Steuerschätzung korrigiert:Schäubles Geldspeicher füllen sich langsamer

Nachdem der Boom dem Staat lange steil ansteigende Einnahmen bescherte, muss Finanzminister Schäuble nun verkünden: Die Steuerschätzer haben ihre langfristige Prognose nach unten korrigiert. Dabei sind ihre Vorhersagen nicht unbedingt zuverlässig - und auch die Reaktionen könnten kaum gegensätzlicher sein.

Jannis Brühl, Berlin

Die 600 Milliarden liegen warm in der Hand. Frisch aus dem Kopierer kommen die Blätter mit den Ergebnissen der Steuerschätzung, die Wolfgang Schäubles Helfer an die Journalisten verteilen. Gerade erst ist die Sitzung der Steuerschätzer in Frankfurt am Main zu Ende gegangen. Jetzt sitzt der Bundesfinanzminister in seinem Amt vor dem Mikrofon und muss den Zahlen einen Sinn - Kritiker würden sagen: einen Spin - geben.

Die Schätzer, verkündet Schäuble, erwarten erstmals mehr als 600 Milliarden Euro Einnahmen. Vor allem zahlten mehr Menschen Lohnsteuer, was die öffentlichen Einnahmen erhöhe. 2017 erwarten sie sogar 700 Milliarden Euro - allerdings ist ein jährlicher Anstieg der Normalfall. In der Nachkriegszeit gingen die Steuereinnahmen im Vorjahresvergleich nur extrem selten zurück.

Aber nun sagt Schäuble: "Wir können nicht davon ausgehen, dass wir von Steuerschätzung zu Steuerschätzung höhere Einnahmen bekommen." Denn während die Einnahmen für dieses Jahr nun der Analyse zufolge um 5,4 Prozent höher ausfallen dürften als bei der letzten Schätzung im Frühjahr, sollen die Einnahmenzuwächse in Zukunft vorbei sein. Die Prognosen für 2015 und 2016 mussten sogar nach unten korrigiert werden.

Die Krisenrealität dringt also langsam auch in Schäubles Geldkammern vor, der politische Kampf um das Geld hat längst begonnen. Wirtschaftsminister Philipp Rösler hat gesagt, 2014 könne eine "schwarze Null" stehen - Deutschland also erstmals seit 1969 ohne Neuverschuldung auskommen. Schäuble, dem ein distanziertes Verhältnis zu seinem Kabinettskollegen nachgesagt wird, stellt sich und Rösler als harmonisches Duo dar: Vor dem Koalitionsgipfel am Sonntag will Schäuble ein Bild der Geschlossenheit präsentieren. Schäuble sagt: Das Ziel, 2014 keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, sei "nicht leicht, aber erreichbar" und: "Es ist immer gut gewesen für die Bundesrepublik Deutschland, wenn Finanz- und Wirtschaftsminister in den Grundfragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik am selben Strang und in dieselbe Richtung ziehen - und das tun wir beide."

"Wir haben ein Einnahmenproblem"

Der Verteilungskampf um die hohen Einnahmen war schon vor Bekanntgabe der Zahlen voll entbrannt. Koalitionspolitiker wollen nicht wie Rösler und Schäuble zuerst den Haushalt ausgleichen. Sie wollen Wahlgeschenke verteilen - oder tun zumindest so. Haushaltspolitiker Norbert Barthle (CDU) erklärt Steuersenkungen für wichtiger. Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU) will den Krankenkassenbeitrag herunterfahren. Die Opposition kritisiert das als "Geschwätz" - vor der Wahl werde die Regierung sowieso nicht mehr handeln.

Sven Christian-Kindler liest die Zahlen weniger optimistisch als Schäuble und seine Parteifreunde. "Wir haben ein Einnahmenproblem", sagt der grüne Haushaltspolitiker Süddeutsche.de. Die Regierung habe nichts für die hohen Einnahmen getan, sondern sich nur "auf der Konjunktur ausgeruht". Trotz Boom und historisch niedriger Zinsen mache sie immer noch Schulden. Vermögende müssten deshalb höher besteuert werden, um diese "strukturelle Unterfinanzierung des Staates" zu beenden.

Pressekonferenz von Bundesfinanzminister Schaeuble zu Ergebnissen der Steuerschaetzung

Steuereinnahmen in Höhe von 600 Milliarden Euro im Jahre 2014 sind ein Rekordwert. Trotzdem dämpft Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in Berlin die Begeisterung.

(Foto: dapd)

Berechnungen sind "außerordentlich wenig verlässlich"

Die Steuerschätzung im Herbst ist stets eine wichtige Grundlage für letzte Arbeiten am Bundeshaushalt für das folgende Jahr. Der Etat 2013 soll im November vom Bundestag und im Dezember vom Bundesrat verabschiedet werden. Die Steuerschätzer treffen sich zweimal jährlich und schätzen die Einnahmen für das laufende und die kommenden Jahre. Für je drei Tage verrammeln sie sich an einem Ort, diesmal bei der Bundesbank in Frankfurt. Neben Finanz- und Wirtschaftsministerium sitzen im Arbeitskreis Steuerschätzung unter anderem Vertreter der großen Wirtschaftsinstitute, der Bundesbank, der Länder und Kommunen. Die Teilnehmer legen ihre jeweiligen Schätzungen vor, dann diskutieren sie und einigen sich auf Zahlen für den Endbericht.

Allein: Was sind diese Zahlen wert? Schon lange beschweren sich Politiker, dass die Voraussagen für spätere Jahre in folgenden Sitzungen oft korrigiert werden müssten. Gerhard Schick, grüner Finanzpolitiker, kritisierte vor einiger Zeit, die Schätzer könnten die Auswirkungen der Finanzkrise gar nicht abschätzen. Die Politik ist allerdings auch selbst schuld an überzogenen Prognosen. Denn die Berechnungen beruhen zum großen Teil auf ihren Zahlen - und die fallen oft zu optimistisch aus. Das musste 2005 der damalige Finanzminister Eichel erfahren: Das Statistische Bundesamt veröffentlichte einen Tag vor der Steuerschätzung Konjunkturzahlen, die deutlich von denen der Regierung abwichen - mit denen aber die Schätzer gerechnet hatten. Damit war deren Schätzung Makulatur.

Auch den Einnahmenboom, der nun langsam zu Ende geht, sahen sie nicht kommen. Vor zwei Jahren in Lübeck schätzten sie, dass die Steuereinnahmen 2014 bei 580 Milliarden Euro liegen würden - der neuen Schätzung zufolge sind es schon 60 Milliarden mehr. Zu den Kritikern gehört auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Er hat dem Arbeitskreis einmal vorgeworfen, mittelfristig seien seine Berechnungen "außerordentlich wenig verlässlich". Der Sachverständigenrat, in dem der Ökonom sitzt, ist auch im Arbeitskreis vertreten.

Auch die anwesenden Journalisten wissen wohl, dass sich die Aussagekraft der Zahlentabellen in Grenzen hält. Für deutsche Steuerprognosen interessieren sich nur wenige, viel mehr Fragen muss Schäuble über die griechische Krise beantworten: Zeitplan, Troikabericht und Abstimmungen im Bundestag über Hilfsgelder. Der griechische Haushalt ist zur Zeit etwas interessanter als der deutsche.

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