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Stifterpreis: Jens Mittelsten Scheid:Der Mann von Vorwerk: Konsum nervt

Bürgerarbeit statt Glamour: Jens Mittelsten Scheid aus der Staubsauger-Dynastie Vorwerk erhält den Deutschen Stifterpreis.

Kristina Läsker

Vor der Preisverleihung wird Jens Mittelsten Scheid mal wieder mit seiner Frau diskutieren. Die würde ihrem Gatten nur zu gerne einen neuen Anzug verpassen, wenn er an diesem Freitag in Frankfurt den Deutschen Stifterpreis für sein Lebenswerk erhält, die wichtigste Auszeichnung für deutsche Mäzene.

Doch Mittelsten Scheid wird sich für die Festveranstaltung nicht einfach so einen neuen Zweiteiler kaufen, obwohl seine Frau über die alte Garderobe schimpft. Nicht, solange die Anzüge im Schrank noch passen. "Ich habe zu jeder Beerdigung meinen Abituranzug an", erzählt der Stifter, als sei das Abitur erst gestern gewesen.

Dabei ist der Mann schon 68 Jahre alt. Jens Mittelsten Scheid geht es weniger ums Geld. Der Stifter stammt aus der Vorwerk-Dynastie in Wuppertal, seit seiner Geburt hält er Anteile am Unternehmen - und ist reich. Theoretisch könnte er jede Woche von München nach Mailand jetten und italienische Anzüge im Dutzend shoppen.

Doch Mittelsten Scheid will nicht. "Der ständige Konsum geht mir unglaublich auf den Geist", sagt er und nippt am Wasserglas, wie schon seit zwei Stunden. Auch Glamour nervt ihn. Dass seine Person durch den Stifterpreis an die Öffentlichkeit gezerrt wird, findet er nicht wirklich angenehm.

Jeden Monat ein paar hundert Mark

Viele Jahre lang hat der Millionär daher so getan, als wäre er keiner. Als käme er nicht aus einer der traditionsreichsten deutschen Unternehmerfamilien, der Familie Vorwerk, die mit Kobold-Staubsaugern und Vertreterbesuchen viel Geld gemacht hat.

Auch Mittelsten Scheid schwört auf den Kobold, wie knapp jeder vierte Haushalt hierzulande. Während des Studiums aber wohnte der Unternehmersohn erst mal in einer Bude "mit Waschtisch auf dem Flur". Später lebten er und seine damalige Frau mit anderen Paaren in Wohngemeinschaften.

Dort gab es eine Kasse. Jeden Monat zahlte Mittelsten Scheid ein paar hundert Mark ein, wie die Mitbewohner auch. "Ich habe so gelebt, als ob ich kaum Geld hätte", sagt er. Als er sich einer linken Studentenbewegung anschloss, verschwieg er seine Wurzeln lieber. "Da hätte mein kapitalistischer Hintergrund nur gestört."

Ein Jahr Praktikum bei Vorwerk

Dabei hätte ihn sein Vater, Erich Mittelsten Scheid - ein passionierter Ingenieur -, am liebsten im elterlichen Betrieb gesehen. "Die Firma war sein Ein und Alles", erzählt der Sohn über seinen Vater. "Er war außerordentlich daran interessiert, dass ich in seine Fußstapfen trete."

Als sich abzeichnete, dass der Sohn andere Pläne hatte, trafen sie eine Abmachung: Nach dem Abitur absolvierte Jens Mittelsten Scheid zunächst ein Praktikum bei Vorwerk. Ein Jahr lang half er in der Buchhaltung, stellte sich in Wuppertal ans Band und assistierte dem Vater bei der Führung. Seine Haltung änderte das kaum, Unternehmer wollte er immer noch nicht werden.

"Meine Leidenschaft war die Philosophie", sagt er. Wie seine Mutter, eine Physiotherapeutin, interessieren ihn soziale Belange mehr als Maschinen. Nach der Bundeswehr begann Mittelsten Scheid in Heidelberg Philosophie, Soziologie und Politik zu studieren. "Mein Vater hat das schweren Herzens akzeptiert."

Später wechselte er nach München. Nach dem Studium bewarb er sich 1976 als Sozialarbeiter bei der evangelischen Kirche. "Mich hat die Arbeit mit schwierigen Jugendlichen gereizt", sagt Mittelsten Scheid, der selbst zwei Söhne und eine Tochter aus zwei Ehen hat. Für die evangelische Kirche baute er ein Jugendhaus in München auf.

Später arbeitete er bei der Evangelischen Jugendsozialarbeit Bayern als Landesreferent für Jugendarbeitslosigkeit. 1982 kam die persönliche Wende. Damals war Mittelsten Scheid 41 Jahre alt. Eine Kollegin erzählte ihm von einer Gruppe schwieriger Jugendlicher, die sie monatelang betreut hatte - und die auseinanderbrach, als ein Gruppenmitglied tatsächlich Arbeit fand.

Dass sich die Kollegin nur über die eigene vergebliche Mühe beim Aufbau einer Gruppe ärgerte und sich nicht über den Erfolg des Jugendlichen bei der Jobsuche freute, empört Mittelsten Scheid bis heute. "Das war symptomatisch für die damalige Jugendsozialarbeit", sagt er. "Das konnte ich nicht mehr mittragen."

Selbst machen statt konsumieren

Erstmals erkannte Mittelsten Scheid an, dass er über weit mehr Vermögen verfügte als viele andere und dass sich daraus viel machen lässt. "Manche denken, ich hätte ein wunderbares Leben, ich bräuchte nur Geld auszugeben", sagt er. "Aber es ist nicht einfach, sinnvoll Geld auszugeben."

Er habe damals neu angefangen, erzählt er. Zuerst kündigte er den Job, verließ die WG und baute eine Villa. Dann gründete er mit der Anstiftung Gmbh die erste von fünf Stiftungen. Diese beschäftigt neun Menschen und betreibt das "Haus der Eigenarbeit" in München.

In der offenen Werkstatt stehen Geräte zur Verfügung, mit denen Bürger gegen einen Obolus schreinern, werken oder basteln können. Selbst machen statt konsumieren ist das Motto. "Menschen sollen die Vielfalt ihrer Fähigkeiten kennenlernen und den Mut fassen, sich stärker einzubringen", sagt Mittelsten Scheid.

"Höchst unbefriedigend"

Was missionarisch klingt, ist ernst gemeint: Das Haus der Eigenarbeit ist als Widerstand gegen die Wegwerfgesellschaft gemeint. Wer begreift, was mit der Eigenarbeit möglich ist, wird das eigene Leben stärker in die Hand nehmen und sich auch in der Gesellschaft engagieren, meint der Stifter.

Er selbst tüftelt und bastelt auch gerne. Wie den Holzstuhl, den er mal im Haus der Eigenarbeit geschreinert hat. "Was man selbst macht, schmeißt man nicht so schnell wieder weg." Eines ist ihm nicht gelungen: Mehr als 20 Jahre nach Gründung trägt sich das Haus der Eigenarbeit nicht selbst und ist auf Hilfe angewiesen.

Jedes Jahr stecken die Stadt München und die Anstiftung etliche tausend Euro in die Werkstatt. "Das ist höchst unbefriedigend." Gebremst haben ihn solche Rückschläge nicht. Etliche Stiftungen hat er allein gegründet oder angeschoben. Er leitet die von Vorwerk-Familienmitgliedern gegründete Stiftung Mittelsten Scheid, und er finanziert die Stiftung Interkultur, die bundesweit knapp 100 Gartenkolonien für Migranten geschaffen hat, um deren Integration zu unterstützen.

Ungeniert genießen

Daneben fördert er vielfach Kunst, Kultur und Ökologie. So unterstützt Mittelsten Scheid etwa das Öko-Institut in Freiburg und das Franz-Marc-Museum in Kochel. Eine zweistellige Millionensumme hat der Mäzen in den letzten 28 Jahren gestiftet und gespendet, genau kennt er die Zahl selbst nicht.

Bis heute arbeitet er von "8 bis 18 Uhr" für seine Ideen, obwohl er sich längst auf seinem Bauernhof zur Ruhe setzen könnte. Auch im Familienkonzern Vorwerk, der von seinem Cousin Jörg geleitet wird, mischt er als Mitglied in Gesellschafterrat und Beirat mit. "Ich sehe meine Rolle darin, die Familie bei der Stange zu halten."

Seit der Wende in seinem eigenen Leben schafft es der bescheidene Mann immer öfter, auch ungeniert zu genießen. Vor einiger Zeit etwa hat sich Mittelsten Scheid ein Gemälde von Fernand Leger geleistet. Vielleicht kann seine Ehefrau ja auch einen neuen Anzug durchsetzen.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2010/nog/tob
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