Süddeutsche Zeitung

Stiftung Warentest:Bis aufs Blut

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Stiftung Warentest kämpft hartnäckig gegen Mogelpackungen von Herstellern. Und wenn es dazu dient, Qualität zu erproben, lassen sich Prüfer auch schon mal zerstechen

Barbara Kerbel

Am Ende des Gesprächs hebt Birgit Rehlender dann doch die Stimme. Zwei Stunden hat sie so sachlich erzählt von Fettsäuren, Rückstellproben und Prüfmustern, dass die 53-Jährige dem Besucher fast ebenso kontrolliert erschien wie die von ihr ersonnenen Analyseprogramme, in denen kein Detail dem Zufall überlassen bleibt.

Jetzt aber gibt sie sich selbst das Stichwort, das sie in Rage bringt: Mogelpackung. "Wenn ich sehe, wie Hersteller mit halb gefüllten Schachteln oder Dosen die Verbraucher bewusst in die Irre führen", sagt sie, "dann kriege ich so einen Hals."

Gut, dass sie einen Beruf hat, in dem sie diese Wut nutzen kann. Rehlender ist bei der Stiftung Warentest nicht nur als Projektleiterin verantwortlich für sämtliche Lebensmitteltests, sondern die Lebensmittelchemikerin betreut seit 1991 außerdem das Ressort "Müll- und Mogelpackung" für die Zeitschrift Test.

Sachlich, nüchtern und korrekt

Vermutlich sind es Mitarbeiter wie sie, die seit 1964 den Erfolg der Stiftung Warentest ausmachen - Mitarbeiter, die das Ziel anspornt, Schindluder treibenden Geschäftemachern das Leben ein bisschen zu erschweren, und die dennoch kühle Wissenschaftler sind, sachlich, nüchtern und korrekt.

"Ratlos stehen Käufer vor vollen Schaufenstern. Das Warenangebot wächst von Tag zu Tag. Es gibt heute 150 Nähmaschinenmarken, 80 Staubsauger, 70 Heizkissen, Küchenmesser und Kochlöffel sind nicht zu zählen." So schrieb die Redaktion der ersten Ausgabe des Magazins, das damals Der Test hieß und heute schlicht Test, an ihre Leser.

Information solle die Stiftung den Verbrauchern bieten, die überfordert zu werden drohten durch die zunehmende Produktfülle der Wirtschaftswunderzeit: Mit diesem Ziel fasste der Bundestag am 9.Oktober 1962 den Beschluss, nach amerikanischem Vorbild eine deutsche Testorganisation zu gründen.

Nicht jeder war froh über die Idee einer unabhängigen Prüfinstanz: Alles unnötig, argumentierten Wirtschaftsvertreter, es gebe doch Werbung; die informiere die Verbraucher schließlich auch. Diese allerdings waren augenscheinlich anderer Meinung - die 210.000 Exemplare der ersten Ausgabe, mit Testberichten über Nähmaschinen und Stabmixer sowie einem Rezept für Eierbier (fast 2000 Kilokalorien pro Liter), war nach nur zwei Wochen so gut wie ausverkauft.

78.000 Produkte haben Labore und Institute seitdem im Auftrag der Stiftung untersucht, es gibt fast nichts, was die Prüfer nicht schon unter die Lupe genommen hätten: Autobahnraststätten, Modelleisenbahnen, Toaster, Babywiegen, Haarsprays, Bohrmaschinen, Schaumwein, Superbenzin, Fahrradhelme und einmal sogar Horoskope.

Die Stiftung Warentest ist eine privatrechtliche Stiftung, die zwar Geld aus dem Staatshaushalt bekommt, aber über kein eigenes Stiftungskapital verfügt. Zehn bis zwölf Prozent des Etats schießt der Bund zu, im Jahr 2006 waren das etwa 6,5 Millionen Euro. Den Rest der Ausgaben muss die Stiftung, der zurzeit 283 Angestellte angehören, durch den Verkauf der Magazine Test und Finanztest sowie zahlreicher Sonderveröffentlichungen decken.

Den Artikeln im Testheft, das derzeit monatlich mit einer Auflage von 566.000 Exemplaren erscheint, sieht der Leser nicht an, wie viel Arbeit dahinter steckt. Drei, vier, fünf Seiten Text, dazu die detaillierte Prüftabelle - das bedeutet monatelange Tüftelei mit zum Teil aberwitzig anmutendem Aufwand, alles für den einen Zweck: höchstmögliche Objektivität zu erreichen und damit höchstmögliche Glaubwürdigkeit.

Was wann getestet wird, entscheidet die Redaktion, wo und vor allem wie geprüft wird, ist Sache der Projektleiter, die in ihren Prüfprogrammen jede Kleinigkeit festlegen. Streng anhand dieser Vorgaben führen privaten Institute oder Universitätslabore die Tests dann aus. Eigene Labore unterhält die Stiftung Warentest nicht.

Objektivität, Präzision und Diskretion

Aberwitzig anmutender Aufwand, das sieht in der Praxis zum Beispiel so aus: Um zu prüfen, ob Insektenschutzmittel die stechenden Biester auch tatsächlich fernhalten, ließ die Stiftung eigens besonders blutdurstige Stechmücken züchten - die herkömmlichen Moskitos hatten sich als nicht gefräßig genug erwiesen -, systematisch aushungern und anschließend hinter einem Fliegengitter auf die bloßgelegten Arme der Testpersonen einstechen.

Für Spülmaschinentests werden Besteck und Geschirr mit einer exakt definierten Mischung aus Speiseresten beschmutzt, Staubsauger müssen im Labor einen von Prüfern hergestellten Staub, eine ausgeklügelte Mixtur aus Haaren, feinen und groben Körnchen, aufsaugen, und zwar wieder und wieder, Hunderte Male. Schließlich geht in das Testurteil auch ein, wie lange ein Gerät durchhält, das jahrelang und intensiv genutzt werden soll.

Und wenn die Stiftung - ein Klassiker vor allem für das Weihnachtsheft - prüfen lässt, wie glatt und weich Elektrorasierer die Männerhaut tatsächlich hinterlassen, dann werden die rasierten Bartstoppeln der Testmänner nach der Rasur aufs Tausendstel Gramm exakt gewogen.

Objektivität versuchen sich die Warentester nicht nur durch Präzision zu bewahren, sondern auch durch Diskretion. Deshalb funktioniert die Stiftung ein bisschen wie ein Geheimdienst. Wer die Zentrale am Berliner Lützowplatz besucht, bekommt vom Pförtner ein Plastikschild zum Anheften, auf dem das Stockwerk gedruckt steht, in dem der Besucher seinen Termin hat. Dort und nur dort darf er sich aufhalten. Wer sich umschauen darf in den Prüflaboren, die im Auftrag der Stiftung Schinkenspeck, Apfelsaft, Baby-Kindersitze oder Teflon-Pfannen testen, der muss versprechen, auf gar keinen Fall zu schreiben, wo sich diese Labore befinden.

Und Testpersonen für den seit 1991 erscheinenden Heft-Ableger Finanztest dürften sich sogar tatsächlich fühlen wie Agenten: Sie bekommen eine richtige Legende, mit der sie deutschlandweit bei Banken und Versicherungen vorstellig werden und sich beraten lassen über Kredite, Investmentfonds und Rentensparpläne. All diese Maßnahmen dienen dazu, wie auch der Verzicht auf Anzeigen im Magazin, die Gefahr jeglicher Einflussnahme zu minimieren.

Dass Unternehmen dennoch immer wieder versuchen, hinter die Geheimnisse zu kommen - etwa indem sich Mitarbeiter als Journalisten ausgeben und in der Pressestelle die neuesten Prüfergebnisse "zu Recherchezwecken" anfordern - zeigt, wie nötig die vermeintlich paranoiden Umgangsregeln sind.

Anderseits verwundert es auch nicht, dass Firmen ein enormes Interesse daran haben, im Warentest möglichst gut abzuschneiden, oder zumindest öffentlichkeitswirksam gegen ein negatives Urteil vorzugehen. Die Stiftung Warentest ist längst auch zum Wirtschaftsfaktor geworden. Einer Forsa-Umfrage zufolge kennen 96 Prozent der Deutschen Test, jeder Dritte orientiert sich demnach an den Prüfergebnissen, wenn größere Anschaffungen anstehen.

Immer wieder Mogelpackungen

Mit dem Testsiegel "sehr gut" oder "gut" lässt sich nahezu jedes Produkt bewerben, eine schlechte Bewertung dagegen kann Existenzen vernichten. So kündigen etwa große Discounter ihren Lieferanten die Verträge, wenn die Warentester deren Saft, Wurst oder Müsli für schlechter als "befriedigend" befinden. "Es geht um richtig viel Geld", sagt Heike van Laak, Sprecherin der Stiftung.

Immer wieder klagen Hersteller gegen ein Testergebnis - das prominenteste Verfahren der vergangenen Jahre war der Fall Uschi Glas, deren unter ihrem Namen vertriebene Creme im Gesicht vieler Testerinnen Ausschlag und Pusteln hervorrief und deshalb die Note "mangelhaft" erhielt. Die Vertriebsfirma focht das Testurteil an und unterlag, ebenso wie die meisten anderen Hersteller, die gegen die Stiftung vor Gericht zogen. In keinem Fall ist die Stiftung bislang zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden, immer wieder haben Gerichte Objektivität und Zuverlässigkeit der Tester bestätigt.

Inzwischen beschäftigt die Stiftung auch eine Kanzlei damit, unrechtmäßige Werbung mit dem Testsiegel zu ahnden. So hatte etwa ein Discounter, dessen als Aktionsware verkauftes Olivenöl im Test besonders gut abschnitt, plötzlich derartige Mengen des Öls in die Läden gestellt, dass die Tester misstrauisch wurden. Zu Recht, wie eine Nachprüfung ergab: Die Flaschen mit dem Siegel enthielten ein anderes, minderwertiges Öl. Das ist Irreführung der Verbraucher, und der haben die Mitarbeiter der Stiftung Warentest den Kampf angesagt.

Wie Rehlender, die oft schon im Fernsehen zu sehen war inmitten von Kartons, die alle mehr Inhalt vorgaukeln als tatsächlich drinsteckt. Vor allem bei Kosmetik und Lebensmittel schummelten die Hersteller, sagt sie: Plötzlich sind in der Pampers-Packung zwei bis vier Windeln weniger, Tempo packt statt zehn nur noch neun balsamierte Taschentücher ein und die Giotto-Gebäckkugeln reichen plötzlich nicht mehr für die fünfköpfige Familie - früher gab es für jeden zwei Stück Naschwerk - einer bekomme jetzt nur noch eines, schrieb eine Familie an Rehlender. "Das passiert klammheimlich", sagt diese und ihre Stimme wird wieder ein bisschen lauter. "Das ärgert die Verbraucher und mich auch."

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Quelle:
SZ vom 28.11.2007/sho
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