Süddeutsche Zeitung

Steuertrickser:Heiße Tipps aus dem Sparkassenverband

Ein Abteilungsleiter des Sparkassenverbands soll Deutschlands größten Steuertrickser mit Insiderwissen aus dem Berliner Politikbetrieb versorgt haben.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott, Berlin/Frankfurt

Der Briefwechsel mit einem Informanten aus Berlin, von dem der Frankfurter Steueranwalt Hanno Berger am 19. Oktober 2010 Näheres wissen wollte, war als "vertraulich" gekennzeichnet.

Berger, der als Deutschlands gewieftester Steuertrickser galt, erhoffte sich wertvolle Tipps. Hinweise darauf, was von den neuesten Plänen im Bundesfinanzministerium zu halten sei.

Das damals von Wolfgang Schäuble geleitete Ministerium versuchte erneut, Aktiendeals zu verhindern, mit denen der Fiskus um insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro betrogen worden sein soll. Was Schäuble und seine Beamten nicht wissen konnten: Diejenigen, die systematisch in die Staatskasse gegriffen haben sollen, waren der Regierung lange Zeit offenbar immer einen Schritt voraus. Weil es einen Zuträger in Berlin gab. Jemanden, der Insider-Wissen aus dem Politikbetrieb verkauft haben soll.

Ein für Steuerthemen zuständiger, inzwischen pensionierter Abteilungsleiter des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, der in Berlin beste Kontakte hatte und vieles frühzeitig erfuhr, versorgte den Frankfurter Anwalt jahrelang mit Informationen. Für 1000 Euro im Monat. Das waren gewissermaßen heiße Tipps, die da aus der "roten Gruppe" kamen, wie das Sparkassenlager wegen der markanten Farbe des Logos genannt wird.

Bergers geheime Quelle in Berlin haben Staatsanwälte enttarnt, die in Deutschlands größtem Steuerskandal mit dem sperrigen Titel Cum-Ex ermitteln. Was dabei bislang herausgekommen ist, steht in der ersten Anklage in diesem Skandal.

Sie liest sich wie ein 948 Seiten langer Wirtschaftskrimi. Berger sei ein "Spiritus Rector" gewesen, eine treibende Kraft. Er habe damaligen Aktienhändlern der Hypo-Vereinsbank (HVB) geholfen, zusammen mit einem HVB-Geschäftspartner den Fiskus um mehr als 100 Millionen Euro zu erleichtern, und einen Teil des Profits kassiert.

Neue Lücken entdeckt, bevor die alten geschlossen wurden

So behauptet es die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt in der Anklage. Das ist nur einer von mehr als 400 Verdachtsfällen. Viele Bank sollen gemeinsam mit Börsenhändlern und assistiert von Juristen in die Staatskasse gegriffen haben. Dem Ex-Sparkassen-Abteilungsleiter werfen die Ermittler keine Gesetzesverstöße vor.

Berger bestreitet die im HVB-Fall gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Er werde zu Unrecht verfolgt. Für seine Mandanten, meist Millionäre und Milliardäre, war der Frankfurter Anwalt eine Koryphäe. Einer, der sich wie kein anderer im Steuerrecht auskannte und der Abgaben auf ein Minimum zu drücken verstand. Alles ganz legal.

Gilt das auch für die Aktiendeals? In der Anklage wird vieles erhellt, was sich im Dunkeln, im Verborgenen abgespielt haben soll. Die Ermittler gehen davon aus, Berger habe die Tipps seines Zuträgers aus dem Sparkassenverband und anderer Informanten aus der Geldbranche dazu genutzt, strengere Regeln gegen Cum-Ex-Deals zu konterkarieren und zu umgehen.

Er habe neue Lücken entdeckt, bevor die alten geschlossen gewesen wurden. Es soll dem Finanzministerium immer einen Schritt voraus gewesen sein. Berger soll sogar versucht haben, auf das Finanzministerium einzuwirken, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Berger bestreitet auch das.

Bislang hat es so ausgesehen, als habe der Staat versagt. Das Finanzministerium brauchte Jahre, um Kontroll-Lücken bei ganz speziellen Börsendeals zu schließen. Beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende hatten sich Banken und Börsenhändler nach Erkenntnissen der Ermittler eine nur einmal an den Fiskus gezahlte Steuer auf Dividenden mehrmals erstatten lassen. Von unterschiedlichen Finanzämtern, die nichts voreinander wussten. Erst seit 2012 ist das nicht mehr möglich, weil die Bundesregierung dem schließlich einen Riegel vorgeschoben hat. Der langsame Staat. Nun aber sieht es so aus, als habe die staatliche Gegenwehr auch deshalb so lange gedauert, weil die Gegenseite über Insider-Wissen verfügt habe.

Ein früherer Anwaltskollege Bergers hat bei den Ermittlern ausgesagt, bei Cum-Ex sei der Sparkassen-Abteilungsleiter immer eine gute Quelle gewesen. Berger und sein Zuträger hätten sich sehr oft darüber ausgetauscht, was aus dem Finanzministerium kommen werde. Durch dieses Wissen sei Berger auch in der Lage gewesen, seine Sichtweise über Lobbyisten in das Ministerium einzuspielen.

In der Anklage gegen Berger und die HVB-Aktienhändler heißt es, der Frankfurter Anwalt habe von dem Sparkassen-Abteilungsleiter frühzeitig von einer für Anfang 2007 geplanten Gesetzesänderung erfahren. Der Sparkassen-Mann habe Berger bereits am 2. Juni 2006 mit Informationen versorgt. Der mutmaßliche "Spiritus Rector" habe dadurch frühzeitig gewusst, dass Aktiengeschäfte zu Lasten des Fiskus weiter möglich seien, sofern eine ausländische Bank eingeschaltet werde.

Der Verband spricht von einer erlaubten Nebentätigkeit

Berger soll seinen Zuträger aus dem Sparkassenverband immer wieder angezapft haben, sobald auch nur Gerüchte über neue Vorstöße des Finanzministeriums die Runde gemacht hätten. In der Anklage wird eine Mail vom 2. September 2009 zitiert. Berger schrieb, er wäre für nähere Informationen dankbar, ob eine Gesetzesänderung zu befürchten sei.

Anlass war ein Hinweis aus einer Großbank. Über andere Branchen-Vertreter soll der Frankfurter Anwalt noch mehr erfahren haben. Einmal habe es geheißen, das sei jetzt aber richtig vertraulich und dürfe nicht aus der Hand gegeben werden. Auf diese Weise habe Berger auch erfahren, was zwischen Bankenverbänden und Finanzministerium in ganz kleinem Kreise über neue Cum-Ex-Regeln gesprochen worden sei. Und schon habe sich im Herbst 2009 die nächste Lücke aufgetan. Mit speziellen Fonds sei es weiterhin möglich gewesen, den Fiskus auszunehmen, besagt die Anklage. Was dann auch geschehen sei.

Berger und der damalige Sparkassen-Abteilungsleiter betrachten ihre 1000-Euro-Vereinbarung als in Ordnung. Der inzwischen pensionierte Sparkassen-Mann erklärte der SZ vor einiger Zeit dazu, er habe aus seiner Zeit als eigenständiger Anwalt über ein entsprechendes Netzwerk verfügt, das er in den Sparkassenverband eingebracht und nebenberuflich weiter genutzt habe. Der Verband spricht von einer erlaubten Nebentätigkeit. Der Abteilungsleiter habe "in nur geringem Umfang einzelne Mandanten über aktuelle steuerpolitische Entwicklungen informiert". Welche konkreten Mandate das gewesen seien, wisse der Verband nicht, erklärt ein Sprecher. Und lässt anklingen, dass heute wohl nicht mehr möglich wäre, was damals geschah. Es gebe jetzt "andere Vorschriften" für derartige Nebentätigkeiten.

Berger sagt, Großkanzleien hätten beste Zugänge zu Ministerien in Berlin. Da habe er als Anwalt, um seine Mandanten gut beraten zu können, auch Informationen gebraucht. Das sei weder unrecht noch ungewöhnlich. Es sei auch nicht um Informationen gegangen, die dem Verband vorgelegen hätten. Alles ganz normal also, wie die Aktiengeschäfte. Nichts Anstößiges und erst recht nichts Kriminelles. Und die Honorare für den Sparkassen-Mann hätten Vorträge oder ähnliches betroffen, so Berger. "Wer macht im Leben 'was umsonst."

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SZ vom 05.07.2018/hgn
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