Steuervermeidung:So will die OECD Briefkastenfirmen stoppen

  • Die Mitgliedsstaaten der OECD wollen gemeinsam Unternehmen daran hindern, durch Tricks Steuern zu vermeiden.
  • Die Kehrzeite der Maßnahmen könnte sein, dass ein neuer, globaler Steuerwettbewerb entsteht.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Im Jahr 2017 sollen weltweit alle Briefkästen abgeschraubt sein, jedenfalls sofern sich dahinter eine Scheinfirma verbirgt: Am kommenden Montag wird die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris einen Bericht veröffentlichen. Darin aufgelistet sind Maßnahmen, um grenzüberschreitend tätige Unternehmen zu zwingen, nicht mehr einfach über Töchterfirmen im Ausland aggressiv Steuern verschieben oder vermeiden zu können. Unternehmen sollen künftig Steuern dort zahlen, wo Wertschöpfung stattfindet. So gut wie alle Regierungen weltweit haben dem OECD-Bericht grundsätzlich zugestimmt. Sie repräsentieren 98 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts.

Anlass des Berichts sind die in den vergangenen Jahren verstärkt bekannt gewordenen Absprachen zwischen nationalen Steuerbehörden und großen Unternehmen zur Steuervermeidung über komplizierte Firmengeflechte, die zunehmende Gewinnverlagerung ins Ausland, der Abfluss von Ergebnissen aus Forschung und Entwicklung über sogenannte Patentboxen sowie der Vormarsch der digitalen Wirtschaft.

Der OECD-Bericht umfasst insgesamt 15 große Maßnahmen. Sie reichen von allgemeinen Grundsätzen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft über die Neudefinition von Betriebsstätten, Berichtspflichten und Schiedsgerichte bis hin zu Offenlegungsregeln.

Vereinbart ist, dass die Staaten nicht alle Maßnahmen gleichermaßen in nationales Recht umsetzen müssen, sondern mindestens vier - und zwar in unterschiedlichen Zeiträumen bis 2021.

Die Staaten sollen besser zusammenarbeiten

Grenzüberschreitend tätige Unternehmen sollen verpflichtet werden, ein zweiseitiges Formblatt auszufüllen und den nationalen Steuerbehörden zu übergeben, auf dem sie alle Töchter, deren Umsatz, Gewinn und beschäftigte sowie weitere allgemeine Daten angeben. Damit soll gewährleistet werden, dass sie multinational tätigen Unternehmen korrekt am Platz der Wertschöpfung besteuert werden. Für die sogenannten Land-für-Land- Berichte wurden einheitliche Dokumentationspflichten vereinbart, damit einerseits gemeinsame Standards gelten und die Finanzverwaltungen die nötigen, vertraulichen Informationen erhalten.

Die Vorzugsbesteuerung von Patentlizenzen, sogenannte Patentboxen, soll geändert werden. Künftig gibt es diese Vorzugssteuern nur dort, wo Forschung und Entwicklung stattfinden. Ab 30. Juni 2016 dürfen keine neuen Unternehmen mehr in bereits bestehende Patentboxen übernommen werden, 2021 sollen die bisherigen Patentboxen insgesamt auslaufen und nur noch nach neuen OECD-Standards betrieben werden.

Alle Staaten sollen zudem die Verwaltungszusammenarbeit in Verständigungs- und Schiedsgerichten verbessern. Die zwanzig Staaten, auf deren Konto 90 Prozent der offenen Streitfälle gehen, haben sich darüber hinaus zu engerer Zusammenarbeit verpflichtet. Dazu zählen die USA, Großbritannien, Deutschland und die Schweiz.

Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft wird über die Neudefinition des Begriffes "Betriebsstätte" angeschoben. Das bedeutet: Künftig sollen auch große Auslieferungslager von Online-Händlern zur Wertschöpfung zählen und vor Ort besteuert werden.

In der OECD und im Berliner Finanzministerium gehen die Unterhändler davon aus, dass so Steuerschlupflöcher geschlossen werden.

Könnten Konzerne durch Steuerwettbewerb geschont werden?

Die Kehrseite der OECD-Maßnahmen ist allerdings, dass es durch deren Umsetzung weltweit zu Steuerausfällen kommen wird. Diese belaufen sich groben Schätzungen zufolge auf vier bis zehn Prozent des Körperschaftsaufkommens, das sind 100 bis 240 Milliarden Dollar jährlich weniger in der globalen Steuerkasse. Da die Regierungen vermeiden wollen, diese Steuerausfälle im eigenen Land verbuchen zu müssen, erwarten die Experten einen neuen, globalen Steuer- und Standortwettbewerb. Damit kann das Aus für die Briefkastenfirmen, das zu einer gerechteren Besteuerung führen sollte, doch wieder, wenn auch auf anderen Wegen, zu niedrigeren Steuersätzen für Konzerne führen.

Im Bundesfinanzministerium hieß es, ein fairer Wettbewerb sei durchaus erwünscht. Die Regierung gehe davon aus, dass der Standort Deutschland durch die Maßnahmen gestärkt werde, weil künftig Steuerabfluss über aggressive Steuerplanungen verhindert werde. Der Mittelstand werde gestärkt, Deutschland könne steuerlich profitieren. Traditionell werden in Deutschland industrielle Waren gefertigt und die Unternehmen hier besteuert. Finanzminister Wolfgang Schäuble rechnet mit zusätzlichen Einnahmen. Denn auch große Auslieferungslager gelten als wertschöpfend, wenn der Begriff "Betriebsstätte" neu definiert wird.

Offen lässt Schäuble die Entscheidung, im kommenden Jahr in Deutschland eine Patentbox einzurichten. Damit würden Forschung und Entwicklung steuerlich begünstigt - was bisher nicht der Fall ist. "Die Entscheidung ist noch nicht gefallen", hieß es im Bundesfinanzministerium. Man wolle erst 2016 abwarten. Bisher hat Deutschland das Problem, dass die Erträge aus Forschung und Entwicklung hierzulande meist ins steuergünstigere Ausland abfließen. Das ist künftig nicht mehr möglich, weil die Steuer dort anfällt, wo auch geforscht wird.

Am kommenden Donnerstag werden die G-20-Finanzminister die OECD-Maßnahmen auf ihrem Treffen in Lima formal beschließen, bevor Mitte November die G-20-Staats- und Regierungschefs ihr Okay geben sollen.

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