Süddeutsche Zeitung

Steuerreform in den USA:Kann Donald Trumps Steuerreform gelingen?

  • Die Republikaner sehen in den Plänen ihres Präsidenten einen Coup. Politische Gegner fürchten ein finanzielles Desaster.
  • Das momentane Steuersystem sorgt für riesige Einnahmeausfälle des Staates. Eine Reform ist notwendig.
  • Auf den ersten Blick wirkt Trumps Vorhaben sozial gerecht. Der Verdacht, dass er bei seinen Entwürfen an die Unternehmer gedacht hat, bleibt allerdings.

Von Claus Hulverscheidt

Paul Ryan konnte sein Glück kaum fassen, als er, umringt von eigens einbestellten Claqueuren, im Kapitol vor die Mikrofone trat. "Ihr seid es, um die es hier geht", jauchzte der Sprecher des Repräsentantenhauses, die "amerikanische Mittelklasse verdient einen Kurswechsel." Seit 40 Jahren träumen die Republikaner davon, es ihrer Lichtgestalt Ronald Reagan nachzutun und die Steuern umfassend zu senken. Nun, nach monatelangem Gezerre, liegt tatsächlich ein Konzept auf dem Tisch. Es soll der Partei bei den Kongresswahlen im nächsten Jahr erneut die Mehrheit bescheren und Präsident Donald Trump aus dem Umfragetief hieven. Im Folgenden beantwortet die SZ die wichtigsten Fragen zum Reformvorhaben.

Wo liegt das Problem?

Die Steuersätze in den USA, insbesondere die für Unternehmen, sind im Vergleich zu anderen Industrieländern recht hoch. Das erschwert nicht nur die Ansiedlung ausländischer Firmen, sondern führt auch dazu, dass US-Konzerne wie Google und Apple Milliardengewinne im Ausland bunkern. Gleichzeitig wird das Steuersystem durch zahllose Ausnahmeregelungen unterhöhlt. Dies führt zu riesigen Einnahmeausfällen für den Staat und zu einer massiven Ungleichbehandlung der Unternehmen: Während mancher Einzelhandelskonzern unter Berücksichtigung alle Verrechnungsmöglichkeiten auf eine tatsächliche Steuerlast von 30 Prozent kommt, zahlt manches Elektronikunternehmen keine drei Prozent. Für Privatleute gilt zudem: Das Ausfüllen der Steuererklärung, die Dutzende Seiten umfasst, ist kompliziert und ohne Hilfe kaum machbar. Kurzum: Eine Reform ist dringend notwendig.

Was ändert sich für die Bürger?

Statt sieben wird es künftig nur noch vier Steuersätze geben: 12, 25, 35 und 39,6 Prozent. Der Eingangssatz ist ein bisschen höher als bisher, der Spitzensatz wird - um dem Vorwurf sozialer Ungerechtigkeit zu begegnen - nicht angetastet. Da sich zugleich der persönliche Grundfreibetrag auf 12 000 Dollar verdoppelt und die Einkommensgrenzen, ab der die einzelnen Steuersätze greifen, teils deutlich angehoben werden, dürften zunächst einmal alle Bürger entlastet werden. Allerdings fallen zugleich viele Vergünstigungen weg, vor allem die Verrechenbarkeit von Kommunal-, Staats- und Bundessteuern. Auch Ausgaben für Medikamente, Umzüge und den Steuerberater können nicht mehr abgesetzt werden. Damit hängt es stark vom Wohnort und der persönlichen Situation ab, ob unter dem Strich tatsächlich eine Entlastung bleibt. Ryan zufolge wird eine "typische" vierköpfige Familie nach Umsetzung der Reform 1182 Dollar im Jahr weniger zahlen müssen als bisher. Aber welche Familie ist schon "typisch".

Was ändert sich für Firmen?

Der Körperschaftsteuersatz sinkt von 35 auf 20 Prozent. Inhabergeführte Firmen, die das Gros der US-Wirtschaft ausmachen und heute bis zu 39,6 Prozent Einkommensteuer zahlen, brauchen einen Teil ihres Gewinns künftig nur noch mit einem neuen Spezialsatz von 25 Prozent versteuern. Dies könnte firmeninternen Gewinnverschiebungen Tür und Tor öffnen. Zugleich werden auch für die Betriebe einige Vergünstigungen gestrichen, darunter die weitgehende Absetzbarkeit von Manager-Boni. Um die Investitionstätigkeit zu befeuern, können Ausgaben für neue Fabriken und Maschinen statt über mehrere Jahre künftig auf einen Schlag steuerlich geltend gemacht werden. Diese Regelung gilt allerdings nur bis 2023. Um Konzerne zu bewegen, im Ausland gebunkerte Gewinne in die USA zu überweisen, müssen solche Erträge einmalig nur mit zwölf Prozent versteuert werden. Trump zufolge wird die Amnestie "drei Billionen Dollar und mehr" in die USA spülen.

Ist die Reform sozial gerecht?

Genaue Zahlen fehlen noch, die Einkommensteuerreform allein aber wirkt auf den ersten Blick durchaus ausgewogen. Das Problem ist, dass zugleich mit der Erbschaft- und der Mindeststeuer zwei reine Reichensteuern entfallen sollen. Die Erbschaftsteuer etwa kommt heute erst bei einem Nachlass von mehr als 5,6 Millionen Dollar zum Tragen, sie soll nun bis 2024 auslaufen. Man wird den Verdacht nicht los, dass der Präsident Trump bei der Abschaffung auch an den Unternehmer Trump gedacht hat, der sein Firmenimperium eines Tages in die Hände seiner fünf Kinder legen will - gerne steuerfrei. Das gleiche gilt für den Wegfall der Mindeststeuer, die verhindern soll, dass Ultrareiche ihre Abgabenlast durch die Nutzung von Schlupflöchern auf null reduzieren.

Was kostet die Reform?

Aus Verfahrensgründen soll das Gesetz das Haushaltsdefizit über zehn Jahre gerechnet um nicht mehr als 1,5 Billionen Dollar erhöhen. Durch die Streichung von Privilegien und optimistische Annahmen zur Entwicklung des Wirtschaftswachstums schafften es die Republikaner, dass am Ende, oh Wunder, tatsächlich 1,5 Billionen Dollar herauskamen. Ein solches "Annahme-Management" ist bei Steuerreformern weltweit üblich, auch in Deutschland. Genauso üblich ist, dass die Opposition - im konkreten Fall die US-Demokraten - die Angaben der Regierung als "Tricksereien" und "Luftbuchungen" geißelt. Langfristig soll sich das Gesetz durch höheres Wachstum, höhere Löhne und damit höhere Steuereinnahmen selbst finanzieren. Dass das nicht unmöglich ist, hat Reagans Reform von 1986 gezeigt: Sie ließ das Haushaltsdefizit zunächst explodieren, schob das Wachstum anschließend aber so kräftig an, dass der US-Bundesetat in den späten neunziger Jahren erstmals seit Jahrzehnten wieder Überschüsse auswies. Der Fall zeigt allerdings auch, dass zwischen Inkrafttreten der Reform und ihrem Niederschlag im Haushalt viele Jahre vergehen können - Jahre, in denen etwa eine Finanzkrise oder ein Konjunktureinbruch alles zunichte machen kann.

Zieht der Kongress mit?

Die Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus dürfte trotz einiger weniger Abweichler stehen. Im Senat, wo die Regierungspartei nur 52 der 100 Mitglieder stellt, wird es erneut eng. Das gilt umso mehr, als die republikanischen Senatoren ein eigenes Reformkonzept vorlegen wollen. Immerhin haben es die Parteioberen mit einem Verfahrenstrick aber geschafft, dass sie für die Verabschiedung des Gesetzes im Senat keine Stimmen demokratischer Mitglieder brauchen.

Enthält der Entwurf "Bömbchen"?

Die Republikaner haben die Gelegenheit genutzt, eine kleine, aber womöglich weitreichende Gemeinheit in die Reform einzubauen: Kirchen dürfen künftig Parteien und politische Kandidaten empfehlen, ohne Gefahr zu laufen, ihre Steuerprivilegien zu verlieren. Die religiöse Rechte innerhalb der Partei wie im Land könnte damit weiter an Einfluss gewinnen.

Wird Trump für die Republikaner der Ronald Reagan des 21. Jahrhunderts?

Reagan, einst Darsteller in zweitklassigen Hollywood-Western, wurde zu Beginn seiner Amtszeit als Einfaltspinsel verlacht. Heute gilt er in seiner Partei als die Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts schlechthin, als Mann, der die Sowjets in den Bankrott rüstete und die Wirtschaft zu neuen Höhen führte. Für Trump sind die Parallelen zu seiner eigenen Präsidentschaft unverkennbar: Was Reagan im 20. Jahrhundert war, will er, Trump im 21. Jahrhundert werden - der unumstrittene Kristallisationspunkt der Partei. Der amtierende Präsident übersieht allerdings das strategische Geschick Reagans: Dieser senkte die Steuern nicht nur, sondern verschärfte zugleich die jetzt entfallende Mindeststeuer und strich Dutzende Privilegien. Zudem wurde sein Gesetz nicht mit Verfahrenstricks im Eiltempo durch den Kongress gepaukt, wie es jetzt vorgesehen ist, sondern nach langer Debatte von Republikanern und Demokraten gemeinsam verabschiedet. Die Konsensstrategie verhalf dem Gesetz nicht nur zu politischer, sondern auch zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz.

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Quelle:
SZ vom 04.11.2017/been
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