Notierung bedeutet, dass man sich alle vier Monate vor den Aktionären rechtfertigen und die Eigentümer mit einer Wachstumsstrategie bei Laune halten muss. Allerdings gibt es mit der Familie Gerberding aus Gründerzeiten sowie der Familie Jahr Ankeraktionäre, die vor Übernahmen schützen.

Der weltweite Markt für Aromen und Düfte hat ein Volumen von 17 Milliarden Euro und wächst Jahr für Jahr um zwei bis drei Prozent. Der Marktanteil von Symrise beträgt etwa ein Zehntel. Diesen Marktanteil will das Holzmindener Unternehmen ausweiten. Als Kernkompetenzen werden die Bereiche Zitrus, Vanille und Mint genannt. Die sind für Düfte und Aromen zu gebrauchen und würden gezielt auf die Hauptmarken der Kunden ausgerichtet.

Stiftung Warentest ist nicht unfehlbar

Mit den Namen seiner Kunden geht Bertram vertraulich um - es sei denn es geht wie bei Ritter um Ruf und Ehre. Aber die großen Hersteller von Nahrung, Kosmetik, Reinigungsmitteln sind alle dabei, ob sie Nestlé, Kraft, Procter & Gamble, Danone, Beiersdorf oder Henkel heißen.

Es kommt nicht häufig vor, dass Hersteller die Stiftung Warentest wegen eines Tests verklagen. An verlorene Prozesse kann man sich in Berlin, dem Sitz der Stiftung, kaum erinnern. Das müsse in den 90er-Jahren gewesen sein, sagte Pressesprecherin Heike van Laak. Für unfehlbar halte man sich gleichwohl nicht.

Ritter Sport verdächtigt die Stiftung gleichwohl, nur Schlagzeilen produzieren zu wollen. Die Verbraucher würden verunsichert, es entstehe ein immenser wirtschaftlicher Schaden.

© SZ vom 10.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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