Luftverschmutzung:Etwas weniger Stickoxid - aber keine großen Fortschritte

Erstes Dieselfahrverbot in Hessen startet

Die Fahrzeuge hinterlassen nicht nur Leuchtspuren, sondern auch Abgase.

(Foto: Silas Stein/dpa)
  • Die Stickoxid-Ausstoß geht nur langsam zurück. Bliebe es bei diesem Tempo, würde der Grenzwert am Neckartor in Stuttgart erst 2040 erreicht.
  • Viele Firmen arbeiten an Sets für die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen, um die Luftverschmutzung weiter zu senken.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Max Hägler

Gemütlich rollt der Verkehr durch Berlin, Stoßstange an Stoßstange. Seit April vergangenen Jahres stehen hier Tempo-30-Schilder, Zusatz: "Luftreinhaltung". Nicht, dass sich jeder daran halten würde. Aber nach Auffassung des Berliner Senats zeigt das Tempolimit erste Wirkung. Binnen eines Jahres sei man von 63 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter auf 59 Mikrogramm runter, heißt es bei der zuständigen Senatsverwaltung. Im Kampf um bessere Luft sind deutsche Städte mittlerweile schon mit wenig zufrieden.

Müssen sie auch, denn große Fortschritte gibt es nirgends. Am Montag hat das Umweltbundesamt (UBA) offiziell seine Daten für 2018 vorgelegt, die Lage ist schlecht. Zwar sank die Zahl der Städte, in denen der Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter überschritten wird, von 65 auf 57. Allerdings sind die Fortschritte vergleichsweise gering. Im Mittel seien die Messwerte um 1,5 Mikrogramm zurückgegangen, heißt es bei der Umweltbehörde. Bliebe es bei dem Tempo, bräuchte es an der Leipziger Straße zwölf Jahre, bis der Grenzwert erreicht ist. Am Stuttgarter Neckartor - Messwert 2018: 71 Mikrogramm - wäre es im Jahr 2040 so weit. An der Landshuter Allee in München, wo der Wert stark auf 66 Mikrogramm sank, immerhin schon 2036.

Das Umweltbundesamt selbst verknüpfte die Zahlen dennoch mit einer bescheidenen Erfolgsmeldung. Zwar zeigten die Zahlen, dass die bisherigen Maßnahmen noch nicht ausreichten, ließ Behördenchefin Maria Krautzberger wissen. Aber: "Die Luft in den Städten wird besser und der Trend geht in die richtige Richtung." Ein taktischer Fehler, wie sich schnell zeigen sollte. Denn der Automobil-Verband VDA griff die gute Nachricht prompt auf. Man sehe sich "durch die neuesten UBA-Zahlen bestätigt", verkündete der Verband, "dass die Bestandserneuerung sowie Software-Updates die wirkungsvollsten Maßnahmen sind, um die Luftqualität in deutschen Städten zügig, nachhaltig und erheblich zu verbessern". Auch die Automobil-Importeure jubelten: "Die Diesel-Umstiegsprämien wirken", teilten sie freudig mit. Schon eine halbe Million Diesel-Stinker seien wegen der Prämien verschwunden.

Die nackten Zahlen spiegeln das allerdings nicht wider. 2017 hatte der Bund 14 so genannte "Intensivstädte" identifiziert, die sogar über einem Wert von 50 Mikrogramm je Kubikmeter liegen. Ein Jahr später sind es 15. In Städten wie Kiel, Dortmund, Bonn, Freiburg, sind die Werte leicht gestiegen. Schwankungen sind nicht ungewöhnlich, auch das Wetter spielt eine Rolle. Doch ein Beleg für die Wirksamkeit von Software-Updates und Flottenaustausch, wie ihn die Industrie erkannt haben will, sieht anders aus. "Wir brauchen die Umrüstung alter Diesel-Pkw", legte das Umweltbundesamt vorsichtshalber auf Twitter nach.

So war es eigentlich auch vorgesehen. Als sich die Koalitionsspitzen im Oktober mit der miesen Luft in vielen Städten beschäftigten, da machten sie sich auch für Hardware-Nachrüstungen stark, also den nachträglichen Einbau von Reinigungssystemen. Vor allem schwere kommunale Lastwagen, Müllautos oder Busse wollten sie so sauberer machen, aber auch Handwerker- und Lieferwagen. Millionenschwere Förderungen waren dafür vorgesehen. In den so genannten "Intensivstädten" sollten die Hersteller zudem entweder Tauschprogramme für ältere Diesel auflegen oder aber die Hardware älterer Motoren nachrüsten. "Bisher ist aber leider unheimlich wenig passiert", sagt Gerd Lottsiepen, Umweltexperte beim Verkehrsclub Deutschland. "Es fehlt schlicht und ergreifend die Nachrüstung im Bestand."

Autofahrer in Intensivstädten können günstiger nachrüsten

An technischen Lösungen mangelt es nicht. So will der Nachrüstanbieter Baumot im Sommer Hardware-Sets anbieten. Die Zertifizierung laufe schon, das Kraftfahrtbundesamt habe eine schnelle Entscheidung zugesagt. Die Ingenieurfirma geht von gut einer Million Wagen aus, die infrage kommen - ein Milliardenmarkt. Zuerst sollen Sets für die Mercedes-E-Klasse, den Mercedes Sprinter sowie VW-Passat-Autos angeboten werden. Auch die Firma Dr. Pley arbeitet nach eigenen Angaben fieberhaft an den nötigen Genehmigungen, etwa für Volvo- und Mercedes-Motoren. Daimler und Volkswagen hatten zugesagt, bis zu 3000 Euro je älterem Diesel zuzuzahlen, jedenfalls in den "Intensivstädten". Besonders scharf sind die Konzerne auf die teure Lösung allerdings nicht.

Zumal mit Berlin jetzt auch die größte Stadt mit ihren 300 000 Dieselautos in den Kreis der Intensivstädte fallen könnte. Denn die Messstelle, die das Stickoxid an der Leipziger Straße erhoben hat, ist in der UBA-Statistik neu. Schon wegen der Nachrüst-Programme hatte der Senat es auf derart ungeschönte Messwerte abgesehen. Das wäre geschafft - trotz Tempo 30.

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