Steuerpolitik:Wie mehr Menschen erwerbstätig werden könnten

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Von einer Reform des Ehegattensplittings erhofft sich Ökonom Clemens Fuest, dass mehr Frauen erwerbstätig werden. (Foto: imago/Panthermedia)

Wie könnte die Steuerpolitik in der Post-Merkel-Ära aussehen? Clemens Fuest, einer der gefragtesten deutschen Ökonomen, hat eine Reformidee - die viel bringen und wenig kosten soll.

Von Johannes Bauer

Als langjähriger Berater der deutschen Politik weiß Clemens Fuest, wie er Vorschläge zu verkaufen hat. Eine Reformidee kündigt der Leiter des Ifo-Instituts an, die "wie wir schätzen, erheblich mehr Beschäftigung bringt und die den Staat am Ende gar nichts kostet". Und schon ist der Beginn seines Vortrags gesetzt, den er in der Veranstaltungsreihe Munich Economic Debates hält, eine Kooperation des Ifo und der Süddeutschen Zeitung. Die Studie geht davon aus, dass nach einer Reform 400 000 mehr Bürgerinnen und Bürger am Arbeitsleben teilnehmen würden, für die der Staat zwar nicht nichts, aber immerhin weniger als eine Milliarde Euro pro Jahr aufwenden müsste.

Der Maßnahmenkatalog der Reform besteht aus vier Teilen. Dazu gehört eine Überarbeitung der "Teilzeitfalle". Betroffen davon sind zum Beispiel Hartz-IV-Empfänger, die aufstocken möchten und sich entscheiden, mehr zu arbeiten. Noch kann es ihnen passieren, dass etwas mehr Bruttoverdienst dazu führt, dass sie am Ende netto weniger Geld haben. Außerdem beinhaltet die Reformidee eine Neugestaltung der Familienbesteuerung. Einerseits, indem ein sogenanntes Ehegattenrealsplitting das bisherige Ehegattensplitting ablösen würde: Dabei wäre zwar noch der gesetzliche Unterhaltsfreibetrag auf den Zweitverdiener übertragbar, aber nicht mehr wie bisher die Hälfte des Einkommens. Andererseits würde der Kinderfreibetrag verdoppelt und auf knapp 12 000 Euro erhöht.

Auch die Abschaffung des Solidaritätszuschlags hat die Forschergruppe um Fuest im Blick. "Der wird aufgrund des Verfassungsgerichts vermutlich ohnehin in Kürze fallen", glaubt er. Im Gegenzug schlägt er vor, den Spitzensteuersatz von 42 auf 44 Prozent zu erhöhen und den Reichensteuersatz von 45 auf 47 Prozent anzuheben. Das Resultat käme lediglich einer Kompensation des Soli-Wegfalls gleich, nicht aber einer Steuererhöhung für Besserverdiener, versichert Fuest. Außerdem sähe die Reform eine Anhebung des Grundfreibetrags auf 10 500 Euro vor, sowie einen Anstieg der Arbeitnehmer-Pauschale bei den Werbungskosten von bisher 1000 auf 1200 Euro.

Der von Fuest errechnete Einfluss der Reform auf Arbeitnehmer wäre enorm: 400 000 Bürgerinnen und Bürger könnten nach der Umsetzung der Maßnahmen neu auf den Arbeitsmarkt kommen oder ihre Beschäftigung ausbauen. "Das bedeutet, einige Menschen, die vorher kein Erwerbseinkommen erzielt haben, gehen arbeiten und andere werden von Teilzeitbeschäftigung auf Vollzeit gehen oder einfach mehr Stunden arbeiten", so der Ökonom. So käme es vor allem im Hartz-IV-System zu mehr Beschäftigung, im Niedriglohnbereich und durch den Übergang zum Realsplitting auch bei den Zweitverdienern. "Das sind vor allem Frauen", erklärt Fuest.

Mittelschicht und Familien mit Kindern würden am stärksten profitieren

Die steuerlichen Entlastungen, die sich aus der Reform ergäben, wären sehr breit verteilt, würden aber vor allem untere und mittlere Einkommen betreffen. So stünden Arbeitnehmern mit einem Jahreseinkommen von etwa 25 000 bis 35 000 Euro pro Jahr 500 Euro mehr zur Verfügung. Würde die Reform tatsächlich umgesetzt, könnte sich jeder Haushalt im Durchschnitt über ein Prozent oder 383 Euro mehr pro Jahr freuen. Eine Familie mit Kindern, die circa 57 000 Euro verdient, hätte sogar ein jährliches Plus von mehr als 1000 Euro. "Insgesamt ist das schon signifikant", sagt Fuest.

Nun kommt keine Reform ohne Verlierer aus. Im vorliegenden Fall wären das laut Fuest bei Hartz-IV-Empfängern vor allem Singles ohne Kinder, die etwas stärker belastet würden und Verheiratete ohne Kinder. "Die profitieren aktuell sehr vom Ehegattensplitting."

An dieser Stelle enden die Vorschläge des Instituts für Wirtschaftsforschung und ihrem Präsidenten noch nicht. Bereits vor der Reformidee des Einkommenssteuersystems plädierte Fuest in einer anderen Studie dafür, steuerliche Abschreibungen für Investitionsgüter zu beschleunigen. Bei der Einkommenssteuer kritisiert der Ökonom die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen, wenn man eine Immobilie erst nach zehn Jahren verkauft ("Besteuerungslücke"). Die Gewerbesteuer sieht er auch aufgrund der unlängst großen Schwankungen während der Pandemie bei den Kommunen falsch verortet und würde diese am liebsten abschaffen. Unter diesen und weiteren Anmerkungen zur aktuellen Steuerpolitik bildet die Forderung nach einer Reform der Einkommensteuerung jedoch den Kern. "Da ist unsere Hoffnung, dass auch die Koalitionen in Berlin mal draufschauen", sagt der ifo-Präsident.

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