Süddeutsche Zeitung

Steuerpläne der Parteien:Wissenschaftler rechnen nach

Lesezeit: 3 Min.

Wer muss zahlen? Und wie viel? Die geplanten Steuererhöhungen der Oppositionsparteien sind heftig umstritten. CDU/CSU und FDP kündigen hingegen Entlastungen an. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat nachgerechnet - und zieht ein überraschendes Fazit.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Für die Grünen ist der Fall ganz klar: "Die Höhe der Einkommensteuersätze kannte in den vergangenen Jahren nur eine Richtung: nach unten." Dies sei, was die Steuerlast von Spitzenverdienern angehe, "weder finanzpolitisch vernünftig noch sozial gerecht", heißt es im Wahlprogramm der kleinsten Oppositionspartei im Bundestag. Die SPD argumentiert ähnlich: Die Steuerpolitik müsse die Lasten fair verteilen. Es sei nötig, Bezieher hoher Einkommen und Vermögende stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen.

Die Sozialdemokraten fordern deshalb, den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent für ein zu versteuerndes Einkommen ab 100.000 (Ehepaare: 200.000) Euro anzuheben. Die Grünen wollen noch ein bisschen früher stärker zugreifen: Für einen Unverheirateten, der 60.000 Euro zu versteuern hat, soll sich der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent erhöhen. Ab 80.000 Euro soll er dann bei 49 Prozent liegen. Zugleich wollen die Grünen das steuerfreie Existenzminimum von derzeit 8130 Euro auf mindestens 8700 Euro anheben.

Aber was würde dies für die einzelnen Haushalte bedeuten? Wer müsste mehr zahlen? Steuerexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben jetzt genau nachgerechnet. Das wichtigste Ergebnis der Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt: Die geplanten höheren Steuersätze würden nur die einkommensstärksten fünf Prozent aller Haushalte "in nennenswertem Umfang" belasten.

Teilt man die bundesdeutschen Haushalte nach der Höhe ihres Nettoeinkommens in zehn gleich große Teile (Dezile), wäre von den SPD-Plänen mehr als jeder zweite Haushalt im obersten Zehntel betroffen. Im Mittel hätten diese eine zusätzliche Steuerlast von 1700 Euro im Jahr. "Insgesamt verlieren beim SPD-Vorschlag 7,4 Prozent aller Haushalte, also knapp drei Millionen Haushalte", heißt es in der Untersuchung. Bei den Grünen gehörten 6,3 Prozent aller Haushalte zu den Verlierern.

"Ausweichreaktionen der Hochverdiener sind wahrscheinlich"

Für die Studie analysierten die DIW-Wissenschaftler Stefan Bach, Peter Haan und Richard Ochmann die Vorschläge aller Bundestagsparteien zum Einkommensteuertarif und zur Besteuerung von Kapitaleinkünften wie Zinsen oder Dividenden. Die Forderungen zur Familienbesteuerung (Ehegattensplitting), zum Kindergeld sowie die von der Opposition gewünschte Wiedereinführung der Vermögensteuer berücksichtigten sie nicht.

Die Pläne von SPD und Grünen sind heftig umstritten: Unternehmen und Wirtschaftsverbände feuern dagegen. In Umfragen sprach sich die Mehrheit der Bürger zunächst für Steuererhöhungen aus. Als TNS Emnid konkret wissen wollte, was die Wähler von den grünen Plänen halten, lehnten nahezu zwei von drei Befragten die Pläne ab.

Das DIW rechnet nun vor: Die SPD-Pläne zur Einkommensteuer würden zu Mehreinnahmen von jährlich 6,5 Milliarden Euro führen. Bei den Grünen springen demnach für die öffentliche Hand 7,5 Milliarden Euro zusätzlich heraus. Die Forscher hegen aber Zweifel, ob die Milliarden wirklich in dieser Höhe in die Staatskassen fließen. Sie sind überzeugt, dass Steuerpflichtige, die künftig mehr zahlen müssten, versuchen würden, ihre Steuerlast zu reduzieren. So seien "Ausweichreaktionen durch Steuergestaltung wahrscheinlich, zu der die Hochverdiener viele Möglichkeiten haben", heißt es in der Studie. In welchem Umfang dies geschieht, ist schwer vorauszusagen. Die Wissenschaftler unterstellen aber, dass sich - je nach Stärke der Ausweichreaktionen - 30 bis 50 Prozent weniger Mehreinnahmen erzielen ließen. Im schlimmsten Fall blieben von dem von SPD und Grünen gewünschten Geldregen für die öffentlichen Haushalte nur knapp noch zwei Milliarden Euro im Jahr übrig.

Die Pläne der Linken würden ein riesiges Loch in die Staatskasse reißen

Die Pläne der Linken würden nach den Berechnungen des DIW ohnehin ein riesiges Loch in die Staatskasse reißen: Die Partei will die Steuerlast für die Mittelschicht deutlich verringern und zugleich den Spitzensteuersatz - noch stärker als die beiden anderen Oppositionsparteien - auf 53 Prozent anheben. Unterm Strich dürfte dies zu Mindereinnahmen von 16 Milliarden Euro führen. Die Forscher gehen davon aus, dass bei einer solchen Politik die Topverdiener erst recht versuchen würden, sich höheren Steuern zu widersetzen. Zusammengerechnet könnten dem Staat durch die Linken-Pläne sogar bis zu 30 Milliarden Euro entgehen, so die Studie.

Viel geringer wäre das Minus, wenn sich die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP durchsetzten. Sie fordern den Abbau der sogenannten kalten Progression, die einen Arbeitnehmer bei einer moderaten Lohnerhöhung durch das Zusammenspiel von Inflation und steigendem Steuertarif real weniger verdienen lässt. Ein solcher Abbau würde sich laut DIW für alle Steuerpflichtigen bis zu einem versteuernden Einkommen von gut 55.000 Euro auszahlen. Dem stünden Mindereinnahmen von 3,7 Milliarden Euro gegenüber.

Am Ende kommen die Forscher zu einem überraschenden Schluss: Es sei durchaus möglich, die Steuerpläne der Regierung mit denen von SPD und Grünen zu verbinden, also die kleinen und mittleren Einkommen durch eine verringerte Steuerprogression zu entlasten sowie gleichzeitig die Spitzensteuersätze und die Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte zu erhöhen. Eine solche Reform sei "aufkommensneutral". Sie würde den schnellen Anstieg der Steuersätze bei Niedrigverdienern reduzieren und nur die einkommensstärksten fünf Prozent der Bevölkerung belasten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1729140
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.07.2013
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.