Süddeutsche Zeitung

Steuerskandal:Wir kommen wieder

Die Justiz greift wegen Cum-Ex hart durch: Die niederländische Großbank ABN Amro erlebt die zweite Razzia binnen weniger Monate. Das ist ein Signal an die ganze Branche.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Gegen zehn Uhr am Donnerstagmorgen standen in der Mainzer Landstraße in Frankfurt viele Menschen an den Fenstern ihrer Büros. Mehrere Mannschaftswagen der Polizei waren dort, im Herzen des Bankenviertels, zu sehen, einige Zivilfahrzeuge und ein großer Einsatzbus. Bewaffnete Polizeibeamte, Ermittler des Bundeskriminalamts, Kölner Staatsanwälte und Steuerfahnder waren im Einsatz, sie begehrten Einlass bei einer der größten europäischen Banken: ABN Amro, Nummer zwei der Branche in den Niederlanden, teilstaatliche Großbank - und seit Jahren Gegenstand von Ermittlungen im größten Steuerskandal Deutschlands.

Es ist die zweite Razzia bei dem Institut innerhalb von gut drei Monaten. Anders als Mitte November haben sich die Ermittler diesmal aber dazu entschieden, weniger diskret vorzugehen. Im Rahmen der seit Jahren andauernden Ermittlungen wegen steuergetriebener Aktiengeschäfte hat eine so groß angelegte Aktion Seltenheitswert. Die Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Köln ist für ihre Diskretion in diesen Verfahren bekannt. Am Donnerstag bestätigte ein Sprecher der Behörde lediglich, dass es bei den Maßnahmen um Cum-Ex-Geschäfte der ABN Amro Bank und mehrerer ehemaliger Finanzfirmen gehe, nannte aber keine weiteren Details. Ein ABN-Amro-Sprecher teilte mit, man kooperiere mit den Behörden.

Die Ermittlungen sind nun nicht mehr nur für ABN Amro heikel, sie dürften auch viele andere in der Branche aufschrecken. Denn in diesem Fall geht es nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und WDR nicht nur um jene Cum-Ex-Aktiengeschäfte zulasten des Fiskus, die Ende 2011 durch eine Gesetzesänderung unterbunden wurden. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt nunmehr auch gegen einen aktiven hochrangigen Manager der deutschen ABN-Amro-Abteilung wegen Aktiengeschäften in den Jahren 2010 bis 2015. Der Manager wird verdächtigt, sich vorsätzlich an Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall beteiligt zu haben.

Der Verdacht: Auch nach 2011 wurden Deals abgewickelt

Was sich bislang vor allem auf Indizien und Anhaltspunkte beschränkte, wird damit einmal mehr Gegenstand konkreter Ermittlungen: Auch nach 2011 könnten Banken Aktiendeals organisiert und abgewickelt haben, die mutmaßlich illegal waren - also einen Griff in die Staatskasse unter anderen Vorzeichen. Sollten sich die Verdachtsmomente erhärten, hieße das: Eine in der Finanzkrise mit Steuergeld verstaatlichte niederländische Bank hätte auf noch unbekannten, womöglich illegalen Wegen die deutschen Steuerzahler um Geld gebracht.

Die Bank kommentierte das nicht.

Die Vorgängerinstitute des Instituts waren zuvor außerdem an verschiedenen Stellen in Cum-Ex-Kreisläufe eingebunden. Das hat die Bank selbst eingeräumt, es geht aus Zeugenaussagen bei der Staatsanwaltschaft Köln sowie Erkenntnissen aus mehreren Cum-Ex-Verfahren hervor, darunter auch Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Bei den Aktiengeschäften geht es - stark vereinfacht - darum, Steuerzahlungen vorzutäuschen und sich eine nur einmal entrichtete Steuer auf Dividenden mehrfach erstatten zu lassen. In diesem Zusammenhang ermitteln Strafverfolger gegen mehrere Hundert Beschuldigte wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung und gehen seit Jahren gegen beteiligte Banken vor. Der Steuerschaden geht in die Milliarden.

Die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft hatte anlässlich der ersten Durchsuchungen bei ABN Amro im November bekanntgegeben, man verdächtige sechs Personen der schweren Steuerhinterziehung, darunter zwei frühere "Prokuristen einer Frankfurter Investmentbank". Die Beschuldigten sollen in den Jahren 2008 und 2009 Cum-Ex-Geschäfte mit dreistelligen Millionenbeträgen getätigt haben. Mittels falscher Steuerbescheinigungen seien die Finanzämter getäuscht worden. Schaden laut Generalstaatsanwaltschaft: 53,3 Millionen Euro. Die zwei früheren Prokuristen sollen Leerverkäufe über die Bank "abgewickelt" haben, hieß es seitens der Behörde. Ohne Leerverkäufe, bei denen jemand eine Aktie verkauft, die er noch gar nicht besitzt, konnte Cum-Ex nicht funktionieren. Am Donnerstag verwiesen die Frankfurter Ermittler auf ihre Kollegen aus Köln.

Bei der dortigen Staatsanwaltschaft werden in zwei Ermittlungskomplexen offenbar vor allem Fälle aus den Jahren nach 2009 untersucht. Zu den Hauptverdächtigen gehören mehrere ehemalige Manager eines der Vorgängerinstitute der heutigen ABN-Amro. Ein beschuldigter Niederländer, der sich heute als smarter Immobilieninvestor präsentiert, soll zu den größten Drahtziehern von Cum-Ex-Geschäften gehört und dafür auch die Kontakte zu seinem früheren Arbeitgeber genutzt haben.

Als Mutterkonzern der Privatbank Bethmann - die in keiner Weise betroffen ist - war ABN Amro nach der Finanzkrise aus der verstaatlichten belgisch-niederländischen Bank Fortis und der früheren ABN Amro hervorgegangen. Nach einem Börsengang im Jahr 2015 ist die Bank noch immer zu 56,3 Prozent in Staatsbesitz.

Einige Abteilungen und Tochterfirmen des Instituts hätte sich das Finanzministerium in Amsterdam wohl genauer ansehen sollen. Der Hauptangeklagte im ersten Cum-Ex-Prozess in Bonn, Martin S., hat den Kölner Ermittlern in seinen vielen Vernehmungen immer wieder Hinweise auf ABN Amro und Fortis gegeben. So sei der Name Fortis von Beginn an gefallen, als sich S. und andere bei der Hypo-Vereinsbank im Jahr 2006 Gedanken über den Cum-Ex-Markt machten. Später, so erzählte er, sei Fortis Geschäftspartner des Hedgefonds Ballance gewesen. Unter anderem wegen dessen Geschäften stehen S. als Mitgründer und sein Ex-Kollege Nick D. in Bonn vor Gericht. Die frühere Fortis, so hat es ein weiterer Kronzeuge geschildert, sei für mehrere solcher Hedgefonds tätig gewesen, noch bis einschließlich 2011. Grund genug für ein eigenes Fortis-Verfahren.

Aber viel mehr als Hinweise, Aussagen, Einträge in Tabellen, Kontoauszüge und einige Verträge hatten die Ermittler noch nicht. Ihnen fehlte das komplette Bild von ABN Amro, den Vorgängerinstituten und den verantwortlichen Personen. Dass die Bank ein zweites Mal durchsucht wird, lässt vermuten, dass die Ermittler mit der "Kooperation" unzufrieden sind. Die Razzia wäre insoweit auch als Signal zu verstehen: Wer nicht spurt, hat ein Problem. Unweit vom Schauplatz der neuen Razzia gab es vor bald acht Jahren einen vergleichbaren Fall. Im Skandal um Steuerbetrug mit CO₂-Zertifikaten waren damals 500 Beamte in der Zentrale der Deutschen Bank einmarschiert - nachdem die Bank es trotz Warnungen nicht für nötig befunden hatte, die Fahnder zu unterstützen.

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SZ vom 28.02.2020
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